Historisches Tief in Bayern: Bei der SPD geht es immer noch schlimmer
Die Bundes-SPD trägt Mitverantwortung für das Bayern-Debakel. Auf Parteichefin Nahles wächst der Druck. Die Hessen-Wahl könnte zum Schicksalstag werden.
Sie haben im Willy-Brandt-Haus inzwischen eigentlich Erfahrung mit historischen Niederlagen: 20,5 Prozent holte ihr Spitzenkandidat Martin Schulz bei der Bundestagswahl 2017 – und unterbot die bisherige Tiefstmarke von Frank-Walter Steinmeier acht Jahre zuvor (23 Prozent). Doch es geht immer noch schlimmer.
Sehr blass sieht die Vorsitzende der deutschen Sozialdemokratie aus, als sie am Sonntagabend in der Parteizentrale das bayerische Wahlergebnis kommentieren muss. Weniger als zehn Prozent und damit einstellig, so sagen es die Hochrechnungen voraus, – das ist selbst für die leidgeplagte Bayern-SPD ein Desaster. Es ist aber auch ein Desaster für Andrea Nahles und für die große Koalition in Berlin.
Nahles hatte alles darangesetzt, die SPD nach der Niederlage im Bund noch einmal in ein Regierungsbündnis mit der CDU zu führen. Und muss nun, sieben Monate nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrages, feststellen, dass ihre Partei abschmiert. Glaubt man den Umfragen, dann steht die SPD bundesweit noch zwischen 15 und 17 Prozent, bei vielen Demoskopen noch hinter der Konkurrenz von den Grünen. So gesehen, ist die Halbierung der SPD-Stimmen in Bayern vielleicht nur ein Vorzeichen dafür, was der SPD im Bund noch bevorsteht – das Ende als Volkspartei. Und Andrea Nahles hätte dieses Ende mit zu verantworten.
Der Druck auf Nahles wächst
Der Druck auf die Vorsitzende ist noch einmal gewachsen an diesem Abend. Das kann man ihr ansehen. In der Parteizentrale trägt sie eine dürre Stellungnahme vor, die Wahlparty der Bundes-SPD war in Erwartung schlechter Nachrichten vorsorglich abgesagt worden. Nahles kündigt eine sorgfältige Analyse des Ergebnisses an, dankt Spitzenkandidatin Natascha Kohnen für ihren Einsatz. Und schickt dann eine Art Schuldeingeständnis hinterher: Es habe für die Bayern-SPD keinen Rückenwind aus Berlin gegeben – „im Gegenteil“.
Das kann man so sagen. Tatsächlich trägt die Bundes-SPD Mitverantwortung für das Bayern-Debakel. Der Dauerstreit in der großen Koalition, die Profillosigkeit der SPD-Spitze im Regierungsbündnis, offenkundige Führungsfehler von Nahles im Ringen um Ex-Geheimdienstchef Hans- Georg Maaßen und zuletzt ein wenig überzeugender und zu weiten Teilen auch unwirksamer Kompromiss zur Diesel-Nachrüstung – das alles machte es den Wahlkämpfern schwer. Kohnen habe „eine Bleiweste“ umgehängt bekommen, sagt einer aus der SPD-Spitze.
Hessen-Wahl ist Schicksalstag
Nahles weiß, dass manche in ihrer Partei nur drauf warten, mit dem Finger auf sie zu zeigen. Deshalb räumt sie Fehler ein, allerdings nur solche im Umgang der Union: Einer der Gründe für den Einbruch in Bayern sei „die schlechte Performance der großen Koalition hier in Berlin“ gewesen. Es sei der SPD nicht gelungen, sich von den Streitigkeiten von CDU und CSU freizumachen. „Fest steht: Das muss sich ändern“, sagt Nahles. Nur wie, das sagt die Parteichefin nicht. Weil sie es nicht weiß?
Klar ist an diesem traurigen Abend im Willy-Brandt-Haus, dass es so nicht weitergehen kann für die Vorsitzende und ihre SPD in der großen Koalition. Klar ist auch, dass ihr nur noch wenig Zeit bleibt, um den täglich wachsenden Unmut über den Niedergang im Bündnis mit der CDU etwas entgegen zu setzen. In knapp zwei Wochen wird in Hessen gewählt. Solange SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel noch darum kämpft, die schwarz-grüne Regierung in Wiesbaden abzulösen, dürfte ein Aufstand gegen Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz ausbleiben. Was danach kommt, weiß keiner.
Für das SPD-Spitzenduo kann die Hessen-Wahl ein schicksalshafter Tag werden. Geht sie für die SPD krachend daneben, dürften die Fliehkräfte in der Partei kaum mehr zu bändigen sein. Nicht nur die Gegner der großen Koalition würden dann ihre Stunde kommen sehen, sondern auch jene Genossen, die lediglich mit der Führungsleistung von Nahles und Scholz hadern. Zu Letzteren sollen auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und seine Kollegin Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern zählen. Im Fall einer Niederlage in Hessen werde die Nervosität in der SPD „ins Unermessliche“ steigen, sagt ein gut vernetzter Bundestagsabgeordneter voraus: „Dann wird der Handlungsdruck groß, dass schnell etwas passiert.“
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