Bärbel Bas kandidiert als Bundestagspräsidentin: Auf dem zweiten Bildungsweg ins zweithöchste Staatsamt
Die SPD will eine Frau zur Bundestagspräsidentin machen, die nur wenige kennen. Sie kommt aus dem Ruhrpott - und hat sich ihren Aufstieg hart erarbeitet.
Als Carsten Schneider um kurz nach neun am Brandenburger Tor vorbei Richtung Reichstag schlendert, ist er sehr entspannt und guter Dinge. Er redet über seine Leidenschaft für das Rennrad- und Querfeldeinfahren, lässt sich aber nicht das Geheimnis entlocken, das keine 50 Minuten später bundesweit zu Eilmeldungen führen soll. Denn die SPD hat auch zur Erleichterung Schneiders eine erste schwierige Personalie lösen können.
Schneider, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, tagt um 09.30 Uhr mit dem Geschäftsführenden Fraktionsvorstand. Als stärkste Kraft bei der Bundestagswahl hat die SPD traditionell das Vorschlagsrecht für das Amt des Bundestagspräsidenten. Doch schon gleich diese erste Personalie entwickelte sich in den vergangenen Tagen schwierig.
Zunächst galt Fraktionschef Rolf Mützenich als Favorit, aber das führte zu Widerstand, auch im eigenen Lager.
Denn mit Olaf Scholz als möglichem Kanzler und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hätten dann drei Männer mit SPD-Ticket die drei höchsten Staatsämter innegehabt.
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Widerstand gegen Mützenich - weil er ein Mann ist
Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) stellte sich gegen den Mützenich-Plan und hielt die Wahl einer Frau für "zwingend" notwendig, um dem eigenen, im Wahlkampf vertretenen Anspruch von mehr Frauen in hohen Ämtern gerecht zu werden.
Daher kursierte in der SPD zuletzt auch der Name der Gesundheitspolitikerin und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Bärbel Bas als Alternativoption. Bärbel Wer?, werden sich einige Bürger an diesem Tag noch fragen.
Mützenich steckte schließlich selbst zurück und schlug die 53-Jährige am Mittwochmorgen um kurz vor zehn für das Amt der Bundestagspräsidentin vor. Der Nominierungsbeschluss im geschäftsführenden Fraktionsvorstand der SPD, zu dem eben auch Carsten Schneider gehört, fiel einstimmig.
Die Frau aus dem Ruhrgebiet soll in der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags am 26. Oktober gewählt werden. Dennoch wirkt das tagelange Gezerre - mit einer Mützenich-Empfehlung von SPD-Chef Norbert Walter-Borjans - nun so, als sei Bas nicht erste Wahl.
Renger, Süssmuth, Bas?
Mit Annemarie Renger (SPD, 1972 bis 1976) und Rita Süssmuth (CDU, 1988 bis 1998) bekleideten erst zwei Frauen das protokollarisch zweithöchste Staatsamt in Deutschland.
Sofort gibt es kritische Stimmen, das sei nach Wolfgang Schäuble (CDU) eine Notlösung, zugleich wagt die SPD damit ein besonderes Experiment. Quasi Chance und Risiko zugleich, etwas aus der Not geboren.
Schließlich gab es in den vergangenen Jahren Kritik, dass manche Debatte am Volk vorbeigehe und der Bundestag mit seinen vielen Akademikern immer weniger einen Querschnitt des Volks darstelle.
Eine klassische Aufsteigergeschichte
Dieser Vorwurf dürfte Bärbel Bas kaum treffen, denn sie bringt eine klassische Aufsteigergeschichte mit. Geboren 1968 im Duisburger Stadtteil Walsum, zu Hause sind sie sechs Kinder. Bas spielt in ihrer Kindheit und Jugend leidenschaftlich gern Fußball. Erst als Linksaußen, später als Libero bei mehreren Vereinen, zuletzt bei der DJK Adler Duisburg.
Nach ihrem Hauptschulabschluss will Bas technische Zeichnerin werden und bekommt keine Ausbildungsstelle. Daraufhin lernt sie das Schweißen. "80 Bewerbungen und Absagen später riet mir mein Vater, mich um einen Ausbildungsplatz als Bürogehilfin bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft AG (DVG) zu bewerben", sagt Bas zu ihrem Werdegang.
1985 beginnt sie bei der DVG und macht sich dort für bessere Ausbildungsbedingungen stark. Sie wechselt später in die Betriebskrankenkasse der DVG und absolviert von 1994 bis 1997 eine weitere Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten, später folgt noch ein Fachstudium mit der Weiterbildung zur Krankenkassenbetriebswirtin - ein Aufstieg auf dem zweiten Bildungsweg.
Seit 2009 gewann sie den Wahlkreis in Duisburg immer direkt
Aus der Zeit rührt das große Interesse für Gesundheitsthemen. Bas ist verwitwet und hat keine Kinder. Neben der Gesundheits- und der Bildungspolitik liegen ihr vor allem die Rentenpolitik, die Sozialpolitik und die Arbeitsmarktpolitik am Herzen.
Bas, die dem linken Parteiflügel zugerechnet wird, ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags, stets gewann sie den Wahlkreis Duisburg I direkt, zuletzt mit 40,3 Prozent. Bisher war Bas stellvertretende Fraktionsvorsitzende.
