56. Münchner Sicherheitskonferenz: Brauchen wir diesen „Westen“ noch? Wenn ja, wofür?
Wahljahr USA, mit offenem Ausgang. Europa ohne Kompass. Und nun ein Deutschland, das mit sich selbst beschäftigt ist. Eine muntere Sicherheitskonferenz naht.
Über kaum ein Thema wurde in den vergangenen Jahren in außenpolitischen Kreisen öfter und leidenschaftlicher diskutiert als über „den Westen“. Gemeint war stets die transatlantische Werte- und Sicherheitsgemeinschaft. Brauchen wir diesen „Westen“ noch? Wenn ja, wofür? Oder ist er am Ende, weil sich seit der Wahl von Donald Trump als US-Präsident und dem Aufstieg Chinas zu einer globalen Macht alle Gewichte verschoben haben? Über der ganzen Debatte liegt auch ein Hauch von Nostalgie.
Die Überschrift zur diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz, die am Freitag beginnt, lautet „Westlessness“, auf Deutsch vielleicht „West-Losigkeit“. Das klingt sperrig und etwas bemüht. Gefördert werden soll eine Sicht aufs Grundsätzliche: Wer sind künftig die ordnenden Mächte? Es geht um eine Revitalisierung des transatlantischen Bündnisses, eine Stärkung der Europäischen Union, aber auch um Demokratie, Liberalismus, Marktwirtschaft und Freiheit.
Die Münchner Sicherheitskonferenz, ehemals Wehrkundetagung und „transatlantisches Familientreffen“ genannt, ist längst das wichtigste Expertentreffen zur globalen Sicherheitspolitik weltweit. In diesem Jahr findet sie zum 56. Mal statt.
Der Westen, das war einmal
Rund vierzig Staats- und Regierungschefs werden erwartet sowie etwa hundert Außen- und Verteidigungsminister. Aus den USA reisen Außenminister Mike Pompeo und Verteidigungsminister Mark Esper an, aus China Außenminister Wang Yi. Aus Deutschland wird mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Außenminister Heiko Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gerechnet. Geleitet wird die Konferenz seit 2009 vom „ehrlichen Makler“ und ehemaligen Top-Diplomaten Wolfgang Ischinger.
Politisch tritt der „Westen“, laut Ischinger das Rückgrat der Weltordnung, kaum noch in Erscheinung. Das hat auch, aber nicht nur, mit Trump zu tun. Seine Politik der „disruption“ – die Aufkündigung von Rüstungskontrollverträgen, Klimaschutzabkommen, Landminenverbot und dem Atomabkommen mit dem Iran – hat die einstigen europäischen Partner irritiert und von der US-Regierung entfremdet. Die Renationalisierung wird als Rückschritt wahrgenommen. Hinzu kommt eine oft schwer berechenbare Pendelei Trumps zwischen Rückzug seines Landes aus neuralgischen Brennpunkten und einem verstärkten Engagement.
Das Schicksal Syriens etwa scheint die US-Regierung vollends in die Hände von Baschar al Assad, Wladimir Putin, Hassan Rohani und Recep Tayyip Erdogan gelegt zu haben. Die Kurden in der Region, einst treue Verbündete der USA im Kampf gegen den „Islamischen Staat“, haben an Bedeutung verloren. Wie lange US-Truppen noch in Afghanistan stationiert sein werden, steht in den Sternen. Für die Malaise in Libyen interessiert sich das Weiße Haus nicht.
Wird Trump wiedergewählt?
Auf der anderen Seite steht die Politik der „maximalen Härte“ und des „maximalen Drucks“ gegenüber dem iranischen Regime. Trump und die Mullahs provozieren einander, und für Außenstehende ist nicht ganz ersichtlich, wohin die Entwicklung gehen soll. Kann das Regime in Teheran in die Knie gezwungen werden? Kaum jemand glaubt daran, dass noch in dieser Amtsperiode Trumps ein neues Atomabkommen verhandelt werden kann.
Insofern liegt über dieser Sicherheitskonferenz ein großes Fragezeichen, über das alle Beteiligten, ob Iran, Russland, China oder die Europäische Union, allenfalls spekulieren können: Wird Trump wiedergewählt? Ist dies womöglich die letzte Konferenz, an der seine Vertreter teilnehmen? Davon hängt ab, ob man auf Zeit spielen kann, sich aufs Abwarten und Schadensbegrenzung konzentriert. Oder aber ob das Prinzip, je nach Lage wechselnde Koalitionen von Willigen zu bilden, die traditionellen Bündnisse langfristig ersetzt.
Der zweite, ebenfalls grundsätzliche Schwerpunkt der Konferenz bildet die Reform der Europäischen Union. Ischinger selbst hat soeben in einem Tagesspiegel-Interview erneut für die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip in der EU plädiert. „Wenn wir nicht schneller, klarer und mutiger bei außenpolitischen Entscheidungen werden“, sagte er, „dürfen wir uns nicht wundern, dass wir bei Konflikten in unserer Nachbarschaft machtlos aussehen, siehe Syrien, siehe Libyen.“
Erstmals kommt auch Macron
Dazu passt die Initiative von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, über eine gemeinsame Nuklearstrategie zu reden, um Europas Abschreckungsfähigkeit zu stärken. Erstmals will auch Macron an der Sicherheitskonferenz teilnehmen. Vor einigen Monaten hieß es von ihm noch, die Nato sei „hirntot“, jetzt beteuert er: „Die Nato ist der wichtigste Pfeiler der Sicherheit Europas.“
Allerdings ist unklar, ob und inwieweit Macron die Verfügungsgewalt über seine rund 300 nuklearen Sprengköpfe mit europäischen Partnern zu teilen bereit ist. Bislang behält sich Frankreich die souveräne Entscheidung über deren Einsatz ausdrücklich vor. Etwas konkreter könnte Macron also werden.
Zu einem Trump, dessen Wiederwahl ungewiss ist, gesellt sich ein Europa, das bei weiterhin schwelenden Währungs- und Flüchtlingskrisen die Folgen des Brexits ebenso verdauen muss wie die Festigung illiberaler Demokratien von Polen bis Ungarn. Und zu schlechter Letzt kommt nun noch ein Deutschland hinzu, das in den kommenden Wochen und Monaten von parteiinternen Rankünen und großkoalitionären Streitereien geschüttelt und durch Introspektion gelähmt sein könnte.