100 Jahre nach Eintritt in Ersten Weltkrieg: Beendet Trump das amerikanische Zeitalter?
Vor 100 Jahren griffen die USA in den Ersten Weltkrieg ein. Lösen sie sich jetzt von der Rolle des Weltpolizisten - und wer kommt nach ihnen? Eine Analyse.
Mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg am 6. April 1917 begann ein amerikanisches Zeitalter. 100 Jahre später schwebt über jedem Treffen eines US-Präsidenten mit seinem chinesischen Kollegen die Frage, wie lange die Weltmacht USA ihre Dominanz behaupten kann. Und ob nicht demnächst ein chinesisches Zeitalter anfängt. Das gilt besonders für Xi Jinpings Besuch bei Donald Trump.
Nicht nur die Zuspitzung des Konflikts um Nordkoreas Atomraketenprogramm stellt China und die USA vor die Frage, was sie unter einer Weltmachtrolle verstehen. Bedeutet sie in erster Linie, eigene Interessen durchzusetzen? Beinhaltet sie auch die Verantwortung, Frieden und Stabilität zu garantieren? Oder vielleicht sogar noch mehr: der Erde einen Ordnungsrahmen vorzugeben, der auf einem Wertesystem basiert?
Die heutige Weltordnung ist das Ergebnis eines amerikanischen Jahrhunderts: die Vereinten Nationen mit ihren Unterorganisationen für Menschenrechte, Flüchtlinge, Ernährung, die Welthandelsorganisation WTO samt ihren Regeln, Bündnissysteme wie die Nato, ein Verbot der Weiterverbreitung von Atomwaffen samt internationaler Kontrolle durch die IAEO und vieles mehr. Ein so umfassendes globales Regelwerk gab es nie zuvor in der Geschichte.
Jetzt muss sich China entscheiden, was es will
Man mag kritisieren, es basiere auf westlichen Vorgaben, die USA und ihre Freunde hielten sich selbst nicht immer an diese Regeln und es hänge von den Interessen der Mächtigen ab, wann sie durchgesetzt würden. Aber im Großen und Ganzen bietet diese Ordnung mehr Vor- als Nachteile, weshalb fast alle Staaten ihr beigetreten sind. Der Nutzen zeigt sich selbst beim Brexit. Großbritannien fällt nicht ins Leere, wenn es sich mit der EU nicht über die Austrittsbedingungen einigt. Dann gelten eben die WTO-Regeln.
Das alles gehört zum unausgesprochenen Kontext, wenn Xi und Trump sich treffen. Benutzt China unfaire Handels- und Währungspraktiken, um Exportüberschüsse zu erzielen? Würde es, wenn es als Führungsmacht auf Augenhöhe in einer multipolaren Weltordnung neben die USA tritt, das bestehende Regelwerk verteidigen? Will China eine Ordnungsmacht sein, die sich nicht nur nach eigenen Interessen richtet, sondern Gesamtverantwortung übernimmt?
Auf Peking kommen nun ähnliche Richtungsentscheidungen zu, wie sie die USA vor hundert Jahren treffen mussten. Bis dahin hatte dort die „Monroe Doktrin“ gegolten. Die USA sollten sich aus europäischen Konflikten heraushalten und sich auf ihre wirtschaftliche Entwicklung und ihre Machtausdehnung auf dem amerikanischen Doppelkontinent konzentrieren. An Kriegen beteiligten sie sich nur, wenn das der Ausdehnung des Staatsgebiets diente, etwa gegen Mexiko, oder der Befreiung südlicher Nachbarn von der Kolonialherrschaft durch europäische Mächte, zum Beispiel Kuba.
