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Der neue und alte Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan. Die EU beschloss nun, den Ausbau der Zollunion zu stoppen.
© Uncredited/POOL Presidency Press Service/AP/dpa

Kein Ausbau der Zollunion: Ankara: EU-Haltung ist "verlogen" und "voreingenommen"

Die Türkei hat die Entscheidung der EU-Staaten scharf kritisiert, die Zollunion vorerst nicht auszubauen. die EU sei in einer "anti-türkischen Mentalität gefangen.

Die Türkei hat die Entscheidung der EU-Staaten scharf kritisiert, die Zollunion vorerst nicht auszubauen. Vorwürfe der EU-Mitgliedstaaten, die Türkei entferne sich von Europa, seien "verlogen und inkohärent" und spiegelten eine "voreingenommene und ungerechte Haltung" gegenüber der Türkei wider, erklärte das Außenministerium in Ankara am Mittwoch. Die Erweiterung nutzte beiden Seiten etwas und es sei „unverständlich“, dass diese an Bedingungen geknüpft werde. „Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass sich die EU der Türkei gegenüber nicht gerecht und ehrlich verhält.“

Der türkische Europa-Minister Ömer Celik teilte auf Twitter mit, die Erklärung der EU-Staaten habe „keine Vision“ und sei „fern von Fakten und voller Widersprüche“. Es zeige sich zudem, dass die EU von einer „anti-türkischen Mentalität gefangen gehalten“ werde.

Am Dienstagabend hatten die EU-Staaten bei einem Ministertreffen in Luxemburg beschlossen, mit der Türkei vorerst keine Verhandlungen über den Ausbau der Zollunion aufzunehmen. In einer Erklärung hieß es zudem, die Türkei habe sich zuletzt weiter von der Europäischen Union entfernt. Vor allem die anhaltenden Rückschritte bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit seien zutiefst besorgniserregend.

Eine rasche Wiederannäherung zwischen der Türkei und Europa ist nicht zu erwarten. Vor der Wahl berichteten Medien, Erdogan wolle das türkische EU-Ministerium abschaffen.

Die Zollunion von EU und Türkei gibt es seit mehr als 20 Jahren. Das Handelsvolumen beider Seiten hat sich seit ihrer Gründung mehr als vervierfacht. Im Zuge des Flüchtlingspakts mit Ankara hatte die EU eigentlich Verhandlungen über eine Ausweitung versprochen. Doch die wurden von den Mitgliedstaaten nach der Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdogan nun begraben.

Die EU ist der größte Handelspartner der Türkei

Auch aufgrund der Zollunion ist die EU mit Abstand der größte Handelspartner der Türkei. Im vergangenen Jahr exportierten türkische Unternehmen Waren im Wert von 69,8 Milliarden Euro in die Europäische Union. Im Gegenzug führten europäische Firmen Güter für 84,5 Milliarden Euro in die Türkei aus - das Land ist damit vor Japan der fünftgrößte Exportmarkt der EU.

Die Zollunion war Ende 1995 in Vorbereitung der türkischen Bewerbung um eine EU-Mitgliedschaft in Kraft getreten. Güter können dabei ohne Zölle und Beschränkungen über die Grenzen der Partner geliefert werden. Ausgenommen sind der Bereich Kohle und Stahl und die meisten landwirtschaftlichen Produkte. Die Türkei ist ihrerseits verpflichtet, EU-Standards etwa für Industriegüter anzuerkennen und muss die EU-Handelsvereinbarungen mit anderen Ländern akzeptieren. Nach außen hin gelten einheitliche Zölle von EU und Türkei für die Einfuhr der von der Zollunion erfassten Güter.

Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten Ankara im Gegenzug für die Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise 2016 Gespräche über die Modernisierung und den Ausbau der Zollunion zugesagt. Die EU-Kommission bewertete darauf eine Ausweitung auf die Bereiche Dienstleistungen, öffentliche Beschaffung und Landwirtschaft grundsätzlich positiv.

Doch die Pläne kamen schnell wegen des rigorosen Vorgehens der türkischen Regierung gegen ihre Kritiker ins Stocken. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte dann beim EU-Gipfel im Dezember Gespräche über eine Modernisierung bis auf Weiteres ausgeschlossen. In ihren Beschlüssen zu den EU-Beitrittskandidaten zogen die Mitgliedstaaten nun de facto einen Schlussstrich: "Keine weiteren Arbeiten zur Modernisierung der EU-Türkei-Zollunion sind vorgesehen", heißt es.

Erdogan hatte am Sonntag die Präsidentenwahlen nach inoffiziellen Ergebnissen mit 52,59 Prozent der Stimmen gewonnen. In den Parlamentswahlen, die gleichzeitig stattfanden, wurde die Allianz von Erdogans AKP und der ultranationalistischen MHP stärkste Kraft. Internationale Wahlbeobachter kritisierten, die Kandidaten hätten bei den Wahlen nicht dieselben Chancen gehabt.

Verhaftungswelle in der Türkei geht weiter

Unterdessen hält nach Erdogans Wahlsieg die Verhaftungswelle in der Türkei wegen mutmaßlicher Verwicklung in den gescheiterten Putsch von 2016 unvermindert an. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft in Ankara wurden 99 Angehörige der Luftwaffe in der Hauptstadt und 20 Provinzen wegen Kontakten zum Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen festgenommen.

Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete am Mittwoch, zudem seien 93 Angehörige des Heeres, der Marine und der Küstenwache in Haft genommen worden. Erst am Dienstag hatten die Behörden in einer landesweiten Aktion die Festnahme von 132 Menschen angeordnet.

Während der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am Sonntag wurden in der Türkei auch drei Deutsche festgenommen. Wie eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Montag in Berlin bestätigte, erfolgte die Festnahme der deutschen Staatsangehörigen in Sirnak im Südosten des Landes. Nicht bestätigen könne sie, dass es sich um Wahlbeobachter handele. Alle drei würden konsularisch betreut.

Nach seiner Wiederwahl am Sonntag regiert Erdogan mit noch weitreichenderen Vollmachten, die nach der von ihm betriebenen Verfassungsänderung zeitgleich mit der Abstimmung in Kraft traten. Er macht seinen in den USA lebenden ehemaligen Verbündeten Gülen für den Putschversuch verantwortlich, bei dem im Juli 2016 rund 250 Menschen getötet worden. Gülen bestreitet jede Verwicklung.

Seit dem Putschversuch wurden nach US-Angaben rund 160.000 Menschen festgenommen und etwa ebenso viele aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Über 50.000 Personen wurden seither angeklagt und befinden sich in Haft. Kritiker werfen Erdogan vor, den Putschversuch zu nutzen, um abweichende Meinungen zu unterdrücken. Die Regierung bezeichnet hingegen die Verhaftungen als notwendig, um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. (dpa, AFP, Reuters, epd)

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