Ausgewiesen aus Venezuela: Botschafter im Wartestand
Der aus Venezuela ausgewiesene Diplomat Daniel Kriener lebt in Berlin aus dem Koffer - und hofft auf eine schnelle Rückkehr an seinen Arbeitsplatz.
Er wirkt ein bisschen wie eine Mischung aus Vertrauenslehrer, Seelsorger und gutem Kumpel. Daniel Kriener ist ein nachdenklicher Mann. Einer, der bei aller spürbaren Zurückhaltung gegenüber den ihm Unbekannten offensichtlich schnell Vertrauen aufbauen kann. Sein Händedruck ist auch so. Der Mann strahlt Haltung und Standhaftigkeit aus. Haltung, die er zuletzt als deutscher Botschafter in Venezuela zeigte. Zusammen mit Diplomaten aus zwölf weiteren Ländern hatte er am 4. März auf dem Flughafen von Caracas den von einer Auslandsreise zurückkehrenden Interimspräsidenten Juan Guaidó begrüßte. Es war ein ungewöhnlicher Schritt. Kriener tat ihn auf ausdrücklichen Wunsch des deutschen Außenministers. Er und seine Kollegen bildeten in diesem Moment nicht nur im übertragenen Sinne so etwas wie ein lebendes Schutzschild für Guaidó – denn ihre Anwesenheit sollte verhindern, dass der Hoffnungsträger der venezolanischen Opposition von uniformierten Kräften des amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro verhaftet wurde.
Ob Maduro, der sich nach Ansicht vieler Staaten – auch der Bundesrepublik – illegal, weil nicht vom Parlament bestätigt, im Amt befindet, einen solchen Coup geplant hatte – niemand weiß es. Aber klar war, dass das Empfangskomitee aus internationalen Diplomaten eine solche Aktion unmöglich machte. Auch Maduros Militär und die Polizei hätten nicht gewagt, unter den Augen von Journalisten und Kameras aus aller Welt Guaidó mitten aus einer Gruppe von Botschaftern und Geschäftsträgern heraus zu verhaften.
Daniel Kriener war der Einzige der dreizehn, der anschließend zur Persona non grata, zur unerwünschten Person, erklärt wurde und innerhalb 48 Stunden des Land verlassen sollte. Er habe sich, teilte ihm der venezolanische Außenminister persönlich telefonisch mit, in die inneren Angelegenheiten des Gastlandes eingemischt. Warum es ihn traf, und nicht die Botschafter Frankreichs, Spaniens, oder Portugals, die auf dem Flughafen mit dabei waren, die Geschäftsträger der USA, Chiles, Argentiniens, Brasiliens, Perus, Ecuadors und Costa Ricas? Keiner weiß es. Vielleicht, weil er sich öffentlich mit Guaidó gezeigt hatte. Vielleicht, weil er an der demokratischen Legitimität des amtierenden Präsidenten gezweifelt hatte. Vielleicht, weil dieser Daniel Kriener in seinem aufrechten Gang einfach nicht zu übersehen ist. Was man aber weiß, ist dies: dass sich das Auswärtige Amt nach den internationalen Gesetzen der Diplomatie dem beugen musste – und trotzdem, auch das ist Diplomatie, nicht nachgab. Denn Daniel Kriener wurde von Außenminister Heiko Maas zur Berichterstattung nach Berlin zurück beordert. „Das heißt aber auch, dass ich irgendwann zurückkehren soll“, sagt Kriener, „wir halten die Gesprächskanäle zu allen Seiten offen.“ Bis dahin gibt er fast täglich Vorträge zu Venezuela, spricht mit Parteien im Bundestag, mit Thinktanks, Botschaften und in Universitäten. Mit seiner Frau wohnt er in einer möblierten Übergangswohnung und beide leben aus den zwei Koffern, die sie aus Caracas mitnehmen konnten. Berlin, das ist nur vorübergehend. Man begreift das Signal.
"Wir halten die Kanäle nach allen Seiten offen"
Daniel Kriener war erst im September 2018 als Nachfolger von Stefan Herzberg nach Caracas gekommen. Der wechselte nach Peru. Zuvor war Kriener vier Jahre lang im Auswärtigen Amt Leiter des Referates für die Andenstaaten gewesen, also bestens vorbereitet für das, was ihn erwartete. Dazu bedurfte es keiner Lageberichte des Auswärtigen Amtes. In was für ein Land er entsandt wurde, steht in allen Zeitungen. Es ist ein Staat in einer existenziellen Krise. Dessen charismatischer Präsident, Hugo Chávez, führte das Land von 1999 bis zu seinem Krebstod 2013, dank des Reichtums am Rohstoff Erdöl erst zu breitem Wohlstand und dann an den Rand des Abgrunds. Venezuela und Chávez wurden zu Hoffnungsträgern der sozialistischen Staaten Südamerika, solange der Ölpreis hoch war, und beide stürzten in tiefes Elend, als der Ölpreis verfiel.
