Nach Erdogans Wiederwahl: Das Verhältnis zwischen Europa und der Türkei ist zerrüttet
Das deutsch-türkische Verhältnis steckt in der Krise fest. Um Ankaras Verhältnis zu Europa ist es kaum besser bestellt. Gibt es irgendwelche Anzeichen für einen positiven Ausblick?
Nach überschäumender Freude klang es nicht gerade, was Angela Merkel zur Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu sagen hatte. Deutschland wolle Partner einer stabilen, pluralistischen und rechtsstaatlichen Türkei sein, schrieb die Kanzlerin in einer Glückwunschbotschaft.
Nach Merkels Worten zu urteilen, ist die deutsche Regierungschefin „offenbar nicht besonders glücklich“ über den Sieg des Staatschefs, sagt Mustafa Yeneroglu, Außenpolitiker der Erdogan-Partei AKP, im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Merkels Skepsis wird in vielen EU-Hauptstädten geteilt. Auch der europäische Wahlkalender verhindert einen möglichen Neuanfang in den türkisch-europäischen Beziehungen nach Erdogans Erfolg bei der türkischen Präsidenten- und Parlamentswahl am Sonntag. „Realistisch betrachtet, sind vor der EU-Parlamentswahl im kommenden Jahr keine positiven Schritte zu erwarten“, sagt Yeneroglu. Außerdem lasse „der grassierende Rechtspopulismus in Europa“ keine konstruktiven Schritte gegenüber der Türkei zu. Yeneroglu rechnet deshalb mit einem „Überwintern“ der Beziehungen bis zur Europa-Wahl im Mai kommenden Jahres. „Bis dahin erwarte ich maximal auf der Arbeitsebene eine Zusammenarbeit technischer Natur.“
Dauerkrise in den Beziehungen
Auftrittsverbote für türkische Regierungspolitiker in Europa, Erdogans Nazi-Vergleiche und die Verhaftung deutscher Staatsbürger in der Türkei hatten im vergangenen Jahr zu einer Dauerkrise in den Beziehungen geführt. Bemühungen um eine Wiederannäherung sind nicht sehr weit gekommen. Nach Erdogans Wahlsieg war in Deutschland zudem Kritik an der Unterstützung für Erdogan durch türkische Wähler in der Bundesrepublik lautgeworden.
Yeneroglu, der in Köln aufwuchs und lange in Deutschland gelebt hat, kritisierte die Debatte. Für jemanden wie ihn, der in Deutschland sozialisiert worden sei, wirke die Diskussion „enttäuschend, befremdlich, ja sogar entsetzlich.“
Eine substanzielle Verbesserung der Beziehungen kommt aus Sicht europäischer Politiker erst nach einer Aufhebung des Ausnahmezustandes in der Türkei in Betracht. Erdogan hat dies angekündigt, doch ein Datum für die Aufhebung gibt es noch nicht. Über Aufnahme der Türkei in die EU wird ohnehin schon lang nicht mehr ernsthaft verhandelt. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron schlägt stattdessen eine „Partnerschaft“ zwischen EU und Türkei vor.
Auf türkischer Seite ist der Europa-Enthusiasmus des vergangenen Jahrzehnts einem wachsenden Misstrauen gewichen. In Erdogans neuer Regierung wird es anders als bisher kein eigenständiges Ministerium für EU-Angelegenheiten mehr geben. Im Wahlkampf hatte der Präsident mehrfach heftige Kritik am Westen geübt und seine Wähler aufgerufen, Europäern und Amerikanern an der Urne „eine Lehre zu erteilen.“
An stabilen Beziehungen zum Westen interessiert
Türkische Nationalisten werfen dem Westen vor, er wolle die Türkei schwächen, um einen Aufstieg des Landes zu einer eigenständigen Regionalmacht zu verhindern.
Trotz der Probleme halten Ankara und Brüssel an der Zusammenarbeit in Bereichen wie dem Handel, der Energiepolitik oder der Flüchtlingsfrage fest. Diese punktuelle Kooperation werde auch nach den türkischen Wahlen weitergehen, sagt Amanda Paul von der Denkfabrik EPC in Brüssel. „Die Spannungen in den Beziehungen bedeuten nicht, dass man in bestimmten Bereichen nicht zusammenarbeiten kann.“
Schon aus wirtschaftlichen Interessen heraus wird Ankara auch weiterhin an einigermaßen stabilen Beziehungen zum Westen interessiert sein: Die Europäische Union ist der wichtigste Exportmarkt für die Türkei.
Auf der Seite der Europäer sollte dies mit einem „positiven Engagement“ beantwortet werden, rät Halil Karaveli vom Institut für Sicherheits- und Entwicklungspolitik in Stockholm. Insbesondere Deutschland sei geradezu „besessen“ von Erdogan und konzentriere sich viel zu sehr auf die Person des Staatspräsidenten, sagt Karaveli. „Die Türkei wegzustoßen, nützt nur den türkischen Rechtsnationalisten.“