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Man trennt sich.
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Großbritannien verlässt die EU: Was kommt nach dem Brexit-Antrag?

An diesem Mittwoch wird die britische Premierministerin Theresa May den EU-Austritt ihres Landes beantragen. Doch was folgt dann? Ein Überblick.

Die Trennung wird an diesem Mittwoch beantragt. Die britische Premierministerin Theresa May will um 12 Uhr mittags in London den Antrag auf Austritt aus der Europäischen Union nach Artikel 50 des Lissaboner Vertrags offiziell verkünden. Um die Mittagszeit dürfte zudem ein Botschafter aus dem Vereinigten Königreich bei EU-Ratspräsident Donald Tusk die Aufwartung machen und den Antrag auch förmlich einreichen. Damit beginnt der –nach Artikel 50 auf zunächst zwei Jahre begrenzte – Trennungsprozess, der laut May aber keine Scheidung sein soll. Sie lehne diesen Begriff ab, hat sie unlängst gesagt: „Wenn Partner sich scheiden lassen, dann haben sie oft keine gute Beziehung mehr danach.“ Man solle dagegen „die Gelegenheit sehen, eine neue Beziehung zur Europäischen Union aufzubauen“. Und darum wird es in den nächsten Jahren gehen: neben den eigentlichen Trennungsgesprächen diese neue Partnerschaft zu verhandeln. Die soll aus britischer Sicht weniger eng sein als die bisherige.

Was will Großbritannien?

Die konservative Regierung in London hat sich mit ihrer Entscheidung, dass Großbritannien nicht nur die politische Union verlassen wird, sondern auch die Mitgliedschaft im Binnenmarkt aufgibt, auf eine andere wirtschaftliche Bindung an die EU festgelegt. Die Mitgliedschaft im Binnenmarkt bedeute, die Freizügigkeit von EU-Bürgern und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu akzeptieren, sagt May. Das aber will sie nicht. Großbritannien will die EU auch deshalb verlassen, um eine eigene Handelspolitik gegenüber Drittstaaten machen zu können. Das ist eines der Hauptziele der Brexit-Hardliner um Außenminister Boris Johnson. Für mehr Freihandel mit dem Rest der Welt verlässt das Vereinigte Königreich somit die größte Freihandelszone der Welt, in die fast die Hälfte der britischen Exporte gehen. An die Stelle der Binnenmarkt-Mitgliedschaft soll ein Handelsabkommen treten. Das National Institute of Economic and Social Research in London hat schon im Januar ausgerechnet, dass mehr Handel mit dem Rest der Welt den möglichen Verlust aus dem EU-Handel jedoch nicht ausgleichen kann. Der wird langfristig auf 22 bis 30 Prozent geschätzt, der mögliche Zugewinn dagegen nur auf fünf Prozent. May hat im Januar ihre Linie dargelegt: Sie strebt einen Brexit an, bei dem sich Großbritannien eher schrittweise aus der EU herauslöst. Eine harte Landung, den Sturz über die Klippe, will sie vermeiden. So dürfte es erst einmal zu einer Übergangsregelung kommen, denn das als Ziel genannte bilaterale Handelsabkommen mit der EU wird nach Meinung vieler Fachleute mehrere Jahre Vorbereitung in Anspruch nehmen.

Was will London beibehalten?

Knackpunkt ist der Waren- und Dienstleistungsverkehr, der auf Wunsch Londons auch später so ungehindert wie möglich sein soll. May möchte wohl gern eine assoziierte Mitgliedschaft in der Europäischen Zollunion oder zumindest branchenbezogene Einzelvereinbarungen für jene Industriesektoren, die Fertigungsketten über ganz Europa hinweg nutzen, etwa in der Automobilherstellung mit ihrem komplexen Netz von Zulieferern und Endmontagefabriken. Wichtig für Großbritannien ist nicht zuletzt die Zukunft der Finanzbranche nach dem Brexit. Das Land ist weitaus stärker von diesem Sektor abhängig als Deutschland oder Frankreich. Die Londoner City trägt massiv zum Wohlstand Großbritanniens bei, sie soll daher einen möglichst ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt behalten. Eine Abwanderung von Banken und Finanzinstituten auf den Kontinent könnte folgenreich sein. Die Euro-Staaten aber wollen Geschäfte, die mit dem Euro zusammenhängen, auch im Euro-Raum regeln können.

