Italien vor der Wahl: Berlusconi ante portas
In der EU löst die Wahlkampagne des früheren italienischen Regierungschefs Berlusconi Sorge aus. Der 81-Jährige wildert im Revier der Populisten und macht zweifelhafte Steuersenkungsversprechen
Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni wählte beschwichtigende Worte, als er in der Humboldt-Universität über die Wahlen in seinem Land sprach. Italien sei stets ein Staat gewesen, in dem der Europagedanke fest verankert gewesen sei, beteuerte der Sozialdemokrat. Italiens Partner könnten auch nach der Parlamentswahl am kommenden Sonntag mit „Stabilität“ in dem EU-Gründerstaat rechnen, sagte er mit dem Grundton der Überzeugung.
Derjenige, an den Gentiloni bei seinen Ausführungen vor den Studenten in Berlin zu Beginn des Monats möglicherweise gedacht hat, ist 81 Jahre alt und ein alter Bekannter in der italienischen Politik: Silvio Berlusconi. Der ehemalige Ministerpräsident hat ein Mitte- rechts-Bündnis geschmiedet, das laut Umfragen bei den Parlamentswahlen am Sonntag stärkste Kraft werden könnte. Zwar darf Berlusconi nach einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung bis 2019 kein politisches Amt mehr ausüben. Er kommt damit als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten nicht infrage. Aber im Wahlkampf versteht er es, die Anti-Establishment- Stimmung geschickt zu nutzen.
In der EU-Hauptstadt Brüssel wird Berlusconis Wahlkampagne mit Sorge verfolgt. Ökonomen stellen sich beispielsweise die Frage, wie ernst es dem Gründer der Partei „Forza Italia“ mit seiner Idee ist, die Lira in Italien als Parallelwährung zum Euro wieder einzuführen. Auch wenn zuletzt nichts mehr von diesem Gedankenspiel Berlusconis zu hören war, so ist eines klar: Der „Cavaliere“ wildert im Revier der populistischen „Fünf Sterne“-Bewegung, die Stimmung gegen die EU macht. Die Kampagnenmanager der Parteien von Berlusconis Mitte-rechts-Block und der „Fünf Sterne“-Bewegung, die von Luigi Di Maio angeführt wird, dürfen sich angesichts der Umfragewerte bestätigt fühlen: Sie haben die sozialdemokratische Demokratische Partei, die auf dem dritten Platz vor sich hin dümpelt, hinter sich gelassen.
Berlusconis irrlichternder Kurs
Mit seinem irrlichternden Kurs erinnert Berlusconi ein wenig an die europapolitischen Rezepte der französischen Rechtsextremen Marine Le Pen, die im vergangenen Jahr bei der Präsidentschaftswahl gescheitert war. Erst hatte sich Le Pen seinerzeit für einen Austritt Frankreichs aus dem Euro starkgemacht. Als sie merkte, dass die Botschaft bei den Wählern nicht verfing, brachte sie ein kaum vermittelbares Szenario ins Spiel: Künftig sollte es nach den Vorstellungen von Le Pen die Möglichkeit geben, dass die Franzosen bei ihren täglichen Besorgungen den Franc benutzen. Große Unternehmen, so lautete ihre Idee, sollten parallel aber am Euro festhalten können. Die Verwirrung bei den Wählern war damit perfekt – und Le Pen unterlag im entscheidenden Fernsehduell gegen den heutigen Präsidenten Emmanuel Macron.
Italiens gegenwärtiger Regierungschef Gentiloni und sein sozialdemokratischer Amtsvorgänger Matteo Renzi, der als Parteivorsitzender der Sozialdemokraten in der vordersten Linie in die Wahlschlacht gegen Berlusconi gezogen ist, wollen sich ein Beispiel am Kurs von Macron nehmen. Gentiloni und Renzi verfolgen eine ausgesprochen proeuropäische Linie. Die beiden hoffen darauf, dass sich vor allem unentschlossene Wähler aus der Mittelschicht, die mit dem Populismus à la Berlusconi und Di Maio nichts anfangen können, in letzter Minute noch zu ihren Gunsten entscheiden könnten.
Ökonom Wolff: Italien kann sich keine Steuersenkungen leisten
Derzeit sieht es aber eher nach einem Wahlsieg des Berlusconi-Lagers aus. Der frühere Regierungschef hat während der Kampagne großzügige Steuergeschenke versprochen. Berlusconis „Forza Italia“ winkt mit einer „flat tax“ auf Einkommen von gerade einmal 20 Prozent. Weil mit einer derart niedrigen Einkommensteuer unweigerlich Staatseinnahmen wegbrechen würden, dürfte Italien mit der EU-Defizitregel in Konflikt geraten. Diese Regel besagt, dass die Neuverschuldung in jedem Haushaltsjahr höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen darf. Guntram Wolff, der Direktor des Brüsseler Thinktanks Bruegel, zeigt wenig Verständnis für das Wahlkampfversprechen einer „flat tax“. „Italien kann sich derzeit keine Steuersenkungen leisten“, meint er. Dies liege zum einen daran, dass internationale Partner und Investoren Italien nur begrenzt Vertrauen entgegenbrächten. Eine „flat tax“ würde zudem die soziale Ungleichheit im Land vergrößern, warnt der Ökonom.
