Nach der Wahlschlappe in Bayern: Die CSU muss Stärke zeigen
Die Christsozialen erleben durch ihr schlechtes Wahlergebnis einen Albtraum. Nun gilt es, trotzdem zu punkten – auch nach außen.
Löwen sind von Natur aus gefährliche Tiere, aber wenn sie verwundet sind, werden sie gänzlich unberechenbar. Das gilt in freier Wildbahn genau so wie für das bayerische Wappentier, das sich die Staatspartei CSU gerne als Haustier hält. Seit dem verheerenden Wahlsonntag sind die Christsozialen so waidwund wie nie. Die CSU hat nicht nur das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren, es ist auch noch schlechter als der miese Wert der großen Schwester CDU. Horst Seehofer, Parteichef und Spitzenkandidat in spe für die Landtagswahl in einem Jahr, muss plötzlich um seine Zukunft kämpfen. Dem angeschossenen Rudelführer sitzt der Junglöwe Markus Söder im Nacken. Doch auch für Söder ist der Alte keine leichte Beute. Denn die Lage ist verzwickt – für alle.
1. DIE LAGE
„Das Wahlergebnis verträgt sich nicht mit der DNA der CSU“, befand Edmund Stoiber am Tag danach. 38,8 Prozent, ein Absturz um mehr als zehn Prozentpunkte, weit von der absoluten Mehrheit entfernt – ein Albtraum für die CSU. Dass obendrein die AfD in Bayern stärker wurde als irgendwo sonst in Westdeutschland, erschütterte die Erben von Franz Josef Strauß zusätzlich. Die Partei sah sich immer als Bollwerk gegen rechts – jetzt ist es im Sturm überrannt. Selbst wenn man das Ergebnis als Ohrfeige der bayerischen Wähler für Angela Merkel deutet, bleibt die Frage, wieso die CSU diese Wut so besonders verheerend traf.
Ein Schuldiger kam rasch in Sicht: Der Chef. Seehofer hatte vor dem Wahltag noch siegessicher posaunt, man dürfe ihn bei einer Niederlage „köpfen“. Vom Schafott mag er jetzt nichts mehr hören. Doch für Seehofers Kritiker ist klar: Die oberfeinsinnige Strategie des Chefs, erst Merkel mit dem Verfassungsgericht zu drohen und sie dann wieder zur besten aller Kanzlerinnen auszurufen, hat die Wut erst recht angestachelt.
Die Phase der Attacke war zu lang – Seehofer wütete noch gegen Merkel und forderte eine „Obergrenze“, als die Kanzlerin schon längst Asylverschärfung und Grenzkontrollen zugestimmt hatte –, die Zeit, um die auf den Baum gejagten CSU-Anhänger wieder runter zu holen, war viel zu kurz. „Ein Profi wie Seehofer kann rasch umschwenken“, sagt selbst einer aus der Parteispitze, „unsere normalen Anhänger nicht.“
Jetzt sehen ihn manche in der gleichen Zwickmühle, in die sich einst der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle selbst hineinmanövriert hatte: So wie Seehofer die „Obergrenze“, hatte Westerwelle eine Steuerreform zum Maßstab des Erfolgs erhoben. Als er nicht liefern konnte, erklärten ihn die Wähler zum Maulhelden und wandten sich ab. Mit dem Liefern wird es für Seehofer aber erst recht schwierig. Denn seine Widersacher heißen Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir und Jürgen Trittin. Wie eine Jamaika-Koalition mit den Grünen zustande kommen soll, in deren Vertrag das Wort „Obergrenze“ steht, ist völlig unklar. Aber ohne diese Trophäe, das haben Seehofer-Gegner wie Seehofer-Unterstützer eindeutig klar gemacht, kann er sich in München nicht mehr blicken lassen.
2. DER VERTAGTE PUTSCH
Seit Tagen hatten Seehofer-Gegner die Messer gewetzt. Nach den erstaunlich friedlichen Aussprachen in Parteivorstand und Berliner Landesgruppe sollte es dem Vorsitzenden in der Landtagsfraktion an den Kragen gehen. Dort hat der Finanz- und Heimatminister Söder seine Bataillone. Und einige waren auch schon vorgeprescht. „Wir brauchen einen anderen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl“, hatte der Hofer Abgeordnete Alexander König gleich nach dem Debakel vom Sonntag gefordert. Seehofer müsse an Söder abgeben, verlangte die Fürtherin Petra Guttenberger. Und besonders heikel: Mit Albert Füracker und Georg Eisenreich drängten auch zwei Staatssekretäre aus Seehofers Kabinett auf einen Wechsel an der Spitze, um die Landtagswahl 2018 zu bestehen. Allerdings so Füracker, der auch Chef des CSU-Bezirks Oberpfalz ist, dürfe der Chef vorher noch die Koalitionsverhandlungen in Berlin führen.
