Schutz gegen Spionageattacken: Bald wieder Schreibmaschinen statt Computer?
Das Ausmaß der Spionage in Deutschland ist noch größer als bisher bekannt, das zeigen neue Spähangriffe auf Geheimdienstexperten des Bundestags. Was kann die Politik dagegen unternehmen?
Die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages (PKGr) und die des NSA-Untersuchungsausschusses gehören zu der kleinen Zahl von Menschen in Deutschland, die hochsensible Informationen über Interna deutscher Sicherheitsbehörden, Details der internationalen Geheimdienstzusammenarbeit und auch einzelne Geheimdienstoperationen erhalten. Wer ihre Kommunikation verfolgen kann, erhält wertvolle Einblicke, die unter Umständen nicht nur die politischen Ziele der Bundesregierung beeinträchtigen, sondern auch der Sicherheit der Republik schaden.
Die Kenntnisse des Gremiums wollte sich ein bislang unbekannter Geheimdienst oder Hacker offenbar nicht entgehen lassen. Zumindest bemerkte die engste Mitarbeiterin des Linken-Politikers Steffen Bockhahn laut „Spiegel“ im vergangenen Jahr, dass ihr Handy ihre Mails selbstständig nach Mails mit PKGr-Bezügen durchforstete. Die Mails erschienen auf ihrem Rechner, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte – ein Indiz, dass ein Unbefugter in ihren Daten herumstöberte.
Bockhahn, ein scharfer Kritiker der NSA und damals PKGr-Mitglied, informierte das Innenministerium. Bald erfuhr er, dass wahrscheinlich eine Geheimdienstoperation dahinter stecke. Seither ermittelt das Bundeskriminalamt und das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern wegen des Verdachts auf Computersabotage und Auskundschaften von Staatsgeheimnissen.
Doch nicht nur die Linkspartei war Ziel von Spähern. Auch Roderich Kiesewetter, CDU-Obmann im NSA-Ausschuss, ließ sein Handy überprüfen. Techniker stellten fest, dass es von Dritten angezapft worden war. Überrascht haben dürfte das die Mitglieder des Gremiums nicht: Ehemalige NSA-Mitarbeiter hatten in dem Untersuchungsausschuss Angaben von Whistleblower Edward Snowden bestätigt, wonach der US-Geheimdienst gleichsam sämtliche Kommunikationsdaten in Deutschland ausspionieren könne.
Krypto-Handys sind teuer und umständlich
Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl plädiert dafür, die Eigensicherung zu stärken. „Wir müssen es zur Auflage machen, dass Regierungsmitglieder, Spitzenbeamte und Abgeordnete verschlüsselt kommunizieren“, sagt er. Im vergangenen Jahr hat Uhl, damals selbst PKGr-Mitglied, durchgesetzt, dass alle Kollegen in dem Gremium zur Geheimdienstkontrolle Krypto-Handys erhielten.
Auch der Vorsitzende des NSA-Ausschusses, Patrick Sensburg (CDU), hat für sein Gremium die teuren Apparate anschaffen lassen. Offen ist aber, ob die Abgeordneten die umständlich zu bedienenden Geräte tatsächlich nutzen. “Wir müssen natürlich versuchen, unsere interne Kommunikation sicher zu halten, verschlüsselte E-Mails senden, Krypto-Telefone nutzen und andere Dinge, die ich jetzt hier natürlich nicht sage“, erklärte der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) am Montag im ARD-Morgenmagazin. Selbst über die Nutzung einer Schreibmaschine anstatt von Computern habe man schon nachgedacht.
Dass zuletzt von US-Außenminister John Kerry im Streit mit den USA über Spionage- und Ausspähaktionen von US-Diensten in Deutschland etwas moderatere Töne angeschlagen wurden, begrüßte Sensburg. “Moderate Töne sind richtig und auch wichtig“, sagte er. Man müsse im Gespräch bleiben und gemeinsam nach Lösungen suchen. Der CDU-Politiker unterstrich zugleich: “Aber es muss sich natürlich etwas ändern. Das, was wir hier erleben, kann nicht weiter so stattfinden.“
Die Bürgerinnen und Bürger bis hin zur Bundeskanzlerin auszuspionieren, das gehöre nicht zum freundschaftlichen Umfang miteinander. “Ich glaube, das ist auch nicht im Interesse der Amerikaner, was wir hier erleben.“ Sensburg plädierte dafür, mehr für die Spionageabwehr in Deutschland zu tun. Dafür spreche allein schon, dass deutschen Unternehmen und damit der deutschen Volkswirtschaft insgesamt jährlich Schäden in Höhe von acht Milliarden Euro durch Spionage von Auslandsdiensten entstünden.
Das Lauschrisiko ist auch in Unternehmen groß
Die “Bild am Sonntag“ hatte berichtet, in der deutschen Regierung spionierten mehr als ein Dutzend Mitarbeiter für den US-Geheimdienst CIA. In der vergangenen Woche waren zwei mutmaßliche US-Spione enttarnt worden. Daraufhin hatte die Bundesregierung den Repräsentanten der US-Geheimdienste in Deutschland aufgefordert, das Land zu verlassen.
Im Moment richten sich fast alle Blicke nach Washington, die Empörung über das offensichtliche Misstrauen und den Vertrauensbruch des Partners ist groß. Tatsächlich aber droht ein viel größeres Risiko von Geheimdiensten, die mit der Bundesrepublik weit weniger Gemeinsamkeiten teilen als die USA.
So wurde im Mai bekannt, dass die Grünen-Abgeordnete Marieluise Beck Opfer eines Spionageangriffs geworden war. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik entdeckte auf ihrem Dienstcomputer das Spionageprogramm Mini-Duke. Es war im Februar installiert worden, von wem, ließ sich nicht klären.
Die Abgeordnete ist eine profilierte hartnäckige Kritikerin der Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sie unterhält enge Kontakte nicht nur zu demokratischen Kräften in der Ukraine, sondern auch zu anderen Krisenländern in der Nachbarschaft Russlands.
Auch angesichts solcher Fälle erinnert CSU-Innenpolitiker Uhl daran, woher die größere Gefahr drohe. „Die überwältigende Zahl von Spionageangriffen kommt nicht aus den USA, sondern aus Russland und China“, warnt er.
Uhl ist ohnehin der Meinung, dass viele deutsche Entscheider die allgegenwärtige Bedrohung durch Spionage fälschlicherweise auf die leichte Schulter nehmen. Dabei denkt er nicht nur an Abgeordnetenkollegen. Bei mittelständischen Unternehmen sei „geballte Ahnungslosigkeit“ eine häufige Haltung gegenüber dem Lauschrisiko, das ein Unternehmen sehr teuer zu stehen kommen könne, klagt er. Uhls Plädoyer: „Im Umgang mit politischer Spionage und mit Wirtschaftsspionage müssen wir die Naivität ablegen.“ (mit rtr)
Hans Monath