Wahlen in Italien: Berlusconis Rechtsbündnis könnte stärkste Kraft werden
Am Sonntag wählen die Italiener ein neues Parlament. Ein Bündnis von Rechtsparteien um den 81 Jahre alten Silvio Berlusconi hat gute Chancen.
Am 4. März wählen die rund 50 Millionen stimmberechtigten Italienerinnen und Italiener ein neues Parlament. In der Abgeordnetenkammer werden 630 Sitze neu besetzt, im Senat 315 Sitze. Seit dem 18. Februar dürfen keine Umfragen mehr publiziert werden; in den letzten Erhebungen lag das von Ex-Premier Silvio Berlusconi angeführte Rechtsbündnis in Führung. Es ist aber wahrscheinlich, dass keine einzelne Partei oder Koalition auf Anhieb eine regierungsfähige Mehrheit erreichen wird.
Angst vor Unregierbarkeit und Chaos
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat die Brüsseler Sorgen zusammengefasst: „Wir müssen uns auf das Worst-Case-Szenario vorbereiten – und das könnte darin bestehen, dass es in Italien keine einsatzfähige Regierung mehr geben wird.“ Doch damit lag der Kommissionspräsident falsch, und der italienische Regierungschef Paolo Gentiloni hat die Gemüter umgehend beruhigt: In Italien werde es auch nach den Wahlen jederzeit eine voll funktionsfähige, „operative“ Regierung geben.
Staatspräsident Sergio Mattarella hatte, als er Ende 2017 das Parlament auflöste, dem sozialdemokratischen Premier und seiner Mitte-Links-Regierung den Auftrag gegeben, die Amtsgeschäfte weiterzuführen, bis nach den Wahlen eine neue Exekutive vereidigt werden kann. Reformen kann die geschäftsführende Regierung zwar nicht durchführen, aber eine unmittelbare Gefahr für die Finanzmärkte geht vom hoch verschuldeten Italien derzeit nicht aus. Die Regierungen von Matteo Renzi und danach Paolo Gentiloni haben das Haushaltsdefizit in den letzten Jahren unter zwei Prozent gedrückt (es liegt nun sogar unter dem EU-Durchschnitt). Angesichts der niedrigen Zinsen hat Italien derzeit auch keinerlei Probleme, sich zu refinanzieren.
Die Bildung einer neuen Regierung dürfte freilich nicht einfach werden. Wenn die Umfragen nicht täuschen, dann wird es bei den Wahlen keinen Sieger geben, der ohne weitere Partner auf eine Regierungsmehrheit in den beiden Parlamentskammern kommen wird. Präsident Mattarella wird nach den Wahlen deshalb zur zentralen Figur. Bei seinen Konsultationen mit den Parteiführern wird der unaufgeregte Jurist aus Sizilien in den Tagen oder notfalls auch Wochen nach der Wahl Möglichkeiten von Koalitionen ausloten und anschließend eine Persönlichkeit mit der Bildung einer Regierung beauftragen. Fällt die Regierung im Parlament durch, beginnt das Spiel von vorne – oder Mattarella entschließt sich, die Wahlen in der Hoffnung auf klarere Mehrheiten zu wiederholen.
Die Rückkehr des Silvio Berlusconi
Ausgerechnet der Mann, der Italien an den Rand des finanziellen Ruins regiert und mit seinen 35 Strafprozessen und unzähligen Sex- und anderen Skandalen ein ganzes Land in Verruf gebracht hat, wird zum wichtigsten Gesprächspartner Mattarellas bei den Konsultationen werden. Mehr noch: Der 81-jährige TV-Tycoon Berlusconi, der in Europa vor 25 Jahren das Modell der populistischen One-Man-Show-Partei und der Medien-Demokratie eingeführt hatte, spielt sich nun als letztes Bollwerk gegen die Populisten auf, insbesondere gegen die Protestbewegung von Beppe Grillo, aber auch gegen seinen eigenen Bündnispartner Matteo Salvini von der rassistischen Rechts-Außen-Partei Lega.
Das von Berlusconi angeführte Wahlbündnis aus seiner Forza Italia, der Lega Salvinis, den postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI) von Giorgia Meloni und einer weiteren Kleinpartei lag bei den letzten Umfragen klar in Führung. In den Befragungen kam das Rechtsbündnis auf etwa 38 Prozent der Stimmen. Damit liegt sogar eine absolute Mehrheit der Sitze im Parlament in Reichweite. Für alle anderen Parteien und Wahlbündnisse ist dies völlig illusorisch. Grillos Protestbewegung kam in den Umfragen als größte Einzelpartei auf 28 Prozent der Stimmen, der von einer Parteispaltung und anhaltenden internen Streitereien gebeutelte Partito Democratico (PD) von Gentiloni und Renzi auf 22 Prozent (nach 40 Prozent bei den Europawahlen 2014).
