Wohin mit dem Atommüll?: Beteiligung bleibt das Endlager-Streitthema
Kritik aus Thüringen, eine Resolution in der Oberpfalz: Die Spannungen mit den Regionen und Ländern werden die Endlagersuche wohl auf Jahre begleiten.
Auf einer überwiegend digitalen Konferenz sieht man es nicht gleich, es gibt keine Stühle, die extra leer bleiben. Doch für den Blick auf die Atommüll-Endlagersuche ist es ein Warnsignal, wenn ehrenamtliche Vertreter eines großen Umweltverbandes wie dem BUND aus Protest gegen die mangelnde Beteiligung fernbleiben. „Die breite gesellschaftliche Beteiligung, die auch der Einbindung ehrenamtlicher Aktiver bedarf, ist aus unserer Sicht vorerst gescheitert“, sagte BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock vor wenigen Tagen. „Die Abkehr der Ehrenamtlichen vom dritten Sitzungstermin zeigt deutliche Probleme und Mängel.“
Die Beteiligungsmöglichkeiten sind schon länger Streitpunkt der Endlagersuche. Das wird auch deutlich, wenn der Verein „Ausgestrahlt“ von einer Farce spricht und das Bundesumweltministerium (BMU) lieber Lob verteilt: „Eine rege Teilnahme und viele Beschlüsse sprechen dafür, dass das Format gut angenommen wird.“
BUND: „Es braucht ein Folgeformat“
Nun endete jene Konferenz, auf welcher der Zwischenbericht der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) seit Oktober erstmals mit einer breiten Öffentlichkeit diskutiert wurde. Pandemiebedingt geschah dies überwiegend digital, in Online-Veranstaltungen – ein wesentlicher Kritikpunkt von Aktivisten und Verbänden. 54 Prozent des Bundesgebiets, Gebiete mit Steinsalz, Tongestein oder Kristallingestein, kommen laut Zwischenbericht weiterhin als Standort für das Atommüll-Endlager infrage. In den kommenden Jahren geht es um die Eingrenzung jener Gebiete, die Methoden hierfür muss die BGE erst entwickeln – immerhin hat es eine vergleichbare Suche in Deutschland noch nicht gegeben.
Zäh wurde nun darüber diskutiert, wie die weitere Beteiligung im Verfahren aussehen soll, welche Formate geschaffen werden. Letztlich versuchten die Teilnehmer Formen zu finden, in denen die Endlagersuche nicht wieder über Jahre im Dunklen verschwindet. Die Form dafür bleibt aber offen und soll weiter diskutiert werden. „Eine Beteilung auf Augenhöhe ist derzeit nicht möglich“, sagte Juliane Dickel vom BUND. „Es braucht ein Folgeformat im Sinne der Fachkonferenz.“
Kanitz: „Wunden der Vergangenheit nicht verheilt“
Gerungen wurde um einen Kompromiss zwischen den großen Akteuren der Endlagersuche auf der einen und der Konferenz, also Kommunen, Bürgern und Umweltverbänden, auf der anderen Seite. Die Teilnehmer hatten auf dem zweiten Termin der Konferenz im Juni ein dreiseitiges Papier beschlossen, das Forderungen an die BGE und das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base) enthielt, vor allem Transparenz und öffentliche Beteiligung im Blick hatte.
Das Papier forderte Haltepunkte im weiteren Verfahren und etwa regelmäßige Sachstandsberichte der BGE über ihren Fortschritt. Das Bundesamt entwickelte seinerseits Formate. Hans Hagedorn, Partizipationsbeauftragter beim Nationalen Begleitgremium (NBG), bemühte sich in den vergangenen Wochen, Verbindungslinien zu erkennen.
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„Wir haben festgestellt, dass die Wunden der Vergangenheit nicht verheilt sind“, sagte BGE-Geschäftsführer Steffen Kanitz, wohl auch mit Blick auf die verhärteten Fronten, die immer wieder sichtbar werden. Ob jene Sachstandsberichte kommen, ist offen. Die Teilnehmer der Fachkonferenz haben dies beschlossen, entscheiden wird aber das Bundesamt. Zudem will die BGE im Frühjahr Methoden zur Diskussion stellen, die der Eingrenzung der großen Flächen dienen sollen. Tatsächlich ist es der nächste Haltepunkt im Verfahren. Für die BGE werden allerdings auch die geologischen Landesämter im weiteren Verfahren Key-Player sein, wie Kanitz sagte.
Thüringen kritisiert und fragt mehr Informationen an
Offenkundig scheint, dass die Endlagersuche von Seiten der Länder und Regionen mit Spannung begleitet wird. Zahlreiche Kommunen im ganzen Land begegnen dem Thema mit Arbeitsgruppen, strengen Expertengutachten an und verabschieden Resolutionen gegen eine Eignung der eigenen Fläche, oft adressiert an die BGE. Welcher Regionalpolitiker überlebt es schon politisch, ein Endlager im eigenen Landkreis zu befürworten?
Erst vor wenigen Wochen schickte Olaf Möller, Staatssekretär im von den Grünen geführten Thüringer Umweltministerium, einen Brief an die BGE, forderte mehr Transparenz im Verfahren der Endlagersuche. Zwei der vier Gebiete, die der BGE als Modell für die Entwicklung von Methoden für den weiteren Verlauf der Endlagersuche dienen sollen, liegen in Thüringen. Bei dem einen handelt es sich um das Salzlager im Thüringer Becken, beim anderen um eine Region mit Kristallin-Gestein, von der Teile in Ostthüringen liegen sollen. Die Landesregierung ist dem Vernehmen nach darüber vorab nicht informiert worden.
Landräte und Bürgermeister in der Oberpfalz wehren sich
Die Festlegung allein des Thüringer Beckens zur Untersuchung der Eignung von Salzstrukturen sei von Teilen der Bevölkerung als „Vorfestlegung auf einen zukünftigen Endlagerstandort in Thüringen“ aufgefasst worden, heißt es in dem Schreiben von Möller, das Tagesspiegel Background vorliegt. Er halte die Kommunikation der BGE in Anbetracht der Bedeutung des Verfahrens für „unzureichend und kontraproduktiv“. Thüringen erwarte, dass die Kriterien, nach denen die Regionen ausgewählt wurden, benannt werden.
In Sachsen rechneten Experten des sächsischen Landesamtes für Geologie in einem Gutachten vor einigen Monaten fein säuberlich die Fläche herunter, die die BGE in Sachsen noch im September als sogenannte Teilgebiete ausgewiesen hat. Man verstand die eingefärbte Karte der BGE samt Teilgebieten als politisches Statement.
Auch in Bayern, wo sich CSU und Freie Wähler 2018 in den Koalitionsvertrag schrieben, dass der Freistaat kein geeigneter Standort für ein Endlager sei, wird immer wieder Widerstand deutlich. Zuletzt waren es Landräte und Bürgermeister in der Oberpfalz, die gegen die Suche wetterten. In einem Brief an die BGE taten sie kund, dass die Oberpfalz für ein Endlager schon wegen der geologischen Gegebenheiten nicht als Standort infrage komme und aus dem Verfahren zu nehmen sei. Für die Bewertung der Eignung ist nach Standortauswahlgesetz allerdings die BGE zuständig.