zum Hauptinhalt
Ein Hinweisschild auf ein VW-Werk an einer Straße in Silao (Mexiko).
© Friso Gentsch/dpa

Neue Kooperationsoffensive geplant: Die Bundesregierung entdeckt ihr Interesse für Lateinamerika

China baut systematisch seinen Einfluss auch in Ländern wie Brasilien und Mexiko aus, investiert Milliarden. Langsam wacht auch die Bundesregierung auf.

Es ist schon etwas erstaunlich, dass die Bundesregierung erst jetzt wieder Lateinamerika entdeckt – die Region steht Europa kulturell und von der demokratischen Entwicklung her mit am nächsten. Der unsichere Kantonist Donald Trump, unsichere Märkte vom Nahen Osten bis Afrika und vor allem immer weniger vertrauenswürdige Partner in der internationalen Politik führen nun zu einer großen Lateinamerika-Offensive in Berlin. Eine Reise von Außenminister Heiko Maas (SPD) nach Brasilien, Kolumbien und Mexiko vom 28. April bis 2. Mai bildet dabei den Auftakt.

Ende Mai soll die Zusammenarbeit mit den rund 30 Staaten der Region dann mit einer gemeinsamen Konferenz und einem in einer Erklärung festgehaltenen Arbeitsplan in Berlin neu justiert werden. Maas hat seine Amtskollegen aus Lateinamerika und der Karibik dazu in das Auswärtige Amt geladen.

Das „Aufwachen“  hat auch mit den Milliardeninvestitionen Chinas zu tun – selbst die USA haben nicht mehr viel zu melden im „Hinterhof“. Abkommen Chinas über Investitionen in Höhe von 50 Milliarden Euro mit Brasilien, eine geplante Eisenbahnlinie vom Atlantik zum Pazifik, komplett neue Straßen und Flughäfen in Ecuador für einen Zugriff auf Ölquellen, dazu Patron Venezuelas. China baut den Einfluss auch dort rasant aus. Huawei dominiert schon den Mobilfunkmarkt in Ländern der Region – man liefert Know-How für Überwachungstechnik und zwischen China und Chile wird ein Glasfaserkabel geplant.

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping baut systematisch den Einfluss aus. Mit Sorge wird in Europa beobachtet, wie China dadurch auch Länder Lateinamerikas bei Abstimmungen etwa im UN-Menschenrechtsrat auf seine Seite zieht. Bisherige Alliierte im Kampf für mehr Menschenrechte und Multilateralismus gehen verloren. Hinzu kommt auch ein starkes Engagement Russlands, etwa im Bereich der Rüstungsgüter und beim Ausbeuten von Öl- und Gasreserven, Staaten wie Bolivien bieten Moskau Atompartnerschaften an.

VW betreibt Werke in Mexiko und Brasilien

Im Auswärtigen Amt wird auch auf die langen, traditionell guten Beziehungen zu fast allen Staaten der Region verwiesen – darauf will man nun mit der neuen Kooperationsoffensive aufbauen. Deutsche Unternehmen wie Siemens sind seit Jahrzehnten in Mittel- und Südamerika aktiv, VW betreibt riesige Werke in Mexiko und Brasilien. Doch gerade jetzt, wo sich die Konjunktur eintrübt und andere Märkte unsicher werden – Stichwort Trumps Strafzolldrohungen - , versucht man hier stärker Fuß zu fassen.

Die EU-Kommission setzt auf einen baldigen Abschluss eines bereits seit 1999 verhandelten Freihandelsabkommen für rund 800 Millionen Menschen mit dem Wirtschaftsbündnis Mercosur (Uruguay, Paraguay, Brasilien, Argentinien). Ein Knackpunkt ist die Frage der Agrarexporte.

Außenminister Heiko Maas reist nach Brasilien, Kolumbien und Mexiko.
Außenminister Heiko Maas reist nach Brasilien, Kolumbien und Mexiko.
© Michael Kappeler/dpa

Ein großes Sorgenkind neben der oft investitionshemmenden Bürokratie und fehlender Doppelbesteuerungsabkommen etwa mit Brasilien sind Gewalt sowie die weitgehende Straflosigkeit wie in Mexiko. 35 Prozent aller Tötungsdelikte werden in Lateinamerika verübt – der Anteil der Einwohner Lateinamerikas an der Weltbevölkerung liegt bei acht Prozent. Aber dennoch darf nicht vergessen werden: Historisch gesehen und wenn man auf Kriege und Konflikte schaut, ist es eine der friedlichsten und stabilsten Regionen der Welt.

