Rede an der Humboldt-Uni: Italiens Regierungschef fordert in Berlin "politischen Ehrgeiz" für die EU
Bei einer Rede in der Humboldt-Universität warnt Italiens Regierungschef Gentiloni vor einem Erstarken nationalistischer und fremdenfeindlicher Kräfte. Aus gutem Grund: Die Stimmung ist mitten im Wahlkampf in Italien aufgeheizt.
Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni will sich offenbar am französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein Beispiel nehmen. „Wenn man dem Europagedanken folgt, dann stößt das nicht unbedingt in der Öffentlichkeit auf Skepsis“, sagte Gentiloni am Mittwoch in einer Europarede in der Humboldt-Universität mit Blick auf die Wahl des Pro-Europäers Macron im vergangenen Jahr.
Forderung nach Weiterentwicklung des Rettungsfonds ESM
Und so scheute sich Gentiloni bei seinem Auftritt in Berlin nicht, den laufenden Wahlkampf in seiner Heimat mit der Forderung zu befeuern, mehr „politischen Ehrgeiz“ bei der Weiterentwicklung der Europäischen Union zu zeigen. In den nächsten sieben bis acht Monaten müssten dabei die „ersten Schritte“ unternommen werden. Konkret forderte der 63-Jährige den Umbau des bestehenden Euro-Rettungsfonds ESM. Mit Hilfe eines neuen Geldtopfs müsse der „Einheitscharakter der Europäischen Union“ in den Vordergrund gerückt werden, verlangte er.
Das Bekenntnis Gentilonis zur EU zielte offenbar auf die zahlreichen anti-europäischen Kräfte, die im italienischen Wahlkampf unterwegs sind. So hält Matteo Salvini, Chef der rechtsextremen Lega Nord, die Mitgliedschaft Italiens im Euro für einen „Irrtum“. Und auch die populistische „Fünf Sterne“-Bewegung macht Front gegen die Brüsseler Defizitregeln.
Angesichts der zähen Diskussion über eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik forderte Gentiloni in Berlin, sich nicht dem „Druck der öffentlichen Meinung“ zu beugen. Italien und Deutschland hätten „ein gutes Beispiel für die anderen europäischen Staaten“ bei der Aufnahme der Flüchtlinge, der Steuerung der Migrationsströme und dem Vorgehen gegen Schlepper gegeben, betonte der Regierungschef. Nach seinen Worten müsse die legale Migration einerseits für die Gesellschaften verkraftbar sein, andererseits werde sie aber auch benötigt. „Dies muss eine gemeinsame Botschaft der europäischen Staaten darstellen“, forderte er.
Gentilonis Äußerungen sind vor allem in seiner Heimat brisant: Die Debatte steht vor der Parlamentswahl am 4. März nach einem fremdenfeindlichen Anschlag in der Kleinstadt Macerata stark im Zeichen der Einwanderungspolitik der regierenden Sozialdemokraten. Ein 28-jähriger Rechtsradikaler hatte in Macerata auf mehrere dunkelhäutige Migranten geschossen. Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi, der mit einem Rechtsbündnis bei der Wahl antritt, bezeichnete anschließend die illegalen Migranten in Italien als „soziale Bombe“.
Plädoyer für Investitionen
Gentiloni warnte seinerseits in Berlin vor nationalistischen und fremdenfeindlichen Gegenreaktion in der EU, wenn es nicht gelinge, auf das „soziale Unbehagen“ vieler Menschen in der Mittel- und Unterschicht einzugehen. Dabei plädierte er für groß angelegte Investitionen – auch im Rahmen des EU-Haushalts – und verwies dabei auf Überlegungen von Romano Prodi. Der frühere italienische Regierungschef hatte einen Investitionsplan mit einem Volumen von 150 Milliarden Euro jährlich über zehn Jahre hinweg vorgeschlagen.
Bleibt Gentiloni auch nach der Wahl Regierungschef?
Ob Gentiloni seine Vorstellungen zur Weiterentwicklung der EU an der Seite von Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verwirklichen kann, hängt vom Ausgang der Parlamentswahl ab. Beobachter halten es für möglich, dass der populäre Gentiloni im Amt bleiben kann, falls Berlusconis Rechtsbündnis und die derzeit regierende sozialdemokratische Demokratische Partei des früheren Ministerpräsidenten Matteo Renzi in eine große Koalition gezwungen werden sollten.
Treffen mit Merkel soll am 15. Februar nachgeholt werden
Kein Glück hatte Gentiloni indes mit dem Timing seiner Berlin-Visite. Ein ursprünglich für Mittwoch vorgesehenes Treffen mit Merkel fiel dem langwierigen Koalitionspoker zum Opfer. Die Begegnung zwischen der geschäftsführenden Kanzlerin und dem Premierminister, dessen politisches Schicksal vom Wahlausgang am 4. März abhängt, soll am 15. Februar nachgeholt werden. Dies teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit.