Kann Steinmeier Bundespräsident bleiben?: Widerstand in SPD gegen Rolf Mützenich
Olaf Scholz hat gleich bei der ersten Personalentscheidung mit Gegenwind zu kämpfen. Mit der Lösung hängt zusammen, ob Steinmeier Bundespräsident bleiben kann.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat in diesem Jahr zum internationalen Frauentag am 8. März folgendes betont: „Allein die Tatsache, dass ich ein Mann bin, hat mir häufig im Leben geholfen. Das ist mir bewusst. Und gerade deshalb bin ich Feminist. Für mich war immer klar: Frauen gehört die Hälfte der Macht.“
Doch in der politischen Realität tut sich die SPD schwer, das auch umzusetzen. Schon bei der ersten Personalentscheidung ist die Partei in einer Zwickmühle, weil das höchste Staatsamt weiter mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besetzt bleiben soll, das zweite, das des Bundestagspräsidenten steht der SPD als stärkster Fraktion im Bundestag traditionell zu. Und das dritte, das des Kanzlers, will Scholz bald selbst bekleiden.
Seit klar ist, dass der bisherige Fraktionschef Rolf Mützenich gerne das Amt des Bundestagspräsidenten übernehmen will, wächst der Widerstand - denn drei Männer auf SPD-Ticket in den höchsten Ämtern passt schlecht zu dem vom Scholz mit einer Ampel-Koalition verbundenen progressiven Aufbruchsignal.
Zumal auch der Bundesratspräsident (Reiner Haseloff, ab November Bodo Ramelow) und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts (Stefan Harbarth) als Nummer vier und fünf in den höchsten Staatsämtern Männer sind.
Eine Variante, die Spitze des Bundestags den Grünen zu überlassen, die mit Katrin Göring-Eckardt eine sehr respektable Persönlichkeit hätten, wurde von SPD-Chef Norbert Walter Borjans abgelehnt.
So eine überraschende Handlung würde aber zugleich die Wiederwahlchanen für den laut Umfragen sehr geschätzten Bundespräsidenten Steinmeier erhöhen. Und wäre ein umarmendes Signal für die geplante Koalitionsarbeit.
Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) will nicht das Argument gelten lassen, es fehle in der SPD an geeigneten Kandidatinnen - und fordern eine Frau in dem Amt, und verweisen darauf, dass im Zukunftsprogramm der SPD zur Bundestagswahl das Jahrzehnt der Gleichstellung gefordert wird. Die ASF-Bundesvorsitzende Maria Noichl und ihre Ko-Chefin Ulrike Häfner betonen:: „Die Zeit ist reif für eine Bundestagspräsidentin". Si bleibe dabei: Echte Parität zeigt sich in den Spitzenpositionen!“, sagte Noichl dem Tagesspiegel. Gegenüber dem "RND" sagte sie mit Blick auf das SPD-Wahlprogramm und andere Ankündigungen: „Diese Worte fordern Taten. Daher ist die Position der Bundestagspräsidentin auch zwingend mit einer Frau zu besetzen.“
Widerstand von mehreren Seiten
In einem Offenen Brief an die Mitglieder der SPD-Bundestagfraktion fordern auch die Soziologin Jutta Allmendinger und der frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, die Nominierung einer Frau als Nachfolgerin von Wolfgang Schäuble (CDU). "Wir teilen die Hochschätzung für Rolf Mützenich. Allerdings wäre seine Berufung für die Glaubwürdigkeit der Partei, die mit den Stichworten ‚Respekt‘ und ‚Teilhabe‘ Wahlsiegerin geworden ist, kein Signal von Aufbruch und Fortschritt“, schreiben die beiden Wissenschaftler in dem Offenen Brief, der dem "Tagesspiegel" vorliegt.
Allmendinger und Dabrock warnen, dass eine solche Entscheidung „wie aus der Zeit gefallen“ wirke: „Noch weniger Verständnis werden nicht nur Wählerinnen, sondern auch progressive Wähler haben, wenn am Ende der schweren Corona-Krise wieder Frauen das Nachsehen haben.“ Und sie betonen: „Wir appellieren an Sie als Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion, sich der gesellschaftlichen Bedeutung, ja Sprengkraft der anstehenden Entscheidung für die Nominierung des Amtes der Bundestagspräsidentin gewahr zu werden“. Auch in der SPD gebe es „hochqualifizierte und in der Parlamentsarbeit erfahrene Frauen“ fürs Amt der Bundestagspräsidentin.