Chávez hatte die Schlüsselindustrien eines der erdölreichsten Länder der Welt verstaatlicht und die hohen Einnahmen aus dem Ölgeschäft für Sozialprogramme genutzt. Er beteiligte die bislang benachteiligten Schichten des lange autokratisch und nur zum Nutzen der Oberschicht regierten Landes am Wohlstand. Es gab Wohnungsbau- und Gesundheitsprogramme nach kubanischem Vorbild. Viel Geld wurde in die Bildung investiert. Plötzlich konnten auch die Kinder der Besitzlosen Schulen besuchen und studieren. In Venezuela schien ein Traum wahr zu werden.
Solange der Ölpreis hoch war, hielt dieser Traum an. Als er aber nach 2012 abstürzte, rächte sich die Politik des gedankenlos Aus-dem-Vollen-Lebens brutal. Chávez hatte die Infrastruktur der Ölindustrie verrotten lassen und keine Reserven gebildet. Armut, Stromausfälle, Nahrungsmittelknappheit und hohe Inflationsraten waren von nun an an der Tagesordnung. Das reiche Venezuela wurde zum Armenhaus Südamerikas, und nur das von Chávez gestützte Militär blieb verschont. Vor allem die Offiziere wurden mit Dollars aus dem verbleibenden Ölgeschäft reichlich versorgt. Mit denen konnten sie und können sie bis heute auf dem Schwarzmarkt oder in geschützten Einkaufszonen alles beschaffen, was sie wollen – inklusive der Flüge in die reicheren Staaten des Halbkontinentes.
Caracas galt in den 50ern als eine der schönsten Städte Südamerikas
Das war das Venezuela, in das Daniel Kriener mit seiner Frau am Ende des Septembers 2018 kam. Caracas galt in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts als eine der schönsten Städte Südamerikas. Gelegen in einem Hochtal, umgeben von einer reichen Vegetation. Sicher kannte Kriener, der neben Volkswirtschaft und Politik auch neuere Geschichte studiert hat, die begeisterten Zeilen, die Alexander von Humboldt im November 1799 über Venezuela geschrieben hatte: „Gott! Welche Pflanzenwelt! Vögel von wunderschönem Gefieder ... Colibris, Flamingos, 30erlei Papageien ...“ Die anhaltende Bindewirkung Humboldts für das deutsch-venezolanische Verhältnis ist Kriener jedenfalls klar. „Es gibt eine breite Sympathie für Deutschland“, sagt er, „Alexander von Humboldt hat eine Tradition des gegenseitigen Respektes zwischen uns und Venezuela begründet.“
Die deutsche Botschaft befindet sich in der 10. von zwölf Etagen eines modernen Hotels im Zentrum von Caracas. Auch Briten und Portugiesen haben ihre diplomatische Vertretung im gleichen Haus, was die europäische Kommunikation in turbulenten Zeiten erleichtert. Die Residenz des Botschafters liegt in einer gut bewachten und durch einen elektrischen Zaun geschützten Villa. Natürlich bewegen sich Diplomaten in einem solchen Land immer in einer Blase. Das allgemeine Elend schlägt nicht auf ihre Lebensverhältnisse durch. Aber Daniel Kriener kennt sie. Auf den Straßen sieht man Menschen, deren Bekleidung ihnen zwei Nummern zu groß ist – eine Folge des Hungers, unter dem sie leiden. „Vom Mindestlohn kann man sich nicht einmal für eine Woche Essen kaufen“, sagt er und fügt aber gleich hinzu: „Die Menschen sind trotz aller Not offen, alle rufen zur Gewaltlosigkeit auf.“ Nicht nur die Deutschen tun etwas, aber: „Wir haben Hilfsprogramme aufgelegt, wir unterstützen lokale Initiativen, die zum Beispiel Schulspeisungen organisieren.“
Vielleicht ist es irrig, bei einem fast 60-jährigen Diplomaten mit umfassenden Erfahrungen in vielen Ländern Mutmaßungen über die prägende Kraft des Elternhauses anzustellen. Aber es nicht zu tun hieße, bei der Spurensuche blind zu sein. Daniel Kriener wurde als vierter von fünf Söhnen eines deutschen Geistlichen im Auslandspfarramt 1960 in Beirut geboren. Nach dem Abitur meldete er sich als Freiwilliger zur Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste in Birmingham und im Umfeld der Kathedrale von Coventry. Er studierte auch Polnisch und verbrachte 1989 und 1990 dank eines Forschungsstipendiums an der Akademie der Wissenschaften in Warschau. 2001 bis 2006, also in den Jahren von 9/11, lebte er in den USA, war als Austauschbeamter im State Department und dann unter Wolfgang Ischinger an der deutschen Botschaft in Washington. Einer, der Freiheit und Verantwortung gelebt hat. Man versteht, warum er unbedingt nach Venezuela zurückkehren will.