Verteidigungsministerium: Beraterarmee außer Kontrolle
Mit Ursula von der Leyen kamen die Berater zur Bundeswehr – und verselbstständigten sich. Jetzt soll ein Ausschuss die Frage klären: Wie konnte das passieren?
Es hätte eine Randnotiz sein können, eine Vollzugsmeldung bloß. „Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre eingesetzt“, hätte sie gelautet. Doch dann kam es vor knapp zwei Wochen zum Eklat: Union und SPD stellten sich aus formalen Gründen quer, der Untersuchungsausschuss war vorerst gestoppt, die Opposition empört. Für Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Grunde wenig vorteilhaft. Denn seitdem steht die Berateraffäre bei der Bundeswehr wieder im Fokus.
Es geht um Beraterverträge in Millionenhöhe, Verdacht auf Rechtsbruch und Hinweise auf Vetternwirtschaft im Verteidigungsministerium. FDP, Grüne und Linke starten diese Woche einen neuen Anlauf. Sie wollen den Untersuchungsausschuss durchsetzen und hoffen, dass es mit den Regierungsfraktionen eine Einigung gibt. „Wenn das Theater so weiter gespielt wird, schrecken wir nicht davor zurück, vors Verfassungsgericht nach Karlsruhe zu ziehen“, droht Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. Die Zeichen stehen auf Konfrontation.
Wozu ein Untersuchungsausschuss? Könnte man nicht externe Berater holen, die den Sachverhalt aufklären?
schreibt NutzerIn FabThiUks
Warum stellten sich SPD und Union quer?
Die Regierungsfraktionen monierten, dass der Untersuchungsauftrag zu weit gefasst und rechtlich angreifbar sei. Fritz Felgentreu, der SPD-Obmann im Verteidigungsausschuss, hatte kritisiert, die Opposition könne nicht Zugriff auf die mehr als 10 000 Verträge bekommen, die in den vergangenen Jahren zwischen dem Ministerium und externen Dritten geschlossen wurden. FDP, Grüne und Linke argumentierten dagegen, es müsse möglich sein, sämtlichen Spuren nachzugehen. Die Formulierung des Untersuchungsauftrags ist deshalb so entscheidend, weil er definiert, welche Zeugen geladen und welche Dokumente angefordert werden können.
Was ist der Kern der Berateraffäre?
In der Bundeswehr kommen seit einigen Jahren verstärkt Berater zum Einsatz. Vor allem, wenn es um digitale Projekte und Cybersicherheit geht, ist sie auf Unterstützung von außen angewiesen. Die Kosten für die externen Beauftragungen liegen laut Rechnungshof pro Jahr im dreistelligen Millionenbereich.
Die Krux: Wenn die Bundeswehr externe Leistungen beauftragt, muss sie die Notwendigkeit nachweisen, die Wirtschaftlichkeit prüfen und in der Regel auch öffentlich ausschreiben, um Wettbewerb zu ermöglichen. Der Bundesrechnungshof stellte aber fest, dass das an vielen Stellen nicht geschehen ist. In einem vertraulichen Bericht vom Oktober 2018, der dem Tagesspiegel vorliegt, schreiben die Rechnungsprüfer, dass bei einer Stichprobe von 56 Aufträgen insgesamt 44 „freihändig“, also ohne förmliches Verfahren, vergeben wurden. Das sind knapp 80 Prozent. In 60 Prozent der Fälle habe gar kein Wettbewerb stattgefunden.
Was steckt dahinter?
Die Praxis des massiven Beratereinsatzes bei der Bundeswehr begann unter von der Leyen. Die 2013 ins Amt gekommene Ministerin wollte die Probleme beheben, die es immer wieder bei der Rüstungsbeschaffung gab. Für die Reform heuerte sie Katrin Suder als Rüstungsstaatssekretärin an. Die junge Frau war zuvor Top-Managerin beim Beratungsunternehmen McKinsey gewesen. Suder wiederum holte als Rüstungsbeauftragten einen ihrer Kollegen von McKinsey ins Haus, Gundbert Scherf. Gemeinsam setzten die beiden ein neues Projektmanagement für die Rüstungsvorhaben auf.
In dieser Zeit kamen immer mehr Berater von außen. Nicht nur von McKinsey, sondern auch von Accenture, einem weltweit tätigen Unternehmen, das Managementberatung und Technologie-Dienstleistungen anbietet. Accenture steht nun im Zentrum der Berateraffäre. Wie der „Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, machte Accenture 2014 mit der Bundeswehr 2014 insgesamt 459.000 Euro Nettoumsatz. Das steigerte sich rapide: 2017 seien es schon 4,2 Millionen gewesen, 2018 dann rund 20 Millionen.
