Globalisierung: Außenpolitik ist Innenpolitik
Die Globalisierung kann uns gar nix - das war der Tenor der letzten Jahre. Doch das Inselleben der Deutschen ist jetzt vorbei. Ein Kommentar.
In Deutschland bricht gerade ein neues geopsychologisches Zeitalter an. Ein paar Jahre lang waren wir eine Insel. Das war schön. Jetzt ist es vorbei. Hier noch mal die ganze Geschichte:
Es begann irgendwann in den Nachwendejahren. Jahrzehntelang hatten die Deutschen, eingeklemmt zwischen den Blöcken, jede außenpolitische Bewegung mit bangen Augen verfolgt, ging es doch immer auch um die eigene Zukunft in Einheit. Nun, da die Mauer weg und der Ostblock zerbröselt war, war man frei und musste sich ja auch mit sich selbst beschäftigen. An den gesamtdeutschen Grenzen wurden Risse bemerkbar. Das Land begann, sich aus seiner Verankerung zu lösen. Eine neue Geopsychologie verbreitete sich. Man fühlte sich zunehmend als Insel.
In den Jahren nach der Finanzkrise entstand ein Gefühl der Unberührbarkeit
Seinen Höhepunkt erreichte dieses Gefühl paradoxerweise in den Jahren nach der Finanzkrise. Zwar zeigte die Krise auch den Deutschen so deutlich wie nie zuvor, wie eng die Welt zusammengewachsen war. Fehler, die Gesetzgeber, Aufsichtsbehörden und Banker in den Finanzzentren gemacht hatten, setzten Ereigniskaskaden in Gang, die ganze Sozialsysteme überall auf der Welt infrage stellten, nicht zuletzt in den liebsten Urlaubsländern der Deutschen, in Griechenland, Italien und Spanien. Aber Deutschland ging es weiter gut, trotz allem.
Dieses „trotz allem“ war es wahrscheinlich, das dazu führte, dass die Deutschen sich mental vollends aus ihrem geografischen Kontext lösten. Einige Jahre dümpelte das Land vor sich hin, umspült von Seligkeit. Während an fernen Ufern die Welt weiter mit Krieg und Austerität ihrem grausigen Alltag nachging, lagen die Deutschen in der Wohlstandssonne und nippten an Vollbeschäftigung mit bunten Schirmchen. Die Globalisierung, so das vorherrschende Gefühl, kann uns gar nix. Okay, Nokia schloss Bochum und ging nach Cluj (und dann weiter nach Asien). Doch unter den meisten Weihnachtsbäumen lagen trotzdem neue Handys.
Ebola, Flüchtlinge, politische Randalierer in Hamburg: Die Probleme der Welt finden hier statt
Deutschland ist keine Insel. Die Landkarte, auf der wir diese einfache Wahrheit wieder entdecken müssen, ist, zum Beispiel, die Zeitung von heute. An diesem Donnerstagmorgen trifft der dritte Ebola-Patient zur Behandlung in Deutschland ein. In Spanien hat sich eine Krankenschwester bei der Behandlung eines inzwischen verstorbenen Mannes mit dem Virus infiziert. In den USA wurde ein mit Ebola infizierter Mann wieder nach Hause geschickt. Alles in allem funktionieren die Gesundheitssysteme in der westlichen Welt so gut, dass solche Fälle aller Wahrscheinlichkeit nach Einzelfälle bleiben werden. Dass uns Ebola betrifft, lässt sich trotzdem nicht leugnen. Auf den Toiletten am Flughafen Frankfurt hängen längst Plakate, die zur Wachsamkeit aufrufen.
In Duisburg und Berlin, aber auch in Ellwangen und Zirndorf spielt sich das weltweite Flüchtlingsdrama ab, vor deutscher Kulisse. Währenddessen kam es in Hamburg zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen kurdischen Demonstranten und radikalen Muslimen. 800 000 Kurden leben in Deutschland. Und sie sind nicht die Einzigen, die die Konflikte in ihren Herkunftsländern nach Deutschland tragen. Auch die Antisemitismusdemonstration wandte sich (implizit) nicht nur gegen den deutschen, sondern auch gegen den islamistischen Antisemitismus – wobei zwischen beiden immer schwieriger zu trennen ist. Der Islam gehört zu Deutschland, aber auch der Islamismus. Wir produzieren ihn. Wir exportieren ihn: aus Dinslaken direkt an die Front im Irak. Und dann kommt er zurück.
Außenpolitik ist Innenpolitik. Ursula von der Leyen hat recht.
Man muss die genannten Vorfälle nicht dramatisieren. Die Hamburger Polizei wird mit ein paar Randalierern fertig, auch diese und mehr syrische Flüchtlinge bekommen wir ernährt, gerade jetzt, wo es den Deutschen gut geht. Doch was passiert, wenn klamme Haushalte auf Weltprobleme treffen, ist zurzeit in Nordrhein-Westfalen zu beobachten, wo Flüchtlinge von überforderten Mitarbeitern privater Sicherheitsunternehmen misshandelt wurden
Für Deutschland bedeutet das: Außenpolitik ist Innenpolitik. Und Innenpolitik ist Außenpolitik. Glücklicherweise haben viele deutsche Spitzenpolitiker das verstanden. Ursula von der Leyen (zum Pdf) und Joachim Gauck haben programmatische außenpolitische Reden gehalten, in deren Inhalt sie sich in diesen Tagen mehr denn je bestätigt fühlen dürfen. Selbst Teile der Linkspartei begrüßen inzwischen die militärische Unterstützung der Kurden. Bleibt zu hoffen, dass sie es schaffen, auch den Wähler wieder von der Insel zu holen. Dann kann das neue geopsychologische Zeitalter beginnen.