Steinmeier in der Oberlausitz: Auf der Suche nach dem anderen Sachsen
Rechte Umtriebe, Abwanderung, Strukturschwäche - die Oberlausitz hat viele Probleme. Der Bundespräsident ist als Mutmacher unterwegs.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trägt sich ins Gästebuch der kleinen Stadt Ostritz ein. Sie hat 2368 Einwohner, liegt weit im Osten Deutschlands an der Grenze zu Polen. Und hat eine Menge Probleme. Zuletzt hat sie Schlagzeilen gemacht, weil ein hessischer Unternehmer und ein NPD-Funktionär aus Thüringen hier Ende April das Neonazi-Musikfestival "Schild & Schwert" veranstalteten - und mehr als 1000 Besucher anlockten.
Aber es gab auch viel Gegenwehr. Linke Proteste und vor allem das bürgerlicher Ostritzer Friedensfest, über das sich Steinmeier am Montag informierte, als er im Rahmen seiner Regionaltour "Land in Sicht" in Ostsachsen unterwegs war. Begleitet von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der aus dieser Gegend stammt. Begeistert notiert Steinmeier im Gästebuch: "Wir danken für die große Gastfreundschaft in dem wunderbaren Ostritz mit so mutigen, kreativen und engagierten Menschen, die diese Stadt so lebens- und liebenswert machen. Auf Wiedersehen!"
45 Prozent der Einwohner haben den Landkreis seit 1990 verlassen
"Land in Sicht" ist ein noch recht neues Format des Bundespräsidenten. Bisherige Reisen führten ihn in den Bayerischen Wald und in die Uckermark, noch für Oktober ist ein Besuch in der West-Pfalz rund um Pirmasens geplant. Ziel ist es, Mut in Regionen zu machen, die von Strukturschwäche geplagt sind, mit Abwanderung vor allem junger Leute zu kämpfen haben. Oder die, wie es bei der Region Görlitz der Fall ist, auch noch mit rechten Umtrieben zu kämpfen haben.
Seit 1990 haben 45 Prozent der Einwohner den Landkreis verlassen. Der Bundestagswahlkreis Görlitz war 2017 einer von drei in denen die AfD ein Direktmandat errang - damalige sächsischen CDU-Generalsekretär Kretschmer verlor damals seinen Sitz im Bundestag. Am Montag, in Görlitz, Ostritz und Großhennersdorf, zeigt er sich dankbar für den Besuch Steinmeiers. Er würdigt die großen Perspektiven ländlicher Regionen und nennt die Visite des Bundespräsidenten ein "Aufbruchsignal". Und sagt: "Es gibt überhaupt keinen Grund, jetzt pessimistisch zu sein."
Die AfD erscheint nicht zum Gespräch im Landratsamt
Steinmeier und Kretschmer begegnen am Montag keinen AfD-Politikern. Auch deren Fraktionschef ist zum Gespräch im Landratsamt eingeladen, aber er leistet dem nicht Folge. Dafür erzählen andere, dass es durchaus viele Zeichen eines Aufbruchs gibt. Beispielsweise hat Ostritz eine engagierte Zivilgesellschaft - und sie auch bitter nötig. Denn die Rechtsextremisten wollen es bei dem Festival im April nicht bewenden lassen. Erst am Wochenende kamen dort 700 Neonazis aus verschiedenen Teilen Deutschlands und Europas zu einem "Kampf der Nibelungen". Und das nächste „Schild & Schwert“-Festival soll bereits Anfang November stattfinden. Dann aber wieder begleitet von starkem und kreativem Gegenprotest: Für das parallel stattfindende nächste Friedensfest steht bereits das Programm mit mehr als 30 Aktivitäten. Als „total bewegend“ empfindet Kretschmer die Berichte der Ostritzer Bürger.
"Völlig anderer Eindruck"
Steinmeier sagt am Abend bei einem Bürgerempfang in Großhennersdorf, Ostritz mache auf ihn einen „völlig anderen Eindruck“ als er überregional vorherrsche. Es sei ein "tolles Zeichen", dass sich die Bürger das Treiben der Rechtsextremisten nicht gefallen lassen würden. Es gebe viele, die nicht in der Sofaecke säßen und schimpfen, sondern Menschen, "die sich um mehr kümmern als nur um sich selbst". Und fast stimmt der Bundespräsident in die Medien-Schelte Kretschmers ein, der vor allem überregionalen Zeitungen und Sender vorgeworfen hatte, zu pauschal über Sachsen und Ostdeutsche zu berichten. In Steinmeiers Worten heißt es, überregionale Medien würden zu oft so tun, als ob sich in Städten wie Ostritz nur Rechtsextreme sammeln.
Der Bundespräsident versichert, es gehe ihm nicht um das Bild einer "Postkartenidylle", wohl aber um die differenzierte Perspektive. Nach seinem Antrittsbesuch im vergangenen Jahr will er deshalb schon am 1. November wieder in Sachsen sein. Dann geht es nach Dresden, zur Rassismus-Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum. Am Nachmittag will er nach den rechten Ausschreitungen in Chemnitz mit Bürgern bei einer sogenannten "Kaffeetafel" ins Gespräch kommen, sowohl solchen mit als auch solchen ohne Migrationshintergrund. Damit kommt er Kanzlerin Angela Merkel zuvor, die erst zwei Wochen später nach Chemnitz reisen und dort mit Bürgern diskutieren wird.