Am Dienstag kam dann alles ganz anders. Zwar gab es von den 101 Teilnehmern jede Menge, auch erboste Wortmeldungen. Doch Seehofer ging hinter verschlossenen Türen gleich eingangs zur Gegenattacke über. Schluss mit der schädlichen Personaldebatte bis zum Parteitag im November – der Kritisierte erntete langen Applaus. Und das nicht nur von seinen Stellvertretern, sondern auch vom Erz-Kontrahenten. „Ich war schon vor der Wahl gegen Personaldebatten“, tat Söder unschuldig kund. „Wir schaffen es nur gemeinsam, nicht einsam.“
Damit war die Revolte vertagt. Seehofer hatte aber auch vorgebaut. Schon vor Beginn des Treffens warf er seinen Kritikern kurzsichtiges Verhalten vor: „Der Schaden ist schon entstanden, der ist nicht mehr auszuradieren.“ Die letzten Tage seien eine Belastung für die CSU gewesen, sie setze sich damit der Lächerlichkeit aus. „Wie sollen wir kraftvoll in Berlin Positionen zum Tragen bringen, wenn das so begleitet wird?“, fragte der Parteichef mit Empörung in der Stimme die wartenden Journalisten, während Söder durch den Hintereingang schlüpfte.
In der Sitzung zeigte sich auch Landtagspräsidentin Barbara Stamm irritiert über die Rücktrittsforderungen. „Jeder muss sich dafür verantworten, was er hier tut“, sagte die Parteivize. „Ich kann nur empfehlen, dass wir so nicht weitermachen.“ Und Fraktionschef Thomas Kreuzer nannte Personaldebatten im Moment „grundfalsch“, weil sie die CSU schwächten. Es gehe jetzt darum, sich auf die schwierigen Koalitionsverhandlungen zu konzentrieren.
Zu Horst Seehofers Raffinesse gehörte, dass er den Vorschlag seines Vorgängers und Dauerkritikers Erwin Huber aufgriff. Alle zehn Bezirksverbände der Christsozialen, die sich über den kompletten Freistaat verteilen, will er nun besuchen und sich dort der anstehenden Kritik stellen. Die Argumente seien „rauf und runter gegangen“, sagt ein Teilnehmer der Sitzung. „Wir haben alle offen miteinander geredet.“ Und es habe „auch sehr mutige Beiträge gegeben“.
Aber man habe eben auch aus der Parteigeschichte gelernt. Gemeint ist der dramatische, in aller Öffentlichkeit vollzogene Sturz des früheren Parteichefs und Ministerpräsidenten Edmund Stoiber im Jahre 2007. Die CSU hatte sich damals in aller Öffentlichkeit als wild streitender Haufen präsentiert. Bei der Landtagswahl im Jahr darauf verlor sie dann prompt ihre absolute Mehrheit.
3. SPIEL AUF ZEIT
Überstanden hat Seehofer die Krise noch nicht – wenn es nach seinen hartnäckigen Gegnern geht, fängt sie im Gegenteil für ihn jetzt erst an. „Das ist ein Prozess“, sagt einer von denen. Auf den ersten Blick wirkt die Zurückhaltung sonderbar – eine krachende Wahlniederlage erscheint als der perfekte Anlass für einen Putsch. Doch ausgerechnet die „Obergrenze“ rettet Seehofer vorerst das Fell. Jeder Nachfolger würde das Problem erben. Den Thron zu erobern und dann selber auch nicht liefern zu können wäre nur die Einladung zum nächsten Putsch.
So umschleichen sich die Kontrahenten in einem Spiel auf Zeit. Seehofer hat sich in Berlin bei Angela Merkel ausbedungen, dass man erst mit FDP und Grünen redet, wenn vorher eine gemeinsame Unionsposition steht. Das verschafft ihm Raum, in dem sich manche Erregung ganz von selbst abkühlt. Erklärt sich obendrein die CDU-Chefin – selber durch die Wahl beträchtlich geschwächt – bis Mitte Oktober bereit, eine wie auch immer geartete „Obergrenze“ zu verhandeln, wäre der CSU-Chef einen Schritt weiter. Damit könnte er sich beim CSU-Parteitag am 17. November blicken lassen.
Der Parteitag in Nürnberg ist aber auch für seine Gegner die nächste Etappe. Der Vorsitzende muss sich dort der Wiederwahl stellen. Dass ihn die Delegierten bestätigen, bezweifelt im Moment niemand. Aber auf das genaue Ergebnis kommt es an. Vor zwei Jahren war Seehofer nur bei 87,2 Prozent gelandet, für CSU-Verhältnisse eine Schlappe. Mit einem ähnlich mageren Ergebnis stünde diesmal sofort die Frage im Raum, ob ein nur halbherzig akzeptierter Parteichef noch der richtige Spitzenkandidat für 2018 ist. Ohnehin erinnern Kritiker gern daran, dass die CSU unter Seehofer zwar die letzte Landtagswahl gewonnen hat, seither aber drei weitere – Europa-, Kommunal- und Bundestagswahl – verloren. „2007 darf sich nicht wiederholen“, sagt Söder nach der Fraktionssitzung hintersinnig in Anspielung auf Stoibers Sturz, „2008 aber auch nicht“ – also der Verlust der absoluten Mehrheit.
Für die Regierungsbildung in Berlin heißt das alles nichts Gutes. Zwischen Union, Grünen und FDP genug Gemeinsamkeiten für vier Jahre Regierung in stürmischen Zeiten zu finden wird schwer genug. Um einen Porzellanladen in Scherben zu legen, braucht es aber nicht zwingend einen Elefanten. Ein angeschossener Löwe reicht völlig aus.