US-Präsidentschaftswahl: Donald Trump gibt jetzt den Mitfühlenden
Im Swing State North Carolina verliert Trump kein Wort über Hillary Clintons Gesundheit. Er nutzt ihre Bemerkung über seine "bedauernswerten" Anhänger zur Attacke.
Über Hillary Clintons Gesundheit verliert Donald Trump kein Wort. Das Thema, das seit dem Schwächeanfall der Präsidentschaftskandidatin bei der Trauerfeier für die 9/11-Opfer am Sonntag in New York Amerika bewegt, ist für ihren Kontrahenten bei seinem Wahlkampfauftritt in der Nacht zu Dienstag in North Carolina nicht der Rede wert.
Der neue Champion der "Bedauernswerten"
Hillary Clinton selbst natürlich schon. Fast seine ganze Rede in Asheville, einer Kleinstadt am Fuß der Great Smokey Mountains, baut er auf eine andere Steilvorlage auf, die sie ihm am Wochenende geliefert hat. „Sie nennt euch bedauernswert, ich nenne euch hart arbeitende Amerikaner“, ruft er in die Sporthalle, in der sich rund 7000 Menschen eingefunden haben. Der Jubel zeigt, dass er damit einen Nerv trifft.
Immer wieder kommt Trump in seinem gut 40-minütigen Auftritt auf einen Satz zurück, den Clinton bei einem Fundraiser in New York gesagt und für den sie sich inzwischen entschuldigt hat: „Die Hälfte der Trump-Anhänger könnte man in einen ,Korb der Bedauernswerten‘ tun, wie ich das nenne: Rassisten, Sexisten, Homophobe, Xenophobe, Islamophobe undsoweiter.“
Trump wittert seine Chance
Trump wittert da offenbar eine Chance, wie er die Dynamik verändern und zu Beginn der heißen Wahlkampfphase aus der Defensive in die Offensive kommen kann. Bisher hat man ihm vorgeworfen, dass er Hass und Vorurteile verbreite, dass er die Gesellschaft spalte. Nun dreht er den Spieß um: „Hillary Clinton führt eine hasserfüllte, negative Kampagne.“ Sie habe keine Wertschätzung für die Arbeiter, sie predige von oben herab, voller Arroganz. Jedes Mal, wenn Trump Hillarys Wort von den „Deplorables“, den Bedauernswerten, zitiert, antworten die Tausenden im US Cellular Center mit „Buuuhs“.
Kann ein verbaler Ausrutscher, wie Clinton ihn begangen hat, solche Auswirkungen haben? Mitt Romney hatte 2012 – ebenfalls auf einem Fundraiser – gesagt, 47 Prozent der Wähler seien für ihn ohnehin nicht zu gewinnen, da sie von Sozialleistungen lebten. Diese „47 Prozent“-Bemerkung schadete ihm nachhaltig. Zudem hat sich Clintons Vorsprung deutlich verringert, seit die Sommerpause vorüber ist und deutlich mehr Amerikaner auf den Wahlkampf achten. Im August führte sie zeitweise mit sieben Prozentpunkten im Schnitt der Umfragen. Nun sind es nur noch drei Prozentpunkte.
Jemand kollabiert - ist ein Arzt da?
Trump tritt nun als der Mitfühlende auf. Ein Anführer, der sich um seine Leute kümmert. Es ist stickig in der Mehrzweckhalle, nicht alle haben einen Sitzplatz gefunden. Hunderte stehen seit mehr als einer Stunde dicht gedrängt vor dem Rednerpult. Plötzlich kollabiert jemand. „Ein Arzt, ist ein Arzt da?“, ruft Trump ins Mikrofon. „Bringt Wasser“, weist er die Helfer an. Dann steigt er persönlich von der Bühne herab. Lauter Beifall. „Wir kümmern uns um die Menschen“, lobt er sich, als er wieder am Mikrofon steht.
Spätestens jetzt könnte er eine Anspielung machen, dass Schwächeanfälle selbst in Politikerkreisen … Er widersteht der naheliegenden Versuchung und konzentriert sich ganz auf das neue Leitthema, die Verteidigung der „Bedauernswerten“. „Obama und Hillary haben den Bergbaukumpels die Jobs genommen. Und die Stahlarbeiter sind als nächste dran“, prophezeit Trump. Die Demokraten hassten die einfachen Leute. „Hillary nennt die Arbeiter fremdenfeindlich und was weiß ich noch alles.“
Eine neue Strategie im Swing State NC
Der Auftritt in Asheville, North Carolina, ist das Experimentierfeld für die neue Strategie. Der Südstaat wählte früher verlässlich republikanisch. Neuerdings gehört er zu den wahlentscheidenden „Swing States“. 2008 hat Barack Obama North Carolina als erster Demokrat seit Jahrzehnten gewonnen, 2012 knapp verloren. Trump muss den Staat halten. Wenn er das nicht schafft, hat er keine Aussichten, die 270 Wahlmänner zu gewinnen, die er für den Einzug ins Weiße Haus benötigt. Vor einer Woche kam er nach Greenville, ein Dienstleistungszentrum im Osten, nun nach Asheville im bergigen Westteil. Er wird noch öfter nach North Carolina kommen.