Was wird die EU als Nächstes tun?

Ratspräsident Tusk wird nach dem Termin mit dem Botschafter binnen 48 Stunden seinen Vorschlag für die Leitlinien, nach denen die Austrittsverhandlungen laufen sollen, an die Hauptstädte der anderen 27 EU-Länder schicken. An den Formulierungen werden Unterhändler der Mitgliedsländer wohl noch ein wenig feilen, bis die Staats- und Regierungschefs sie bei ihrem Gipfel am 29. April absegnen. Damit kann dann Michel Barnier, der auf EU-Seite die Verhandlungen führt, loslegen. Der erfahrene Franzose ist von der EU-Kommission zum Chefunterhändler ernannt worden. Die Kommission ist als Hüterin der Verträge zuständig dafür, die Trennungsgespräche zu führen. Und: Nur die Kommission verfügt über den nötigen Sachverstand im EU-Beamtenapparat, denn europäische Handelspolitik wird in Brüssel gemacht. Das ist auch ein Problem für Großbritannien: In den Londoner Ministerien fehlen erfahrene Fachleute, die Handelsabkommen vorbereiten können.

Wie ist die EU vorbereitet?

Barnier hat aus dem Beamtenapparat der Kommission 30 Spitzenleute herausgepickt, die ihm zur Seite stehen. Im EU-Jargon heißt Barniers Truppe „Taskforce 50“. Sein Vize in der TF50 ist die Saarländerin Sabine Weyand. Die Politologin, die seit 1994 in der Kommission arbeitet und zuletzt Vize-Direktorin in der Handelsabteilung war, wird die operative Arbeit führen, Papiere anfordern und Arbeitsaufträge vergeben. Das TF50-Organigramm hat drei inhaltliche Referate für Handel, Haushalt und Binnenmarkt. Hinzu kommt noch eine Abteilung für Strategie und Kommunikation.

Drohen Geheimverhandlungen?

Nein, jedenfalls nicht aus Brüsseler Sicht. Transparenz ist Barnier wichtig. Der Eindruck von Hinterzimmergesprächen soll unbedingt vermieden werden. „Diese Verhandlungen können nicht im Geheimen ablaufen“, sagte Barnier letzte Woche, als er erstmals seine Pläne öffentlich umriss. Im Netz soll permanent nachgelesen werden können, wie es gerade um die Verhandlungen zwischen London und Brüssel steht. Es geht wohl auch darum, anderen die Lust am Ausstieg aus der EU zu verderben: „Wir müssen unseren Bürgern die Wahrheit sagen, was Brexit bedeutet“, sagt Barnier.

Wie ist der Zeithorizont?

In Brüssel rechnet man damit, dass die eigentlichen Verhandlungen frühestens Ende Mai losgehen. Bislang hat die EU eisern daran festgehalten, dass es keine Vorverhandlungen mit London geben darf. Nicht einmal formale Fragen sind geklärt. In Brüssel geht man indes selbstbewusst davon aus, dass die britische Delegation sich für jede Verhandlungsrunde nach Belgien wird begeben muss. "Brüssel ist die Hauptstadt der EU, das ist der richtige Ort", sagt ein EU-Diplomat. Die Trennungsgespräche werden sich bis in den Herbst 2018 hinziehen. Die restlichen Monate werden benötigt, damit das Trennungsdokument vom Europaparlament beschlossen und in den 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert wird. Die Zeit ist also knapp. Die Sache könnte auch ohne belastbare Übergangsvereinbarung enden. May sagt: „Kein Deal ist besser als ein schlechter Deal.“ Und Johnson meint, ein Ausstieg ohne Folgevereinbarung wäre für die britische Wirtschaft „völlig in Ordnung“. Barnier jedoch warnt ausdrücklich davor: „Das No-Deal-Szenario ist nicht unser Szenario.“ Er hat bereits durchblicken lassen, dass er ein Drehbuch für die Verhandlungen hat. Zuerst soll über die Bedingungen für die Scheidung gesprochen werden. Das betrifft nicht zuletzt die finanziellen Austrittsfragen. Erst wenn sich beide Seiten da einig sind, könne man über die gegenseitigen Beziehungen nach der Trennung reden. Barnier macht deutlich, dass Großbritannien sich auch im Übergang keine Rosinen herauspicken kann: „Wir werden bestimmt sein, wir werden freundlich sein, wir werden aber niemals naiv sein.“

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