Brexit: EU-Haushaltspolitikerin Gräßle: „Ich verlange, dass London sich bekennt“
Die EU will Großbritannien eine dicke Rechnung präsentieren. Wie hoch die sein wird, erklärt Inge Gräßle, Haushaltsausschussvorsitzende, im Interview.
Frau Gräßle, bald beginnen die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU. Welches Signal erwarten Sie von der Gegenseite zum Start der Scheidungsverhandlungen?
Nun, es ist ja nicht so, dass man aus der EU austreten kann wie aus einem Golfclub, indem man die Mitgliedschaft aufkündigt, und dann ist man raus. Ich verlange, dass London sich zu Beginn der Brexit-Verhandlungen dazu bekennt, dass es finanzielle Verpflichtungen über das Scheidungsdatum hinaus zu erfüllen gilt. Die Summen, um die es geht, wird Großbritannien nicht auf einen Schlag aufbringen wollen und können. Ich erwarte aber, dass London deutlich macht, dass am Ende der Verhandlungen ein Zahlungsplan für die Unterhaltsverpflichtungen des Vereinigten Königreiches steht.
Über welche Summen reden wir bei der Scheidungsfolgenvereinbarung?
Es gibt auf der einen Seite Zahlungsverpflichtungen, die die Briten für die Zukunft eingegangen sind und die sie einlösen müssen. Und es gibt auf der anderen Seite die Anteile am Vermögen der EU, also am Tafelsilber, die den Briten zustehen. Beide Posten werden miteinander verrechnet, am Ende kommt man auf mindestens 57 Milliarden Euro, die London Brüssel schuldig sein wird.
Wie hoch sind die Zahlungsverpflichtungen, und wie setzen sie sich zusammen?
Für die EU-Programme sind aus der Vergangenheit und für die Zukunft noch eine halbe Billion Euro bis 2023 abzufinanzieren. Die Briten haben sich mit dem Rest der EU einstimmig darauf verständigt. Außerdem gibt es langlaufende Verpflichtungen auf 30 Jahre, etwa für Pensionen. Da kommen knapp 64 Milliarden Euro zusätzlich auf die Rechnung. Ich erwarte, dass London nicht nur die Lasten für die vier Prozent britischen Pensionäre übernimmt, sondern seinen prozentualen Anteil von 12,5 Prozent an allen bislang aufgelaufenen Pensionsverpflichtungen.
Wie hoch ist das Vermögen der EU, und welchen Anteil darf Großbritannien daran geltend machen?
An Vermögen hat die EU erschreckend wenig. Die Immobilien mit Grund und Boden der Institutionen in Brüssel, Straßburg, Luxemburg sowie die diplomatischen Vertretungen sind etwa 2,15 Milliarden Euro wert. Hinzu kommen Sachwerte in Höhe von 6,55 Milliarden Euro in Form von Computern, Fahrzeugen oder – Stand bei der letzten Zählung: 47000 Weinflaschen. Der britische Anteil an diesem Vermögen liegt bei weniger als einer Milliarde – das wirkliche Kapital der EU liegt doch in der Zusammenarbeit und den gemeinsamen Politiken!
Inge Gräßle (CDU) ist Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses des Europaparlaments.