Interview mit Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul: „Wir sollten uns an nuklearer Abschreckung beteiligen“
Unions-Fraktionsvize Wadephul fordert mehr Einsatz von Deutschland. Im Interview spricht er über Verantwortung in der Welt und das Zögern der SPD.
Johann Wadephul (56) ist Vizechef der Bundestagsfraktion der Union. Der CDU-Politiker ist zuständig für Außen- und Verteidigungspolitik. Seit 2009 ist er Mitglied des Bundestags. Davor war er Fraktionschef in Schleswig-Holstein.
Herr Wadephul, die französische Regierung klagt, die Deutschen hätten ihr Versprechen von der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 nicht wahrgemacht, wonach sie mehr außen- und sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen wollten. Sind unsere engsten Partner zu Recht enttäuscht?
Die Franzosen erwarten zu Recht mehr von uns. Zunächst hat die deutsche Politik ja durchaus mutige Entscheidungen getroffen. Um den Völkermord an den Jesiden durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zu verhindern, haben wir uns entschieden, den kurdischen Peschmerga-Kämpfern Waffen zu liefern und sie auszubilden. Außerdem liefern deutsche Flugzeuge Bildmaterial für den Kampf gegen den IS. Das Mandat läuft noch bis Ende März. Das war ein verheißungsvoller Auftakt, dem leider wenig gefolgt ist. Deutschland ist sicherheitspolitisch weitgehend tatenlos geblieben.
Wer trägt denn die Verantwortung dafür, dass so wenig passiert ist?
An den Bürgern lag es nicht. Umfragen zeigen, dass die Bereitschaft der Deutschen zu einer aktiveren Außen- und Sicherheitspolitik in den vergangenen sechs Jahren gestiegen ist. Wenn CDU und CSU nun fordern, dass Deutschland seiner Verantwortung gerecht wird, können wir auf Unterstützung zählen. Unsere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat Vorschläge gemacht, wie das gehen könnte – mit der Einrichtung einer internationalen Schutzzone in Syrien oder indem wir mit Partnern Flagge zur Verteidigung der Freiheit der Handelsschifffahrt in der Straße von Hormus oder in Ostasien zeigen.
Und warum passiert das dann nicht?
Die SPD ist nicht bereit, in der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts anzukommen und Antworten auf die neuen Gefahren zu geben. Wer im wirtschaftlich stärksten Land Europas Regierungsverantwortung trägt und den Außenminister stellt, müsste doch willens und in der Lage sein, mehr sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen.
Spricht die Vorbereitung und Ausrichtung der Libyen-Konferenz nicht gegen Ihre These vom Versagen des Außenministers?
Die Libyen-Konferenz war wichtig und erfolgreich vor allem dank des großen Einsatzes der Bundeskanzlerin. Als Folge davon können noch schwierige sicherheitspolitische Aufgaben auf uns zukommen. Ich bin gespannt, ob der Außenminister dann immer noch die Unterstützung seiner Fraktion hat. Bei vielen anderen Problemen tun wir zu wenig.
Frankreich drängt darauf, dass sich die Bundeswehr am Kampf gegen Terroristen in der Sahel-Zone beteiligt. Ist das wirklich unser Problem?
Allerdings. Die Sicherheitslage in der Sahel-Zone ist besorgniserregend. Die dortigen Staaten zeigen sich hilflos. Es geht um die Region, durch die sich Migrationsströme bewegen. Zwischen Nordafrika und Europa liegt nur das Mittelmeer. Es ist im Sicherheitsinteresse Deutschlands, dass dieses Problem eingedämmt wird. Deshalb sollten wir unseren Beitrag leisten. Der würde qualitativ und regional über das hinausgehen, was wir im Moment machen, nämlich das Militär in Mali auszubilden. Wir brauchen einen konsequenten Einsatz im Kampf gegen die Terroristen.
Hat die Bundeswehr die Fähigkeit zu dem robusten Mandat, das Ihnen vorschwebt?