Nur zwei Bundestagspräsidentinnen bisher
Mit Annemarie Renger (1972 bis 1976) und Rita Süssmuth (1988 bis 1998) bekleideten erst zwei Frauen das protokollarisch zweithöchste Staatsamt in Deutschland. So hat Scholz in der Frauenfrage einige Lieferprobleme. Er hatte auch angekündigt, dass ein von ihm geführtes Kabinett zur Hälfte mit Frauen besetzt sein soll. SPD und Grüne hat er da auf seiner Seite, die FDP will sich da aber nicht herein reden lassen. "Zuallererst muss die fachliche Kompetenz eine Rolle spielen, denn die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht", sagt FDP-Vorstandsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann den Funke-Medien.
Das Problem der SPD in der Frage, wer in dieser Woche nominiert werden soll für das Amt des Bundestagspräsidenten, ist folgendes: Reihenweise hatten vor allem weibliche Abgeordnete nicht mehr für den Bundestag kandidiert, auch weil sie mit einer Niederlage und dem Gang in die Oppositionen rechneten. Nun hat die SPD die Bundestagswahl gewonnen und kann das Amt besetzen.
„Die wäre perfekt gewesen“, heißt es zum Beispiel über Justizministerin Christine Lambrecht, die zuvor Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführerin war und mit allen Abläufen der Parlamentsarbeit vertraut ist.
Denn diese sind komplex, weshalb Neulinge im Bundestag für das zweithöchste Staatsamt ausscheiden. Doch auch Lambrecht hatte nicht erneut kandidiert, so wie die frühere Gesundheitsministerin und Bundestags-Vizepräsidentin Ulla Schmidt.
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Gehandelt wird nun zum Beispiel die frühere Integrationsbeauftragte im Kanzleramt, Aydan Özoguz. Aber es gibt Zweifel in der SPD, ob sie dem Amt gewachsen ist. Die bisherige Bundesumweltministerin Svenja Schulze hingegen saß bisher nicht im Bundestag und ist neu. Genannt wird auch immer wieder der Name der Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas.
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Es mangelt aber insgesamt an optimalen Optionen, zumal es nach Schäuble ohnehin schwer wird für den Nachfolger oder die Nachfolgerin.
Verschärft hatte die Debatte der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans, der in einem Interview eine Präferenz für SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich erkennen ließ.
Der 62-Jährige sitzt seit 2002 im Bundestag, gilt als integer und guter Moderator - aber auch als sehr linksorientiert. Eine der größten Herausforderungen wird in dem Amt der Umgang mit der AfD bleiben.
SPD-Chef bringt Mützenich ins Spiel - wird Klingbeil sein Nachfolger?
„Die größte Fraktion stellt traditionell den Bundestagspräsidenten, und das sind diesmal wir. Es gibt keinerlei Anlass, daran etwas zu ändern“, stellte Walter-Borjans in der „Bild am Sonntag“ klar.
Am 26. Oktober ist die konstituierende Sitzung des Bundestags. „Wen die SPD-Fraktion für das Amt des Bundestagspräsidenten oder der Bundestagspräsidentin vorschlagen wird, werden wir in dieser Woche entscheiden“, betont ein Fraktionssprecher auf Tagesspiegel-Anfrage.
Walter-Borjans sagt, für das Amt gebe es „eine Reihe von geeigneten Frauen und Männern in der SPD-Fraktion, angefangen bei unserem Fraktionschef Rolf Mützenich“.
Sollte es Mützenich werden, bräuchte die SPD einen neuen Fraktionschef. Es wäre in einer Ampel-Koalition eine Schlüsselaufgabe, um Kompromisse durchzusetzen und um Scholz den Rücken freizuhalten. Immer wieder fällt der Name Lars Klingbeil. Er hat als Generalsekretär die neue Geschlossenheit und den erfolgreichen Wahlkampf organisiert, zudem wird ihm zugetraut, die neuen jungen Abgeordneten gut zu integrieren. Aber auch der Parteilinke Matthias Miersch gilt als eine Option.
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SPD pocht auf Kanzler, Bundestagspräsidenten und Bundespräsidenten
Zu dem Einwand, dass mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dem voraussichtlichen künftigen Kanzler Scholz (SPD) und Mützenich dann drei Männer die Staatsspitze bilden würden, sagte Walter-Borjans in dem Interview: „Alle drei sind herausragende Persönlichkeiten, die drei Ämter hängen nicht miteinander zusammen.“
Das könnte sich aber als Wunschdenken entpuppen, das zeigt schon dieser Montag und die Reaktionen darauf. Zwar soll über das Amt des Bundespräsidenten nicht direkt in Ampel-Koalitionsverhandlungen verhandelt werden. Aber schon als Signal könnten FDP oder Grüne (womöglich nach Absprachen zwischen den Parteichefs) auf das Bundespräsidentenamt pochen – und es mit einer Frau besetzen. Steinmeier würde gerne weitermachen, kann aber nur in Schloss Bellevue sitzen, abwarten und hoffen, dass die SPD vielleicht bei der ersten Entscheidung, der über den Bundestagspräsidenten eine Lösung findet, die seine Widerwahlchancen nicht torpediert.