Früher wurden sie für Interventionen kritisiert, heute für Nicht-Interventionen
Der Erste Weltkrieg änderte dieses Kalkül. Die USA waren nun so stark und ihre Wirtschaft so verbunden mit der Welt, dass es den eigenen Interessen mehr schadete, sich herauszuhalten, als Verantwortung als Ordnungsmacht zu übernehmen. Auch das war nicht attraktiv. Es bedeutete, eigene Soldaten und eigenes Geld zu opfern, um Frieden in Europa zu erzwingen. Die heutige Weltordnung entstand erst im zweiten Anlauf nach einem weiteren Weltkrieg, der abermals in Europa begonnen wurde.
Heute versagt dieses System in Europas Nachbarschaft, in der Ukraine und Syrien; auch in Asien wächst die Kriegsgefahr. Syrien schreit nach Intervention, aber weder die USA noch China sind dazu bereit. Das Sagen dort haben Russland und die Türkei. Ihr Vorgehen hat mit Werten und Verantwortung nichts zu tun. Hier haben die USA nicht eingegriffen, die Folgen waren grausam. Es ist ein bedenkenswerter Kontrast zu den Klagen früherer Jahre über die negativen Folgen, wenn die USA intervenieren. Gefährlicher noch als Syrien ist die Zuspitzung in Nordkorea. Sie könnte einen Krieg mit Atomwaffen auslösen. China ist der Schlüssel, um das zu verhindern. Es ist die Schutzmacht der Kim-Dynastie. Es entscheidet über deren Überleben oder Sturz samt ihrer menschenverachtenden Diktatur.
China kalkuliert bisher wie die USA vor über 100 Jahren. Aus Konflikten im Ausland hält man sich besser heraus und gibt der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung Priorität; sie ist Basis des Aufstiegs zur Weltmacht. Ob Asien, Mittlerer Osten, Afrika: Peking verfolgt dort Rohstoffinteressen, will aber keine Verantwortung für die soziale und politische Stabilität übernehmen.
Zusehen, wie Atomraketen die eigenen Städte bedrohen?
Die Eskalation um Nordkorea stellt diese passive Rolle in Frage. Nordkoreas Atomprogramm ist eine größere Bedrohung als das iranische. Pjöngjang will kein Abkommen, wie es der Westen mit Teheran schloss: Die Programme werden begrenzt und internationaler Kontrolle unterstellt, im Gegenzug fallen die Sanktionen. Solche Absprachen gab es schon, Nordkorea hat sie gebrochen. Es sieht in Atomraketen, die die USA und Europa erreichen, seine Überlebensgarantie und ein Erpressungspotenzial. Wenn es nicht bekommt, was es verlangt, startet eine Rakete – wie vor dem Treffen von Trump und Xi in Florida.
Es versteht sich von selbst, dass ein US-Präsident nicht tatenlos zusehen kann, wie so ein Regime sich Atomwaffen verschafft, die US-Großstädte bedrohen. Auch Europas Regierungen müssten verhindern, dass Kim Raketen erhält, die ihre Großräume bedrohen.
In dieser Situation entscheidet sich, was China sein will. Wird es wie die USA vor 100 Jahren von einer Großmacht, die Wirtschaftsinteressen verfolgt, zur Ordnungsmacht, die Verantwortung für Frieden und Stabilität übernimmt, zunächst im eigenen Machtbereich, siehe Nordkorea, und hoffentlich zunehmend auch global? Oder entzieht sich China sogar der Verantwortung für seine Satelliten? Es wäre ein Offenbarungseid für den Anspruch, Weltmacht zu sein oder auch nur das System amerikanischer Dominanz durch eine multipolare Ordnung zu ersetzen.
Die Mächteordnung verändert sich schleichend. Noch ist unklar, wohin. Es ist nicht mal sicher, dass eine multilaterale Ordnung bessere Ergebnisse liefern würde. Die Welt hat Trump, sie hat Xi, sie hat Putin. Gerade jetzt wäre vielen wohler, wenn wenigstens die USA einen Präsidenten hätten, der einigermaßen glaubhaft die Orientierung an Werten verkörpert.
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