Ja! Denken Sie etwa an das Kommando Spezialkräfte (KSK). Das Sicherheitsproblem in der Sahel-Zone ist so dringend, dass wir dorthin Einheiten der Bundeswehr mit einem erweiterten Auftrag schicken könnten, die in anderen Regionen nicht mehr unbedingt benötigt werden. Dafür brauchen wir allerdings eine belastbare völkerrechtliche Grundlage.
Ist eine Ausweitung des Militäreinsatzes die richtige Antwort auf die Probleme der Region? Experten warnen, man solle nicht Strukturen stärken, unter denen die Menschen in der Sahel-Zone leiden …
Das halte ich für eine Ausrede. Wir engagieren uns in der Entwicklungszusammenarbeit. Wir leisten Unterstützung, um im Sinne unseres umfassenden Sicherheitsbegriffs zuverlässige staatliche und soziale Strukturen zu schaffen. Was im Moment fehlt, ist eine effektive Sicherheitsstruktur. Wenn wir dieses Problem nicht lösen, lösen wir auch die anderen nicht.
Wäre eine Ausweitung des Einsatzes in der Sahel-Zone auch ein weiterer Schritt hin zu einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik?
Wir sind zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik womöglich eher bereit, als manche andere EU-Länder. Wir sind für Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außenpolitik und wir wollen einen gemeinsamen europäischen Sicherheitsrat. Ich hoffe, dass diese Idee auch von Paris unterstützt wird. Gleichzeitig sollte Deutschland mehr in der Sahel-Zone tun, zumal Staaten wie Tschechien oder Estland den Franzosen dort militärisch helfen.
Jenseits des Einsatzes in der Sahel-Zone: Wie könnte Deutschland die außen- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Frankreich stärken?
Wer ein guter Europäer sein will, darf nicht nur in der Umweltpolitik zusammenarbeiten, sondern muss das auch in der Rüstungspolitik tun. Nicht nur die Franzosen wehren sich dagegen, dass Deutschland den EU-Partnern seine sehr restriktiven Exportrichtlinien aufdrängen will. Wer in Sonntagsreden Europa beschwört, sollte seine eigenen Maßstäbe nicht absolut setzen.
Sie reden wieder von Ihrem Koalitionspartner, der SPD?
Die SPD muss einsehen, dass eine allein deutsche Rüstungsexportpolitik Europa nicht voranbringt. Sie sollte nicht in nationalem Denken verharren. Wir sollten mit den EU-Partnern zu gemeinsamen Regeln kommen.
Frankreich verfügt mit der „Force de frappe“ im Gegensatz zu den Deutschen über eigene Atomwaffen. Müssen die nicht einbezogen werden, wenn die EU in der Außen- und Sicherheitspolitik wirksamer werden soll?
Unbedingt. Wir müssen eine Zusammenarbeit mit Frankreich bei den Nuklearwaffen ins Auge fassen. Deutschland sollte bereit sein, sich mit eigenen Fähigkeiten und Mitteln an dieser nuklearen Abschreckung zu beteiligen. Im Gegenzug sollte Frankreich sie unter ein gemeinsames Kommando der EU oder der Nato stellen.
Woher kommt Ihre Hoffnung, dass Paris dazu bereit sein könnte?
Weil nationales Denken in dieser Welt die EU auf Dauer nicht sicherer machen wird. Präsident Emmanuel Macron hat uns mehrfach aufgefordert, mehr Europa zu wagen. Er könnte nun zeigen, dass auch er dazu bereit ist. Ich mache mir keine Illusionen. Das wird seine Zeit brauchen. Aber die Debatte muss jetzt beginnen.
Macron zu überzeugen wird schwer genug. Können Sie auch die SPD von diesem Plan überzeugen?
Ich beobachte, dass die politische Linke in Deutschland auf diese Debatte mit Ausflüchten reagiert. Ausflüchte sorgen aber nicht für mehr Sicherheit. Die Realität ist, dass wir eine atomare Abschreckung benötigen. Es ist in deutschem Interesse, dass wir auf die nukleare Strategie Einfluss nehmen können, die uns schützt. Es wäre klug, das auch mit Frankreich zu versuchen.