Millionen Flüchtlinge aus Venezuela

Aber eine große Herausforderung ist aktuell der ungelöste Venezuela-Konflikt, der schon über drei Millionen Menschen in die Flucht getrieben hat. Bisher gibt es keine offizielle Verlautbarung, ob zu der Berliner Konferenz  auch Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza eingeladen wird. Aber da man den sozialistischen Staatschef Nicolás Maduro nicht mehr als legitimen Präsidenten ansieht, sondern dessen Widersacher , den Präsidenten des entmachten Parlaments, Juan Guaidó, als Übergangspräsidenten anerkannt hat, dürfte er wohl außen vor bleiben.

Die Parteinahme für Guaidó ist für die in inneren Angelegenheiten eigentlich neutrale deutsche Diplomatie ein ungewöhnlicher Akt gewesen. Der Deutsche Botschafter in Caracas, Daniel Kriener, wurde von Maduros Regierung rausgeworfen. Aber Guaidós Gesandter in Berlin, Otto Gebauer, wird dennoch vom Auswärtigen Amt nicht als neuer Botschafter anerkannt – man pflegt enge informelle Kontakte.

Maduro hält sich an der Macht

Das Thema ist etwas aus den Schlagzeilen verschwunden, Maduro und das Militär halten sich an der Macht, während Menschen im ölreichsten Land der Welt an Hunger sterben. Das Thema wird Maas auch auf seiner Reise begleiten. Kolumbien hat allein mehr als eine Million Venezolaner aufgenommen.

Ausgerechnet das langjährige Konfliktland gilt nach dem Friedensschluss mit der Farc als ein neuer Hoffnungsträger, der Tourismus floriert - wenn die Regierung es schafft, den Kokainhandel einzudämmen und ein Entstehen neuer Gewaltakteure in früheren Farc-Gebieten zu verhindernb, gilt Kolumbien schon als ein möglicher neuer "Tigerstaat" in der Region.

Problemfall Venezuela: Nicolas Maduro hält sich an der Macht.
Problemfall Venezuela: Nicolas Maduro hält sich an der Macht.
© Miraflores Palace/Reuters

Eine große Unbekannte bei der neuen Lateinamerika-Offensive Berlins ist das größte Land des Doppelkontinents. In Brasilien regiert der ultrarechte Jair Bolsonaro. Bisher gibt es keine Ansage aus Berlin, ob die 2015 aufgenommen deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen fortgesetzt werden.

Klimaschutz nicht mehr im Fokus

Brasilien war lange Zeit ein Schlüsselland im Ringen um mehr Klimaschutz und zur Stärkung des Multilateralismus, die UN-Mission in Haiti wurde sogar von dem Land angeführt. Nun gibt Bolsonaro der Polizei quasi einen Freifahrtschein, um hart gegen Drogengangs vorzugehen. Und im Amazonasgebiet werden Indigene getötet oder aus ihren Lebensräumen vertrieben, um noch mehr Regenwald abzuholzen.

Gesche Jürgens, Wald-Expertin bei Greenpeace, sagt: „Verlieren wir den Amazonas-Regenwald, dann verlieren wir auch den Kampf gegen die Klimakrise.“ Es liege in der Mitverantwortung Deutschlands, dass die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes verhindert wird. „Außenminister Maas muss sich gegenüber der brasilianischen Regierung klar für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes aussprechen und darf nicht dulden, dass Menschenrechte und Umweltgesetze unter den brasilianischen Regierungstisch fallen.“

Es gibt hier also viele Baustellen, aber es ist sicher ein Lichtblick, dass Deutschland der Region wieder mehr Aufmerksamkeit widmen will. Denn jenseits aller Klischees, die das Bild von Lateinamerika hierzulande oft verzerren: Das Potenzial in vielen Staaten ist enorm - das hat nicht nur Peking frühzeitig erkannt.

Zur Startseite