CDU und CSU ringen um gemeinsamen Kurs: Bis an die Grenzen
Vor ihrem Sondierungstreffen am Sonntag sind CDU und CSU noch meilenweit auseinander. Größter Knackpunkt: die Flüchtlingsfrage und der Streit um die Obergrenze
- Antje Sirleschtov
- Rainer Woratschka
Wenn nur dieses Wort nicht wäre, dieser vermaledeite Kampfbegriff. Rein inhaltlich, so sagen sie in der CDU, käme man ja womöglich auch bei der Migrationspolitik mit der renitenten bayerischen Schwester zusammen. Zu der von der CSU geforderten „Obergrenze“ für Flüchtlinge aber hat sich Angela Merkel klar und unmissverständlich festgelegt. „Ich werde sie nicht akzeptieren.“ Weil manche zweifelten, schob sie dafür vor Millionenpublikum im Fernsehen sogar noch eine „Garantie“ nach. Würde sie von diesem Versprechen jetzt wieder abrücken, wäre das ein kaum verkraftbarer Gesichtsverlust für die Kanzlerin.
Ohne Obergrenze geht nichts für die Christsozialen
Für die Christsozialen wiederum geht nichts ohne dieses Limit – nach dem Wahldesaster, das sie zuvorderst dem Unmut über die Fremden im Land zuschreiben, weniger denn je. 200.000 Flüchtlinge pro Jahr sei das Maximum, das festgeschrieben werden müsse. Unbedingt und zwar genau mit dieser Formulierung: O-Ber-Grenze.
Ohne diese Trophäe brauche man nicht nach Bayern zurückzukommen, sagen die CSU-Funktionäre unisono, denn alle – die verbliebenen Wähler, die Abtrünnigen, die man bis zur Landtagswahl in einem Jahr zurückholen müsse, und selbst die politischen Gegner – würden das als Einknicken verstehen. Die Auswirkungen wären, so ist zu hören, „verheerend“.
Fünf von der CSU, fünf von der CDU
An diesem Sonntag um zwölf treffen die Kombattanten erstmals nach der Wahl aufeinander. Unionsintern, zur Sondierung vor der Sondierung gewissermaßen, und jeweils zu fünft. Auf CDU-Seite wären das: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kanzleramtschef Peter Altmaier, Fraktionschef Volker Kauder, Generalsekretär Peter Tauber und der scheidende Finanzminister Wolfgang Schäuble. Für die CSU verhandeln Parteichef Horst Seehofer, Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Generalsekretär Andreas Scheuer, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer.
Ohne Übereinkunft zu den strittig gebliebenen Themen, so haben Seehofer und Dobrindt klargestellt, brauche man sich mit FDP und Grünen gar nicht erst zusammenzusetzen. Das waghalsige Jamaika-Experiment ohne geschlossene Unionsfront – undenkbar.
Achselzucken und Maximalforderungen
Doch auf die Frage, wie sich diese erste, vergleichsweise ja noch kleine Hürde nehmen lässt, antworten alle Beteiligten drei Tage vorher nur mit Achselzucken. Und mit ihren Maximalforderungen. Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, die nicht mitverhandeln darf, beharrt noch mal – „damit keine Hintertürchen offen bleiben oder Unklarheiten entstehen“ – auf der fixen Obergrenze. Verhandlungsteilnehmer Schäuble ist sich mit CDU-Vize Armin Laschet einig und erklärt, dass ein solches Limit im Koalitionsvertrag nichts verloren habe.
Ansonsten bewirft man sich mit Umfrageergebnissen. Die einen zitieren Allensbach, wonach knapp 60 Prozent der Bürger für ein festes Flüchtlingslimit sind. Die andern verweisen auf eine Forsa-Befragung, der zufolge es drei von vier CSU-Anhängern ihrer Partei übel nehmen würden, wenn sie Koalitionsverhandlungen am Streit über die Obergrenze scheitern ließen.
