Asylpolitik und der Seehofer-Streit: Angela Merkel steht am Rand des Machtverlusts
Bleibt die Kanzlerin beim Flüchtlingsthema isoliert, stellt sich die Machtfrage. Will Angela Merkel das? Ein Kommentar.
Fast 13 Jahre ist Angela Merkel im Amt der Bundeskanzlerin, aber dass ihr die eigene Fraktion die Unterstützung versagt hätte – das ist neu, ist gefährlich. Gerade in der Flüchtlingsfrage hat sie die eigenen Reihen sowieso nie hinter sich schließen können. Doch jetzt sind Dreiviertel offen gegen ihren Kurs, kein einziger ergreift für sie Partei. Im Gegenteil, die Kritik an der Frontfrau ist hart und vernehmlich. Kaum verhüllte Drohungen von der Spitze hatten in zurückliegender Zeit Wirkung – nun nicht mehr. Das ist eine Zäsur.
Merkel steht nicht an der Seite des Bundesinnenministers und Kollegen Parteichefs von der CSU . Sie bekennt sich nicht zu Horst Seehofers 63 Punkte umfassenden Masterplan Migration, im Gegenteil. Das hat dazu geführt, dass sie nicht nur von den Christsozialen verlassen wird – die Kanzlerin bringt auch ihre CDU gegen sich auf. Die fühlt sich von Seehofer viel eher verstanden, weit mehr repräsentiert. Denn die immer noch schwierige Situation im Land, die anstrengende Organisation der Integration, die Probleme mit dem Bundesamt für Migration, alles das zerrt an den Nerven der Unionspolitiker. Darum begehren auch die Ministerpräsidenten auf.
In einem der vielen Punkte Seehofers geht es darum, dass diejenigen Asylsuchenden an Deutschlands Grenzen abgewiesen werden, die schon in anderen EU-Ländern mit ihren Fingerabdrücken in der „Eurodac“-Datei registriert sind. Merkel lehnt das ab. Zitat: „Weil ich nur in der europäischen Regelung eine Lösung sehe.“ Da denkt die Unionsfraktion offenkundig anders. Sie sieht das europäische Recht gewährleistet.
Merkels Behandlung des Problems führt zur Krise
Das ist der Grund, warum keiner für Merkel Partei ergriff: weil sie weder Kopf noch Gefühl ansprach. Sonst hätte doch wenigstens einer mit europäischer Solidarität argumentiert, vor Unmut der Österreicher, Griechen, Italiener gewarnt, die sich schon belastet genug fühlen. Und einer hätte gesagt, dass sich mit Seehofers Plan die Unterstützung für Deutschland in der EU bei anderen wichtigen Fragen erledigt haben könnte. Nicht einer – und nicht sie.
Ihre Behandlung des Problems führt zur Krise. Merkel wirkt auf die Mehrheit der Union, als ignoriere sie die Einsprüche. Nach dem Motto, es kann nicht sein, was nicht sein darf. Sie erklärt ihre Vorstellungen nicht, wirbt nicht, kämpft nicht, sondern versucht, sie über die Zeitachse zum Dekret gerinnen zu lassen. Damit aber betreibt die Kanzlerin für eine zunehmende Zahl von Kritikern die dreifache Spaltung: die der eigenen Partei, die zwischen CDU und CSU, und sie selbst entfernt sich auch noch von der Wirklichkeit.
Wenn Merkel auf ihrer Haltung beharrt, ist sie in den eigenen Reihen isoliert. Bleibt sie isoliert, ist ihre Macht ernsthaft gefährdet. Die CSU ist „maximal entschlossen“, wie Generalsekretär Markus Blume sagt. Vielleicht die Bundeskanzlerin aber auch, bis hin zum Verlust ihres Amts.
Womöglich sieht sie darin auch eine Chance. Wäre es nicht groß, mit dieser Haltung – europäisch und humanitär gesinnt – zu scheitern? Dieser Gedanke gibt den Blick frei: Es ist irgendwie nicht mehr ihre Zeit. Sie erscheint in den wesentlichen Momenten zu langsam und zu unentschlossen. Wirkt blass neben einem Macron. Ihr Satz, sie habe keine Zeit für Gedanken ans Aufhören, spricht für sich: Die Zeit wird kommen.