Mattarella wird also an Berlusconi nicht vorbeikommen. Immerhin: Aufgrund seiner Verurteilung wegen Steuerbetrugs ist der Ex-Premier noch bis 2019 mit einem Ämterverbot belegt. Das hat ihn nicht daran gehindert, auf alle Wahlplakate der Forza Italia den Schriftzug „Berlusconi Presidente“ zu drucken. Und auch Berlusconi wird höchstwahrscheinlich einen Koalitionspartner benötigen. Am wahrscheinlichsten ist aufgrund der zu erwartenden Sitzverteilung im Parlament eine große Koalition von Berlusconis Rechtslager mit dem PD als Juniorpartner. Gute Chancen, neuer Premier zu werden, hätte dann der Präsident des EU-Parlaments Antonio Tajani von Forza Italia. Würde eine Art Regierung der nationalen Einheit gebildet, könnte sich aber auch Gentiloni Chancen ausrechnen, sein eigener Nachfolger als Regierungschef zu werden. Er ist der derzeit der beliebteste Politiker im Land.
EU-Austritt wenig wahrscheinlich
Die Parteien, die als europaskeptisch gelten oder galten –- also die Protestbewegung von Beppe Grillo, die Lega, die FdI sowie Teile von Berlusconis Forza Italia –, könnten im Parlament nach den Wahlen zwar rein rechnerisch auf eine regierungsfähige Mehrheit kommen. Aber: Sowohl Grillo-Spitzenkandidat Luigi Di Maio als auch Silvio Berlusconi haben sich von der Anti-Europa-Rhetorik verabschiedet und halten ein Referendum über den Euro-Austritt nicht mehr für opportun. Auch die Kleinpartei FdI hat den Euro-Austritt still und leise aus dem Wahlprogramm gestrichen. Di Maio, Berlusconi und Meloni müssten also, nachdem sie sich europapolitisch vom Saulus zum Paulus gewandelt haben, nach den Wahlen wieder zum Saulus werden. Selbst in diesem Fall kann man davon ausgehen, dass eine solche Regierung nicht zustande käme. Die „Grillini“ würden jede Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie sich mit dem von ihnen verachteten Berlusconi einlassen würden.
Thema Migration ist wieder auf der Agenda
Bis Anfang Februar, als der Neonazi und ehemalige Lega-Kandidat Luca Traini in Macerata aus dem Auto heraus wahllos auf dunkelhäutige Menschen geschossen hatte, spielte die Migration im Wahlkampf eine eher untergeordnete Rolle. Italien ist zwar seit der Schließung der Balkanroute wieder das wichtigste Ankunftsland für Flüchtlinge und Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika, aber dank den Abkommen mit der libyschen Regierung und einigen libyschen Milizen war es der Regierung Gentiloni in der zweiten Jahreshälfte 2017 gelungen, die Einwanderungszahlen drastisch zu reduzieren. Mit der Gewalttat von Macerata hat sich die Stimmung schlagartig geändert. Die ausländerfeindliche und rassistische Rhetorik der Lega verschärfte sich, Silvio Berlusconi redete im Zusammenhang mit den Einwanderern von einer „sozialen Bombe“ und versprach, 600000 illegal eingewanderte Menschen in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken.
Die Hetze hat ihre Wirkung nicht verfehlt. In dem traditionell gastfreundlichen und toleranten Italien verurteilten in einer kürzlich publizierten Umfrage nur 73 Prozent der Befragten Trainis Tat ohne Einschränkung. Zwölf Prozent gaben an, dass das Schießen auf Menschen zwar ein Verbrechen sei, aber dass es „inzwischen einfach zu viele Schwarze in Italien“ gebe. Weitere elf Prozent fanden, dass Traini „nur gemacht hat, was viele andere auch gerne täten“. Zudem gaben 19 Prozent der Befragten an, Sympathien für den früheren faschistischen Diktator Benito Mussolini zu hegen. Das wäre noch vor wenigen Monaten völlig undenkbar gewesen.
Bei der letzten Umfrage zu den Wahlabsichten vom 18. Februar hatten 40 Prozent der Italiener angegeben, ihre Entscheidung noch nicht getroffen zu haben. Seither hat sich das Klima weiter verschärft. Gewalttaten neofaschistischer Schläger und antifaschistischer Anarchisten sind an der Tagesordnung. Ob und wie sich diese aufgeladene Stimmung an den Urnen niederschlägt, wird man erst am Abend des 4. März wissen.
Dominik Straub