Herrmann: Das Asylrecht wird nicht infrage stellt
Und wenn überhaupt, dann sind die Annäherungsversuche überaus vorsichtig. Die Obergrenze, ließ sich Dobrindt dieser Tage vernehmen, sei ja „deutlich mehr als die Verengung auf ein Wort“. Sie habe einen „thematischen Unterbau“, und der heiße: Fluchtursachen bekämpfen, Grenzen schützen, Integration fördern, Rückführungen beschleunigen. Die Beseitigung von Fluchtursachen, so darf man weiterdenken, war doch immer ein Anliegen von Merkel. Und stärkere Integrationsbemühungen haben sich ja auch die Grünen auf die Fahnen geschrieben.
Herrmann wiederum argumentiert, dass nur ein Prozent der Antragsteller überhaupt asylberechtigt im Sinne des Grundgesetzes sei. Weil das zahlenmäßig kaum eine Rolle spiele, brauche es für eine Obergrenze auch keine Verfassungsänderung. Zudem gingen die Flüchtlingszahlen zurück. Will sagen: Man tut keinem weh mit einer Obergrenze von 200.000, braucht sie aber zur Abschreckung. Und das Asylrecht werde dadurch überhaupt nicht infrage gestellt.
Dobrindt glaubt nicht an schnelle Einigung
Ob das verfängt? Dobrindt ist realistisch genug, um von der Sonntagsbegegnung nicht gleich den großen Durchbruch zu erwarten. Er gehe davon aus, dass es mit einem Treffen nicht getan sei, sagte er dem „Focus“. Schließlich gehe es bei der unionsinternen Klärung „nicht um Kommazeichen, es geht um Grundsätzliches“.
Geklärt werden müsse im Übrigen auch noch einiges andere, heißt es in der CSU. Zum Beispiel, wie man den sozialen Ängsten der Bürger begegnen könne. Das meint nicht nur bezahlbare Wohnungen in Ballungsräumen oder bessere Alten- und Krankenpflege. Es reicht bis hin zu Überlegungen, ländliche Gebiete insbesondere im Osten strukturpolitisch aufzumöbeln.
Ländliche Gebiete im Blick
Das wiederum gefällt der großen Schwester. Fraktionschef Volker Kauder kündigte schon mal an,, die Förderung ländlicher Gebiete mit Blick auf die dort besonders erfolgreiche AfD zum zentralen Thema der Koalitionsverhandlungen machen zu wollen. Thüringens Fraktionschef Mike Mohring schwebt dafür eine Art Heimatministerium vor - wie es die Bayern bekanntlich schon haben, besetzt von Seehofers Dauerwidersacher und Kronprinz Markus Söder.
Aber auch rentenpolitisch müsse es jetzt mal vorangehen, drängeln die Christsozialen. Der Verweis auf eine Rentenkommission nach der Wahl sei möglicherweise ein Fehler gewesen. Über Europa wird womöglich ebenfalls zu sprechen sein. Schließlich hat der französische Präsident Emanuel Macron tiefgreifende Reformideen zur Zukunft der Gemeinschaft vorgetragen, über die sich CDU und CSU erst einmal verständigen müssen, bevor sie in Sondierungsgespräche mit Liberalen und Grünen gehen können.
Auch die Mütterrente kommt wieder auf den Tisch
Auf dem Zettel hat die Union zudem ein weiteres Mal die Mütterrente, ein altes Lieblingsthema der Christsozialen. Da müsse noch was passieren, erinnert man sich in der CDU an etwas zurückliegende Forderungen aus dem Süden der Republik – und ein leises Stöhnen ist zu vernehmen: Sieben Milliarden Euro im Jahr könnte auf dem Preisschild stehen, eine teure Obergrenze wäre das. Aber durchkommen, am Sonntag, das wollen die zehn Unterhändler schon. Mittags geht es los, das Ende hat man sich vorsorglich schon mal offengehalten.
Der Konflikt, sagte Fraktionschef Volker Kauder der in Bayern erscheinenden „Passauer Neuen Presse“, sei ja nun hinlänglich bekannt. „Jetzt muss der Streit endgültig gelöst werden.“ Gelöst, nicht vertagt.