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In Ketten. Das Werk Bochum war profitabel, als das Aus kam. Heute ist noch immer jeder Fünfte Ex-Nokia-Arbeiter ohne Job.
© dpa

Nokia: Heute hier, morgen dort

Erst wurde Deutschland zu teuer, dann Rumänien. Nun zieht Nokia nach Asien – doch auch in China steigen die Kosten ständig.

Heinz-Martin Dirks kann sich noch gut an den Tag erinnern, an dem die schlimme Nachricht kam. Er ist gerade in Düsseldorf unterwegs, als sein Handy klingelt: Nokia schließt das Werk in Bochum, die Produktion wird nach Rumänien verlagert, heißt es am anderen Ende der Leitung. „Das kam total überraschend“, sagt Dirks. Er leitet die Wirtschaftsförderung in Bochum. „Das Werk war profitabel, wir haben damit absolut nicht gerechnet“, erzählt er.

Heute, vier Jahre später, zieht Nokia sich aus weiteren Ländern zurück. Der finnische Konzern verlagert seine Handy- und Smartphone-Produktion nach Asien. 4000 Arbeitsplätze in Finnland, Ungarn und Mexiko fallen weg. Das Werk in Rumänien hat Nokia schon im vergangenen Jahr geschlossen. Künftig werden in Europa die Geräte nur noch für den hiesigen Markt fit gemacht, bekommen eine neue Software und Verpackung.

Damit folgt Nokia den Wettbewerbern. Die Handyhersteller stehen exemplarisch für die unbeschränkte Globalisierung, fast alle lassen mittlerweile in Asien produzieren. Entweder wie die Finnen in eigenen Werken oder wie der Konkurrent Apple von Auftragsfertigern. Der Schritt sei logisch, findet Jürgen Matthes vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). „Handys sind ein typisches Produkt, das sich leicht im Ausland herstellen lässt. Die Herstellungsprozesse sind stark standardisiert und das notwendige Knowhow ist in Ländern wie China auf jeden Fall vorhanden.“

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da dachte man, die Produktion der kleinen Technikwunder könne eine Chance für Europa sein, eine Antwort auf den Strukturwandel weg von der lauten und schmutzigen Industrie. Rückblick in die 90er Jahre: In der Zeit des Handybooms ist Deutschland ein wichtiger Standort für die Produktion von Mobilfunkgeräten. Siemens (später BenQ) fertigen im niederrheinischen Kamp-Lintfort, Motorola in Flensburg, Nokia in Bochum.

Vor allem die Stadt im Ruhrgebiet kann davon profitieren. 25 Millionen Euro Gewerbesteuer zahlen die Finnen im Jahr, mit 3000 Arbeitsplätzen ist Nokia einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region. Das Werk arbeitet auch dann noch profitabel, als die Wettbewerber alle bereits ins Ausland abgewandert oder gleich ganz vom Markt verschwunden sind. BenQ wickelt 2006 die ehemalige Handysparte von Siemens komplett ab, Motorola schließt die Flensburger Fabrik nur ein Jahr später.

Obwohl die Finnen in Bochum noch profitabel arbeiten, locken geringere Produktionskosten und staatliche Zuschüsse Nokia 2008 nach Rumänien. Bochums Wirtschaftsförderer Dirks schätzt, dass etwa 20 Prozent derjenigen, die damals ihren Job in der Bochumer Produktion verloren haben, noch heute arbeitslos sind. Peer Steinbrück, zu der Zeit Bundesfinanzminister, prägt den Begriff des „Karawanen-Kapitalismus“.

Die Nokia-Karawane wird weiterziehen

Im neuen „Nokia-Village“ im rumänischen Cluj sollen 15.000 Menschen arbeiten, versprechen die Nokia-Leute da noch. Doch es werden nie mehr als 2200. Statt wie geplant mindestens 30 Jahre im Land zu bleiben, schließt Nokia das rumänische Werk bereits 2011.

Schuld sind nicht etwa die Arbeiter. „Nokia hat den Einstieg beim Smartphone verpasst“, sagt Markus Friebel, Analyst bei Independent Research. Zu lange habe der Konzern an der Strategie festgehalten, das Geschäft mit billigen Handys zu machen statt mit den schicken neuen Smartphones. Viel zu spät habe der Konzern auf das Betriebssystem Windows Phone gesetzt. Apple und Samsung sind den Finnen bei den Minicomputern um Längen voraus. Allein im vierten Quartal 2011 fuhr Nokia einen Verlust von 1,1 Milliarden Euro ein.

Deshalb kommt es für den Konzern nun bei der Herstellung auf jeden Cent an. „Die Produktion geht dahin, wo gerade die Löhne günstig sind“, sagt Franz Lehner vom Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. Außerdem sitzen fast alle wichtigen Zulieferer für die Handyherstellung in Asien. Durch die Nähe zu ihnen erhofft sich Nokia genauso wie die Konkurrenz kürzere Produktionszeiten und damit weniger Kosten. Hinzu kommt: „Asien ist ein riesiger Absatzmarkt“, sagt Steffen Kinkel, Produktionsexperte beim Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung.

Dort wächst der Absatz von Mobiltelefonen weiter, während die Nachfrage in Europa und den USA stagniert. „Der Anteil der Unternehmen, die ihre Produktion ins Ausland verlagern, ist in keiner Branche so hoch wie in der Elektroindustrie“, sagt Experte Kinkel. Hierzulande mache die Produktion mittlerweile nur noch in zwei Fällen Sinn: Wenn man viel Wissen braucht wie zum Beispiel für den Bau hochkomplexer Maschinen. Oder wenn die Prozesse so hoch automatisiert sind, dass man mit sehr wenigen Arbeitskräften auskommt. „Beides trifft bei der Herstellung von Handys nicht zu“, sagt der Wissenschaftler.

Deshalb also Asien. Was Nokia bislang noch in Ungarn, Finnland und Mexiko zusammenschrauben ließ, kommt demnächst aus Werken im südkoreanischen Masan oder in Peking. Doch: „Auch dort steigen die Lohnkosten“, sagt IW-Forscher Matthes. Auf lange Sicht zögen die Unternehmen weiter ins billigere chinesische Hinterland oder in die Nachbarstaaten. Im vietnamesischen Hanoi will Nokia noch in diesem Jahr ein erstes Werk aufmachen. Spätestens dann heißt es wieder: Die Karawane zieht weiter.

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