Mit dafür verantwortlich: der junge Accenture-Berater Timo Noetzel. Er hatte eine steile Karriere hinter sich. Stationen beim Verfassungsschutz, der Münchner Sicherheitskonferenz und als Wahlkampfberater für den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Sein entscheidender Vorteil: Er kannte aus seinen verschiedenen beruflichen Einsätzen nicht nur Suder gut, sondern auch den General Erhard Bühler, Abteilungsleiter Planung im Verteidigungsministerium. Bühler und Noetzel waren sogar so eng, dass der General Pate der Kinder Noetzels wurde. Der „Spiegel“ zitiert aus dem Accenture-Intranet, wo sich Noetzel seiner guten Beziehungen brüstete und Interna preisgab.
Und Noetzel war nicht der einzige Berater mit Kontakten. Das zeigt auch der vertrauliche Ermittlungsbericht des Verteidigungsministeriums, der dem Tagesspiegel vorliegt. Da heißt es etwa: „Herr E4 und Herr E5 gaben an, den damaligen AL CIT“ – gemeint ist der Abteilungsleiter Cyber/Informationstechnik im Ministerium – „aus einer gemeinsamen Tätigkeit für die Volkswagen AG gekannt zu haben.“
Wie funktioniert das System?
Unternehmen wie Accenture am Wettbewerb vorbei zu beauftragen – möglich war das über Rahmenverträge und Unterauftragnehmer. Der Ermittlungsbericht beschäftigt sich mit dem Beratereinsatz bei zwei Projekten: dem IT-Modernisierungsprogramm „CITquadrat“ und dem „Produktlebenszyklus-Management“ bei der Bundeswehr, kurz PLM@BW. Bei Letzterem ging es darum, die pannenbehafteten Rüstungsprojekte in den Griff zu kriegen. Das System sollte am Airbus A400M getestet werden. Beratungsleistungen für beide Projekte wurden über einen Rahmenvertrag mit der Nummer 20237 beauftragt – geschlossen mit der Wiesbadener Firma SVA System Vetrieb Alexander GmbH, eigentlich für Unterstützungsleistungen rund um IBM-Softwareprodukte. Doch der Rahmenvertrag wurde genutzt, um Accenture ins Boot zu holen.
Was soll der Ausschuss herausfinden?
Die großen Fragen der Opposition für den Untersuchungsausschuss sind: Wer war dafür verantwortlich, dass die Aufträge bei Accenture landeten? Gab es wirklich ein „Buddy-System“, wie es derzeit den Anschein macht? Hat Leyen angemessen reagiert, als sie von den Regelverstößen erfuhr? Und welcher finanzielle Schaden ist durch die regelwidrige Auftragsvergabe entstanden? Letztere Frage wird aber schwer zu beantworten sein. Der SPD-Mann Felgentreu will deshalb das Augenmerk auf Strukturen legen. Er sagt: „Der Einfluss der Berater im Verteidigungsministerium ging so weit, dass sie die Anforderungen für Folgeprojekte definierten – und sich so quasi selbst wieder beauftragen konnten.“ Für ihn ist die Frage, wie das passieren konnte. Und der AfD-Verteidigungspolitiker Rüdiger Lucassen glaubt: „Von der Leyen hat eine Kultur geschaffen, die die regelwidrige Vergabe begünstigte.“
Der Ausschuss sollte auch herausfinden, was die Berater-Armee gebracht hat! Welche sichtbaren Erfolge kann Frau von der Leyen mit ihren Beratern vorweisen?
schreibt NutzerIn daemmi
Was bedeutet die Affäre für Leyen?
Leyen hat die Strategie, sich bei Skandalen in der Bundeswehr als Aufklärerin zu präsentieren. Jetzt ist ihr Problem: Das Beraterchaos ist erst in ihrer Amtszeit entstanden. Sie musste nun schnell reagieren. „Unter anderem wurde die Vergabe im Ministerium zentralisiert, um die Einhaltung von Qualitätsstandards sicherzustellen“, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Dennoch könnte es für Leyen eng werden. Darauf weist auch die Opposition hin. Der politische Schaden, sagt Tobias Lindner, der Grünen-Obmann im Verteidigungsausschuss, sei enorm. „Die Ministerin hatte offensichtlich die Kontrolle über die Berateraktivitäten in ihrem Haus verloren.“
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