Der Chef der NRW-Landesgruppe in der SPD-Fraktion, Achim Post, lobte, dass sie mit ihrer Vita alle Voraussetzungen mitbringe, "um dieses so wichtige Amt im Sinne eines starken und bürgernahen Parlamentarismus auszuüben".
Es wurde schon spekuliert, ob den Grünen das Amt überlassen wird
Die SPD hatte, als klar war, dass eine Besetzung mit Mützenich zu viel Gegenwind bringt, Probleme, eine geeignete Frau als Kandidatin zu finden. Daher gab es bereits Spekulationen, die SPD könne auf das traditionelle Zugriffsrecht auf das Amt als stärkste Fraktion verzichten und das Amt zum Beispiel den Grünen überlassen, die mit Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth geeignete Kandidatinnen gehabt. hätten. Auch um Steinmeiers Wiederwahl als Bundespräsident fest abzussichern.
Bas' Aufstieg und die Personalie Steinmeier
Die getroffene Personalentscheidung kann Auswirkungen auf die Wiederwahlchancen von Bundespräsident Steinmeier bei der Bundesversammlung im kommenden Februar haben. Für ihn war es wichtig, dass eine Frau nominiert wird, sonst wäre er kaum zu halten gewesen. Aber FDP und Grüne könnten als mögliche Partner in einer Ampel-Koalition auf dem Amt beharren - allerdings hatte die FDP im Frühjahr Steinmeiers Wiederwahl unterstützt und die SPD-Wahlleute werden kaum einen der ihren aus dem Amt bugsieren wollen.
Mützenich bleibt damit Fraktionschef, ein Schlüsselposten bei einer Regierungsbeteiligung, da der Fraktionsvorsitzende dann auch mitunter schmerzhafte Kompromisse bei den eigenen Bundestagsabgeordneten durchsetzen muss, die Scholz als möglicher Kanzler aushandelt.
Aydan Özoguz, sozialdemokratische Abgeordnete aus Hamburg und frühere
Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, soll stellvertretende Bundestagspräsidentin werden. Jeder Fraktion im Bundestag steht in der Regel ein Vizeposten zu, aber alle AfD-Kandidaten fielen seit 2017 bisher immer durch.
In der Coronakrise gibt sie Spahn Contra
Einem größeren Publikum war Bas bisher nicht bekannt. Sie hatte sich in der Corona-Krise aber zuletzt im Parlament immer wieder profiliert und für strenge Maßnahmen geworben, wenngleich sie hier stets im Schatten des Gesundheitsexperten Karl Lauterbach stand. Wiederholt griff sie auch trotz der gemeinsamen Koalition Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an. „Nach dem Impfchaos und den Betrugsskandalen bei den Schnelltests droht nun ein weiterer, schwerwiegender Fehler des Gesundheitsministers im Management der Pandemie“, sagte sie dem Tagesspiegel mit Blick auf massenhaft gekaufte minderwertige Masken.
Zugleich warb sie immer wieder für ein gemeinsames Vorgehen. Nach dem Streit zwischen Bund und Ländern und scharfer Kritik an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen des gescheiterten Oster-Lockdowns sagte sie im Bundestag: "Ostern ist das Fest der Auferstehung. Die Pandemie besiegen wir nur gemeinsam".
In ihrer neuen Rolle ist gerade Moderation und Überparteilichkeit gefragt. In den eigenen Reihen gilt das Mitglied der Parlamentarischen Linken (PL) als geachtete und verlässliche Politikerin. Sie sei eine „geerdete Politikerin“ heißt es, die aus dem Ruhrpott, der langjährigen „Herzkammer der Sozialdemokratie“ komme. In bislang drei Legislaturperioden hat sie sich eine breite Erfahrung parlamentarischer Abläufe erarbeitet, was essentiell für die Aufgabe ist. Für ihre neue Aufgabe bringe sie „die notwendige Standfestigkeit und Nervenstärke“ mit, heißt es in der SPD. Gerade auch mit Blick auf den Umgang mit der AfD.
Viele erfahrene SPD-Politikerinnen waren nicht mehr angetreten
Reihenweise hatten profilierte weibliche SPD-Abgeordnete nicht mehr für den Bundestag kandidiert, auch weil sie mit einer Niederlage und dem Gang in die Oppositionen rechneten. „Die wäre perfekt gewesen“, hieß es zum Beispiel über Justizministerin Christine Lambrecht, die zuvor Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführerin war und mit allen Abläufen der Parlamentsarbeit vertraut war. Denn diese sind komplex, weshalb Neulinge im Bundestag für das zweithöchste Staatsamt ausscheiden.
Doch auch Lambrecht hatte nicht erneut kandidiert, so wenig wie die frühere Gesundheitsministerin und Bundestags-Vizepräsidentin Ulla Schmidt. In der Folge wurde neben Bärbel Bas auch die Ex-Integrationsbeauftragte n Özoguz als mögliche Bundestagspräsidentin gehandelt worden, die nun einen der Vizeposten bekommen soll. Jede Fraktion im Bundestag hat ein Anrecht auf einen Vizepräsidentenposten, bei den Grünen könnte es erneut Claudia Roth werden.
Nur die AfD konnte bisher keinen Vizepräsidenten stellen, da keiner ihrer Kandidaten in der vergangenen Legislaturperiode eine Mehrheit bekam.
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