Die Stadt Asheville mit ihren 60.000 Einwohnern und einem Campus der North Carolina University ist mehrheitlich progressiv. Aber die ländliche Umgebung ist konservativ. Dieser Gegensatz war vor der Arena nicht zu übersehen. Hunderte Gegendemonstranten, zur guten Hälfte studentische Jugend, darunter auch Schwarze und Latinos, empfingen die Trump-Anhänger mit Protestplakaten: „Love Trumps Hate“. Und der Empfehlung an Trump, er könne „Asheville Great Again“ machen, indem er verdufte. Wer in die Halle wollte, musste sich Beschimpfungen anhören: „Heuchler!“, „Rassisten!“
Hillary Clinton soll hinter Gitter
Drinnen das umgekehrte Bild: 98 Prozent sind Weiße, über 60 Prozent im Alter über 60 Jahre. Immer wieder führen Ordner und Polizisten Störer, die sich ins Publikum gemischt haben, nach draußen. Tom und Liz, ein Paar Anfang 50, sagen, sie seien eigentlich keine Trump-Anhänger, aber Hillary Clinton sei unwählbar. „Die korrupteste Präsidentschaftsbewerberin, die es je gab. Und dazu ein Lügnerin. Die kommt ungestraft davon mit Verbrechen, für die jeder von uns schon lange im Gefängnis säße.“ Einige im Raum tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Hillary for Prison 2016“.
Trump gibt den Versöhner, der doch für alle wählbar sein müsste, auch für Afroamerikaner und Latinos. Er bittet mehrere Anhänger auf die Bühne. Sie sollen sagen, ob sie sich für „deplorable“ (bedauernswert) halten. Den Anfang macht eine schwarze Lehrerin. „Nein, bedauernswert sei sie nicht. Und auch keine Rassistin“, fügt sie unter dem Gelächter des Publikums hinzu. Es folgt ein weißer Pastor, der empfiehlt, Trump zu wählen, weil er gegen die Abtreibung und für Familienwerte eintrete.
Die Mauer und andere Themen treten in den Hintergrund
Trump nutzt den Themenwechsel, um die bekannten Wahlkampfschlager abzuarbeiten. „Nicht vergessen, wir verteidigen das Recht auf Waffenbesitz. Wir schaffen Obamacare (die Gesundheitsreform) wieder ab. Und wir bringen konservative Richter an den Supreme Court.“ Das Publikum skandiert „U.S.A. U.S.A.“ Und „natürlich werden wir die Mauer bauen. Und wer bezahlt?“ – „Mexiko!“ antwortet das Publikum im Chor. „Hillary hat keine Lösungen anzubieten. Wir bringen eine Lösung nach der anderen für alle Politikfelder, von der Handels- bis zur Bildungspolitik.“ Mit den Details hält er sich nicht auf. Die könne jeder auf der Trump-Webseite nachlesen.
„Hillary denkt, sie steht über dem Recht“, sagt Trump. „Sie hat 30.000 Emails verschwinden lassen.“ Und sie habe „die meisten ihrer 15 Mobiltelefone zerstört. Sie hat sie mit dem Hammer zerschlagen“, behauptet Trump. „Sie muss sehr viel zu verbergen haben.“ – „Lock her up“ (Sperrt sie ein), antworten Tausende in der Arena.
Dann ist er wieder bei seinem neuen Lieblingsthema: dem „Korb der Bedauernswerten. Wie kann jemand, der so über Amerikaner redet, Präsidentin werden? Ich verspreche euch: Ich werde alles in Ordnung bringen. Ich werde ein Präsident aller Amerikaner sein. Auch derer, die mich nicht wählen. Der Wandel beginnt in dem Moment, wo ich im Amt bin.“ Beifall. Auch in Asheville schließt Trumps Auftritt mit dem Song „You can’t always get what you want“. Man wüsste gerne, was seine Berater sich dabei denken. Und wen diese Pointe am Wahltag treffen wird: ihn oder sie?
Verbales Spießrutenlaufen
Auf dem Weg hinaus müssen die Trump-Anhänger erneut ein verbales Spießrutenlaufen über sich ergehen lassen. Die Gegendemonstranten sind immer noch da, lassen John Lennons „Imagine“ aus Lautsprechern dröhnen und skandieren „Love Trumps Hate“. Noch führt Clinton in den Umfragen für North Carolina mit 44,3 zu 43,5 Prozent. Falls sie hier in den nächsten Wochen deutlich zurückfällt, wäre das ein Signal, dass sie sich auch um andere Swing States sorgen muss.