Die Parlaments- und Senatswahlen am kommenden Sonntag werden in Brüssel aber nicht nur wegen der Sorge um Italiens künftigen Sparkurs aufmerksam verfolgt. Im Blickpunkt steht auch eine Personalie, die unmittelbare Auswirkungen auf das Europaparlament haben könnte. Gianni Pittella, der Chef der sozialdemokratischen Fraktion, tritt bei der Senatswahl in der süditalienischen Region Basilicata an. Normalerweise ist diese Gegend eine sichere Bank für Pittellas Demokratische Partei. Sollte der 59-Jährige aber bei der Senatswahl vom Abwärtssog der regierenden Sozialdemokraten erfasst werden und scheitern, müsste er keine Angst um seine Brüsseler Karriere haben. In diesem Fall würde er auch weiterhin auf seinem Posten des Fraktionschefs bleiben, den derzeit der deutsche SPD-Mann Udo Bullmann kommissarisch übernommen hat.
Von noch größerer Tragweite wäre eine weitere Personalrochade, welche die Spitze der Brüsseler Abgeordnetenkammer betrifft – in Gestalt von Antonio Tajani. Der konservative EU-Parlamentspräsident wurde von Berlusconi als geeigneter Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten ins Gespräch gebracht. Überraschend ist dies nicht – Tajani gilt als politischer Ziehsohn Berlusconis.
Die EU-feindliche Lega dürfte Tajani als Premier kaum akzeptieren
Ob sich Tajani als Kandidat für das Ministerpräsidentenamt in Berlusconis Mitte-rechts-Lager durchsetzt, ist allerdings offen. Der Europaabgeordnete Herbert Dorfmann von der Südtiroler Volkspartei glaubt, dass Tajani für den Posten des Regierungschefs durchaus in Betracht kommen könnte. „In Wahlkämpfen in Deutschland ist klar, wer als Spitzenkandidat ins Rennen geht“, lautet die Erklärung von Dorfmann, der wie Tajani der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) angehört. „In Italien ist es aber durchaus Tradition, dass jemand für das Amt des Regierungschefs ausgewählt wird, der vorher im Wahlkampf nicht an vorderster Front stand.“ Und dies könnte am Ende Tajani sein. Dorfmann gibt allerdings zu bedenken, dass die mit Berlusconi verbündete EU-feindliche Lega-Partei einen Europapolitiker wie Tajani kaum als Ministerpräsidenten akzeptieren dürfte. Und die Lega wird voraussichtlich vor allem in der Lombardei und in Venetien am Sonntag viele Direktmandate holen.
Ob Pittella und Tajani am Ende in ihrer Heimat zum Zuge kommen, hängt auch mit einem Wahlkampfthema zusammen, das Berlusconi bereits vor der heißen Phase der Kampagne stark ins Zentrum gerückt hat – der Umgang mit den Flüchtlingen. Zwar vertritt auch die regierende Demokratische Partei ein hartes Vorgehen gegen illegale Flüchtlinge. So setzte Gentiloni die umstrittene Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache ins Werk, die Migranten von einer Überfahrt über das Mittelmeer abhält. Aber die Sozialdemokraten verzichten im Wahlkampf auf polarisierende Untertöne, wie sie Berlusconi benutzt hatte. Der 81-Jährige hatte illegale Migranten als „soziale Bombe“ bezeichnet. Zuvor hatte ein 28-jähriger Rechtsradikaler in Macerata auf mehrere dunkelhäutige Migranten geschossen.
Mit der Bluttat in der mittelitalienischen Stadt rückte die Einwanderung in den Mittelpunkt des Wahlkampfs. Davon profitieren könnte die ausländerfeindliche Lega-Partei, aber auch Berlusconis „Forza Italia“. „Es ist davon auszugehen, dass die Diskussion um die Einwanderung das rechte Spektrum in Italien stärkt“, sagt Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre (EPC).
Führt Gentiloni demnächst eine große Koalition?
Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass der derzeitige Regierungschef Gentiloni im Amt bleibt. Beobachter halten es für möglich, dass der populäre Gentiloni demnächst als Ministerpräsident einer großen Koalition aus Sozialdemokraten und „Forza Italia“ fungiert. Die Konstellation wäre ungewöhnlich. Aber wie bemerkte Gentiloni jüngst in seiner Rede in der Humboldt-Universität? Italiens Politiker, sagte der 63-Jährige, seien bestens vertraut mit ihrem eingeübten „System der Flexibilität“.
Dieser Text erschien am 27. Februar 2018 in der "Agenda", einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint.