Dienstjahr für Frauen und Männer?: Auch SPD-Spitze gegen Wiedereinführung der Wehrpflicht
Der Vorstoß der Wehrbeauftragten Högl für die Wehrpflicht verpufft. AKK kündigt einen Freiwilligendienst an und erneuert Pläne für ein Pflichtjahr für alle.
Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sehen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht als ein Mittel, um rechtsextremistischen Vorfällen in der Bundeswehr vorzubeugen. „Die Wehrpflicht gehört zu den immer wiederkehrenden Themen und steht nicht im Zusammenhang mit der gefährdeten Demokratiefestigkeit einzelner Bereiche der Bundeswehr, die nie mit Wehrpflichtigen besetzt worden sind“, erklärten sie am Samstag in Berlin. Sie bezogen sich damit offensichtlich auf die Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK), die nach mehreren Vorfällen umstrukturiert werden soll.
[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's jetzt mit Tagesspiegel Plus. Jetzt 30 Tage kostenlos testen]
Die Wehrbeauftragte Eva Högl hatte vor dem Hintergrund rechtsextremistischer Vorfälle in der Bundeswehr eine Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht angestoßen. Die SPD-Politikerin sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Ich halte es für einen Riesenfehler, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde.“
2011 war die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland und damit auch der Zivildienst ausgesetzt worden. Die Bundeswehr wurde so zu einer Freiwilligenarmee.
Högl sagte, schon vor dieser Entscheidung der Aussetzung habe es die Befürchtung gegeben, „dass sich Rechtsextremismus in einer Berufsarmee stärker entwickelt als in einer Wehrpflichtarmee“. „Man müsse diese Entscheidung sehr kritisch analysieren.“ Ob es für die Rücknahme der Entscheidung eine politische Mehrheit gibt, „das wird sich am Ende der Debatte zeigen“, sagte Högl. Dabei solle es auch um die Frage gehen, ob Männer und Frauen gleichermaßen dienen sollten.
Zuletzt waren immer wieder Verdachtsfälle von Rechtsextremismus bei aktiven und ehemaligen Soldaten aufgetaucht, darunter beim KSK. Auf dem Grundstück eines KSK-Soldaten in Sachsen war ein Waffenlager ausgehoben worden. Kramp-Karrenbauer hatte als Konsequenz angekündigt, das KSK umzustrukturieren und eine Kompanie aufzulösen.
Am Samstag hatte bereits Verteidigungsministern Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ihre Ablehnung einer Wiedereinführung der Wehrpflicht bekräftigt. Kramp-Karrenbauer nannte die von Högl angestoßene Debatte über die Wehrpflicht zwar interessant. Sie sagte aber in Berlin zugleich: „Es geht nicht darum, einfach die Wehrpflicht alter Form wieder aufleben zu lassen, es geht auch nicht darum, das insbesondere zu sehen als einen Kampf gegen Rechts. Sondern es geht um die Frage, was uns in dieser Gesellschaft zusammenhält, was der Kitt ist und wie wir die stärken, die für diese Gesellschaft wirklich etwas tun wollen.“
Die Ministerin fügte hinzu: „Im Verteidigungsministerium befassen wir uns schon seit längerer Zeit mit der Frage, was für ein Angebot wir denen machen können, die sich zwar für einen freiwilligen Wehrdienst interessieren, denen das aber zu viel ist." Es gebe außerdem bei der Reserve Handlungsbedarf. Das genaue Konzept über den neuen Dienst solle bald vorgestellt werden. Beim freiwilligen Wehrdienst geht es um eine Dauer von sieben bis 23 Monaten.
Die Wehrpflicht sei auch aus Gründen der mangelnden Wehrgerechtigkeit ausgesetzt worden. „Im übrigen haben wir viele der Strukturen abgebaut“, sagte Kramp-Karrenbauer mit Blick etwa auf die aufgelösten Kreiswehrersatzämter. Außerdem habe sich die Bundeswehr strategisch weiterentwickelt. „Ich glaube, dass das intelligentere Mittel wäre, über eine allgemeine Dienstpflicht in Deutschland nachzudenken – eben nicht nur im militärischen Bereich, sondern auch im zivilen Bereich.“ Die CDU-Chefin verwies darauf, dass die Partei seit längerem über ein allgemeines Dienstjahr für junge Männer und Frauen diskutiere. Die CDU spricht von einem „Deutschlandjahr.“
Als Ergänzung zum freiwilligen Wehrdienst soll bei der Bundeswehr ab 2021 unter dem Titel „Dein Jahr für Deutschland“ ein neuer Dienst eingeführt werden, wie Kramp-Karrenbauer ankündigte. Jugendliche, die sich für den Dienst entscheiden, sollen in ihrer jeweiligen Heimat eine sechsmonatige militärische Grundausbildung erhalten und anschließend für sechs Monate heimatnah zu Reservediensten herangezogen werden.
[Wenn Sie alle aktuelle Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Högl zufolge reichen die Probleme in der Bundeswehr „von rechtsextremen Äußerungen bis hin zu rechtsextremen Verbindungen und Aktivitäten“. Auf die Frage, ob sich eine Untergrundarmee formiere, antwortete die Wehrbeauftragte: „Das wollen wir alle nicht hoffen. Wir wissen es nicht.“ Bisher gebe es aber „keine Anzeichen für die Existenz einer Armee in der Armee oder einer Untergrundarmee“, sagte Eva Högl, die seit Anfang Mai Wehrbeauftragte ist. Warum in der Bundeswehr Sprengstoff und Munition verschwunden seien, müsse der Staat allerdings „mit allen rechtsstaatlichen Mitteln aufklären“. Über viele Jahre sei der Rechtsextremismus „nicht ausreichend als Problem in der Bundeswehr thematisiert“ worden. Das gelte auch für den Militärischen Abschirmdienst.
Die Soldaten rief Högl zur Wachsamkeit auf. „Erstmal sollten Soldaten dagegenhalten, wenn ein Kamerad sich rassistisch oder antisemitisch äußert – am Stammtisch wie in den sozialen Medien“, forderte sie. „Als zweiten Schritt sollten die Soldaten ihre nächsthöheren Vorgesetzten informieren, wenn sie Rechtsextremismus erleben.“ Auch sie und die Verteidigungsministerin seien ansprechbar.
Zu rechtsextremen Umtrieben im KSK sagte Högl, bei ihrem Besuch in Calw habe sie erlebt, dass ein Teil der Elitesoldaten „ernsthaft besorgt und betroffen“ sei und Rechtsextremismus ablehne. „Andere wiederum bagatellisieren rechtsextremistische Vorfälle, nach dem Motto: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, bemängelte die Wehrbeauftragte.
[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de]
Der Kandidat für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, sieht eine Wiedereinführung der Wehrpflicht skeptisch. Zwar könne man über die Wehrpflicht oder eine allgemeine Dienstpflicht diskutieren, sagte Merz den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Aber die ohne Zweifel notwendige Bekämpfung des Rechtsradikalismus reicht als Begründung dafür nicht aus.“
Die Linkspartei lehnt eine Wiedereinführung der Wehrpflicht strikt ab. „Rechtsextremistisches Gedankengut und rechtsterroristische Gewaltfantasien in der Bundeswehr stehen nicht kausal mit dem Ende der Wehrpflicht in Zusammenhang, sondern mit einer Kultur in der Bundeswehr, die dies über Jahrzehnte zugelassen und toleriert hat“, sagte Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch.
Linke, Grüne und FDP lehnen Wehrpflicht ab
Eine Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht sei „ein gefährlicher Pappkamerad“, der die offensichtlichen Probleme in der Truppe nicht lösen werde. „Statt jungen Leuten mit der Wehrpflicht selbstbestimmte Zeit zu nehmen, brauchen wir auf allen Ebenen der Bundeswehr eine Nulltoleranz gegenüber geschichtsvergessenen Faschisten, die glauben, in Uniform ihr krankes Gedankengut ausleben zu können“, betonte Bartsch.
Der Grünen-Sicherheitsexperte Tobias Lindner sprach von einer Debatte im „Sommerloch“. „Die Wehrpflicht würde der Bundeswehr sicherheitspolitisch keinen Vorteil bringen, sondern lediglich massive personelle und finanzielle Ressourcen verschlingen“, sagte Lindner in Berlin.
Wer wolle, dass die Truppe auch weiterhin möglichst die Breite der Gesellschaft abbilde, müsse nicht nur eine angemessene Bezahlung und Ausrüstung sicherstellen. Notwendig sei auch eine verantwortungsvolle Rekrutierungspraxis und zeitgemäße politische Bildung der Soldatinnen und Soldaten.
Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte, dass Högl die Wehrpflicht wieder einführen wolle, sei „vollkommen überflüssig“. Die Bundeswehr brauche für ihre hochkomplexen Aufgaben Spezialisten.
Der Präsident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg (CDU), begrüßte den Vorstoß zur Wehrpflicht. „Die Aussetzung der Wehrpflicht war ein Fehler und ich habe damals deshalb auch dagegen gestimmt“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete dem „Handelsblatt“. Inzwischen gebe es in Deutschland eine „breite Zustimmung“ für ihre Wiedereinführung beziehungsweise für eine allgemeine Dienstpflicht. „Es macht Sinn, dies mit der grundsätzlichen Überlegung zu einer Dienstpflicht zu verbinden.“ (AFP, dpa, Reuters)