Veto bei Solidaritätszuschlag: Angela Merkel und Volker Kauder stoppen Wolfgang Schäuble
Das "Nein" von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim "Soli" hat Folgen - für Steuerzahler, für den Bundeshaushalt, für die Bund-Länder-Finanzen, für das Koalitionsklima. Die Gemengelage ist undurchsichtig. Eine Analyse.
Kanzlerin Angela Merkel und Unions-Fraktionschef Volker Kauder haben sich, mit Unterstützung von CSU-Chef Horst Seehofer, im koalitionsinternen Streit um die Zukunft des Solidaritätszuschlags endgültig durchgesetzt. Demnach lehnt es die Union ab, die 1991 erstmals erhobene Ergänzungsabgabe von 2020 an in die normale Einkommensteuer zu integrieren – ein Modell, das vor allem die SPD in Bund und Ländern favorisiert und das auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Rahmen der Bund-Länder-Finanzverhandlungen lange Zeit mitgetragen hat. Stattdessen wollen CDU und CSU nun den „Soli“ zwar beibehalten, ihn aber ab 2020 langsam senken. Nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ ist vorgesehen, diese Abschmelzung „zum Beispiel bis 2030“ vorzunehmen, doch ist das offenbar die Minimalzeitspanne - es sind offenbar auch deutlich längere Zeiträume im Gespräch.
Merkel und Kauder stoppen Schäuble
Merkel und Kauder lehnen das Integrationsmodell ab, weil sie fürchten, dass dies als Steuererhöhung ausgelegt würde – und damit als Bruch des Wahlkampfversprechens der Union, eben keine Steuern zu erhöhen. Dahinter steckt die Annahme, dass der „Soli“ als zeitlich befristet wahrgenommen wird – als Sondersteuer für den Aufbau Ost, indirekt gebunden an den Solidarpakt, der bis 2019 läuft. Das ist zwar juristisch nicht ganz stichhaltig, denn der Soli ist gesetzlich nicht befristet und fließt schon jetzt zu einem großen Teil nicht in die direkte Ost-Förderung, sondern in den allgemeinen Topf im Bundesetat. Doch ist die allgemeine Wahrnehmung eine andere, zumal ein Hauptgrund zur Einführung des Zuschlags (erstmals 1991) ausdrücklich die Situation in den damals neuen Ländern war. Gleichzeitig hatten Merkel und Kauder aber auch gesagt, dass die Soli-Einnahmen vorerst noch gebraucht würden. Der Vorschlag der Abschmelzung dient nun vor allem dazu, eventuelle Bedenken des Verfassungsgerichts aufzufangen, falls es zu einer Klage gegen den „Soli“ kommen sollte mit der Begründung, dass Ergänzungsabgaben nicht unendlich erhoben werden dürfen. Solche Abgaben müssen auch mit einem dringenden Sonderbedarf begründet werden, der diese Zusatzsteuer rechtfertigt. Das dürfte der Union für die Zeit nach 2019 nicht ganz leicht fallen. In SPD-Kreisen hieß es zuletzt stets, dass keine der sonst debattierten Ideen – etwa ein Steuerzuschlag für den Schuldenabbau, die Infrastruktur oder die Bildungskosten – verfassungsfest wäre. Mit dem Aufbau Ost aber lässt sich nach Auslaufen des Solidarpakts auch nicht mehr argumentieren, so dass die Abgabe, wie es derzeit aussieht, ohne belastbare Begründung zum Abschmelzen verlängert wird.
Gabriel hat offenbar schon eingelenkt
In der SPD stieß der Unions-Beschluss, der schon Thema in der Koalitionsrunde in der vorigen Woche gewesen ist, zwar auf wenig Verständnis, doch scheint man ihn akzeptiert zu haben. SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel wäre „Schäubles schnelle Lösung“ lieber gewesen, die der Bundesfinanzminister bereits im Herbst zusammen mit dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) gemacht hatte, um Bewegung in die Bund-Länder-Verhandlungen zum Finanzausgleich zu bekommen. Bei der Integrationslösung wären die Einnahmen von Ländern und Kommunen gestiegen, denn im Gegensatz zum Soli, der allen dem Bund zufließt, wird die Einkommen- und Körperschaftsteuer geteilt. Die höheren Einnahmen hätten, so das Kalkül, vor allem bei SPD-Ländern den Weg zu Kompromissen beim Finanzausgleich gebahnt. Dagegen hatte Bayern den Vorschlag von Schäuble und Scholz von Beginn an skeptisch betrachtet, und auch die Ost-Länder waren dagegen, weil die Finanzkraftunterschiede zwischen Starken und Schwachen weiter gestiegen wäre, und damit auch das Volumen des Länderfinanzausgleichs.
Gabriel warnt nun davor, den von Scholz und Schäuble mit der Integrationslösung verbundenen Abbau der kalten Progression ebenfalls zu beerdigen. Das sollte ein Zugeständnis an die Steuerzahler sein, um die Erhöhung der Einkommensteuer schmackhafter zu machen. Abbau der kalten Progression heißt, den Einkommensteuertarif ständig an die Inflation anzupassen und damit steuerliche Nachteile für jene Bürger zu verhindern, deren Einkommen weniger stark steigen als die Preise oder die in einem Jahr oder über Jahre hinweg gar keine Gehaltserhöhungen bekommen. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft stützt Gabriel: „Wir erwarten, dass die Bundeskanzlerin nun einen alternativen Vorschlag präsentiert, der dann mit den Ländern diskutiert werden kann.“
Sind die Länder wirklich so überrascht?
