Debatte um gesamteuropäische Kernwaffen: Macron lädt EU-Staaten ein, an französischen Atomübungen teilzunehmen
Unionsfraktionsvize Johann Wadephul hatte vorgeschlagen, Frankreichs Atomwaffen unter EU-Kommando zu stellen. Das sagt Frankreichs Präsident Macron.
Emmanuel Macron hatte sich einen passenden Ort ausgesucht, um seine Rede zur französischen Nukleardoktrin zu halten. Vor 600 Zuhörern in der Pariser „École de Guerre“, wo Generäle und Stabsoffiziere ausgebildet werden, bekannte sich Frankreichs Präsident am Freitag zur atomaren Verteidigungskapazität, über die Frankreich seit 60 Jahren verfügt.
Es gehört zu den Aufgaben eines französischen Präsidenten, die französische Nukleardoktrin im Verlauf der Amtszeit in einer Grundsatzrede vorzustellen und gegebenenfalls an die Weltlage anzupassen. Diesmal war Macrons Rede vor allem in Deutschland mit Spannung erwartet worden.
Unionsfraktionsvize Johann Wadephul hatte zu Beginn der Woche in einem Interview im Tagesspiegel vorgeschlagen, dass Frankreich seine „Force de Frappe“ unter ein gemeinsames Kommando der EU oder der Nato stellen solle. Im Gegenzug solle Deutschland bereit sein, „sich mit eigenen Fähigkeiten und Mitteln“ an einer deutsch-französischen Zusammenarbeit zur nuklearen Abschreckung zu beteiligen, hatte der CDU-Politiker gefordert.
Staatschef nimmt Vorschlag aus Deutschland nicht auf
Macron ist der Oberbefehlshaber der französischen Armee und damit für den möglichen Einsatz von Nuklearwaffen verantwortlich. Dies ist auch der Grund, warum der Präsident in seiner Rede den Vorschlag Wadephuls zu einer Unterstellung der französischen Atomwaffen unter die EU oder die Nato mit ihren zahlreichen Entscheidungsträgern nicht aufnahm.
Allerdings sagte Macron, dass die alleinige Kommandogewalt des französischen Staatsoberhaupts keineswegs unvereinbar mit „unserer unerschütterlichen Solidarität mit unseren europäischen Partnern“ sei. „Frankreichs vitale Interessen haben ab jetzt eine europäische Dimension“, betonte der Staatschef. Macron bot den Europäern einen „strategischen Dialog“ über die atomare Abschreckung an. Der Staatschef lud die EU-Partner ein, an Übungen der französischen Atomstreitkräfte teilzunehmen.
Macrons Gesprächsangebot richtet sich neben Deutschland in erster Linie an die osteuropäischen EU-Partner, die sich von Russland zunehmend bedroht sehen. Bei einem Besuch in Warschau hatte Macron zu Beginn der Woche die Verpflichtung der Europäer gegenüber Polens Sicherheitsinteressen betont.
Zusammenarbeit mit London soll aufrecht erhalten bleiben
Gleichzeitig betonte Macron, dass weder die Nato noch die verteidigungspolitische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Großbritannien in Frage gestellt werden sollen. Mit Blick auf die im Londoner Lancaster House 2010 geschlossenen Verträge erklärte Macron, dass Frankreich die mit Großbritannien vereinbarte Kooperation entschlossen fortsetzen werde. Der Brexit ändere nichts daran, fügte der Staatschef hinzu.
Derweil gab es in der CSU Kritik an Macrons Vorstoß. „Wer meint, den amerikanischen Schutzschirm durch einen französischen ersetzen zu können, läuft einer Schimäre hinterher“, sagte der Bundestagsabgeordnete Christian Schmidt dem Tagesspiegel.
„Bisher besteht kein Zweifel an der strategischen Verlässlichkeit der USA“, sagte der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium zur Begründung. Die EU dürfe sich nicht einreden, bei der Abschreckung und Abrüstung autonom werden zu können, so Schmidt.
Eine finanzielle Beteiligung der EU-Partner an Frankreichs Atomwaffenkapazität ist offenbar nicht das Ziel von Macron Vorstoß. Frankreichs laufende militärische Planung sieht zwischen 2019 und 2025 rund 37 Milliarden Euro für den Unterhalt und die Erneuerung des Atomwaffenarsenals vor. Damit ist der Anteil der Ausgaben für die „Force de Frappe“ am Verteidigungsbudget so hoch wie nie; er liegt inzwischen bei 12,5 Prozent der Wehretats.
Forderung nach Europäisierung der französischen Nuklearwaffen ist nicht neu
Der Ruf nach einer europäischen Teilhabe an der „Force de Frappe“ ist in den vergangenen Jahren immer wieder laut geworden. Vor einem Jahr hatte Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, eine „Europäisierung des französischen Nuklearpotenzials“ gefordert.
„Es geht darum, ob und wie Frankreich imstande sein könnte, seine Nuklearkapazität strategisch zum Vorteil der gesamten EU zur Verfügung zu stellen“, hatte Ischinger gesagt. Ischinger hatte allerdings auch betont, dass die Entscheidung über den Einsatz von Nuklearwaffen beim französischen Präsidenten bleiben werde.