Baden-Württembergs Finanzminister Nils Schmid, einer der Hauptverfechter der Integrationslösung, zeigte sich verwundert. Schäuble habe immer wieder betont, dass es sich dabei um keine Steuererhöhung handele. Insofern sei die Positionsänderung der CDU nicht nachvollziehbar. Noch schärfer reagierte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Die Union nehme bei den Bund-Länder-Finanzgesprächen "chaotische Verhältnisse" in Kauf. "Es ist absehbar, dass der Bund mit diesem Modell in den nächsten 15 Jahren rund 100 Milliarden Euro für sich einsammeln will, ohne die Länder zu entlasten. Vor dem Hintergrund der großen Zukunftsaufgaben in den Bereichen Infrastruktur, Bildung und Flüchtlingshilfe, die die Länder schultern müssen, ist dieser Vorschlag untauglich", sagte er. Er blicke mit Sorge auf die weiteren Verhandlungen, eine Einigung erscheine ihm nun nur "sehr schwer zu erreichen“.
Auch CDU-Politiker reagierten verwundert bis pikiert. Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) pocht darauf, „dass der Teil, der ab 2020 für Länderaufgaben vorgesehen ist, nämlich 42 Prozent des Aufkommens, nicht zur Disposition stehen kann“. Und der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich sagte, in den bisherigen Verhandlungen habe "weitgehender Konsens" darüber bestanden, "dass der Solidaritätszuschlag auch nach Auslaufen des Solidarpaktes II für die Bewältigung vielfältiger gesamtstaatlicher Herausforderungen in Ost und West bereitstehen soll". Er gehe davon aus, dass der Soli den ostdeutschen Ländern und Kommunen auch weiterhin zur Verfügung stehe, um deren weit unterdurchschnittliche Finanzkraft auszugleichen.
Die Frage ist nun, wie trotz des Vetos der Unions-Spitzen die Bund-Länder-Gespräche im Fluss gehalten werden können. Vereinbart ist, nach jahrelangen Debatten nun im Juni zumindest die wesentlichen Eckpunkte für einen neuen Finanzausgleich vorzulegen. Die bisherige Regelung läuft zusammen mit dem Solidarpakt 2019 aus. Nach Informationen des Tagesspiegels werden allerdings in den Ländern schon neue Modelle erwogen, die ohne eine Aufteilung der Soli-Mittel funktionieren - schließlich hatte sich das Unions-Veto schon im Dezember angekündigt. Wie es heißt, bemüht sich nicht zuletzt Baden-Württemberg um einen Kompromiss. Die Vorstellung geht generell offenbar dahin, als Ersatz für die entgehenden Einnahmen bei der Einkommensteuer den Ländern einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer zuzugestehen. Diese teilen sich im Wesentlichen Bund und Länder. Schäfer sagte, man sei für eine solche Lösung offen. Das Problem ist allerdings, dass Schäuble in den bisherigen Verhandlungen versucht hat, den Anteil des Bundes an der Umsatzsteuer wieder zu erhöhen – er war im Zuge der Neuregelung des Finanzausgleich bereits in den 90er Jahren zu Gunsten der Länder verringert worden.
Wie geht man mit den Düsseldorfern um?
Zudem muss versucht werden, die besonders sperrige rot-grüne Regierung in Düsseldorf in einen Kompromiss einzubinden. Nordrhein-Westfalen sieht sich durch das bestehende System benachteiligt, weil es trotz relativ großer Finanzkraft am Ende als Nehmerland dasteht. „Die Position des Landes Nordrhein-Westfalen dazu ist klar: Wir werden nicht weiter dafür zahlen, dass andere keine Kredite aufnehmen müssen und uns deshalb selber verschulden. Ob das mit oder ohne Soli geregelt wird, ist dabei nachrangig“, sagt NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). Die spezifische NRW-Problematik hängt nicht zuletzt mit der Verteilung der Umsatzsteuer unter den Ländern zusammen. Wie es heißt, wird nun überlegt., diese zu ändern. Grundsätzlich wird der Länderanteil nach Einwohnern aufgeteilt. Doch dürfen maximal 25 Prozent der Umsatzsteuer laut Grundgesetz nach anderen Kriterien verteilt werden, um damit finanzschwächere Länder besser zu stellen.
Derzeit liegt diese Quote bei dreizehn Prozent; er könnte nun gesenkt werden, was für Nordrhein-Westfalen vorteilhaft wäre. Im Gespräch ist ein neuer Wert von sieben Prozent. Im Gegenzug, so die Vorstellungen, könnten die ostdeutschen Länder weiterhin besondere Bundeszuweisungen in Höhe von jährlich zwei Milliarden Euro bekommen. Dieses Kompromissmodell umfasst auch eine Milderung der kalten Progression um etwa zwei Milliarden Euro im Jahr. In dem Zusammenhang, so heißt es in Länderkreisen, seien auch die am Dienstag bekannt gewordenen Investitionsmaßnahmen des Bundes für die Kommunen zu sehen. Sie sind sehr kommunalfreundlich ausgefallen, vor allem der schon für dieses Jahr geplante und bis 2018 laufende Unterstützungsfonds für finanzschwache Städte und Gemeinden gilt als großes Entgegenkommen des Bundes. Und die finanzschwachen Kommunen ballen sich vor allem in Nordrhein-Westfalen, daneben auch in Rheinland-Pfalz und zudem im Osten.
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