TV-Duell Kandidatin gegen Kandidaten: Als Scholz Baerbock in Schutz nahm
Es war das erste öffentliche Streitgespräch der Kanzlerkandidaten von Grünen und SPD. In der Form verlief es höflich, in der Sache deutlich härter.
Rund vier Monate vor der Bundestagswahl haben sich Annalena Baerbock und Olaf Scholz bei ihrem ersten Duell als Kanzlerkandidaten eine in der Form sehr höfliche, aber in der Sache harte Auseinandersetzung geliefert. Im Polittalk mit dem Titel „Wer schafft’s ins Kanzleramt?“ von RBB-Inforadio, Süddeutscher Zeitung und Bertelsmann-Stiftung verwies der Vizekanzler am späten Montagabend immer wieder auf seine Erfahrung in verschiedenen politischen Ämtern und empfahl sich selbst als Garanten dafür, dass ehrgeizige Ziele auch tatsächlich umgesetzt werden.
Die Grünen-Chefin präsentierte sich als Erneuerin und machte Scholz für die aus ihrer Sicht unzureichenden Entscheidungen der großen Koalition gegen den Klimawandel und gegen die Corona-Pandemie mit verantwortlich.
„Respektvoll miteinander umgehen“, gab Baerbock als Ziel im Wahlkampf aus – und daran hielten sich beide Konkurrenten in der 75 Minuten langen Sendung. Allzu großes Lob für die oder den anderen vermieden sie aber. Scholz könne „richtig Hamburgern“ sagte die Grünen-Chefin auf die Frage, was der Sozialdemokrat besser könne als sie – und er bringe „lange Erfahrung in verschiedenen Ministerien“ mit. Der SPD-Kandidat lobte umgekehrt den Mut der 40-Jährigen, sich um das Amt der Kanzlerin zu bewerben. Negative Eigenschaften an ihr wollte er aber keine nennen.
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Als es um die Attacken in sozialen Netzwerke auf Baerbock und Zweifel an ihrem Studienabschluss ging, verteidigte der 22 Jahre ältere Scholz die Grünen-Politikerin ausdrücklich. Angriffe auf sie im Netz seien „völlig unmöglich“, meinte er mit Nachdruck: „Das gehört sich nicht.“ In einem solchen Fall habe jeder trotz der politischen Konkurrenz „die Solidarität der anderen verdient“.
Der als spröde geltende Hamburger schien im Verlauf der Sendung immer mehr in Fahrt zu kommen, brachte ein ums andere Mal Formulierungen wie „ich als Kanzler“ unter, zeigte Gefühle, auch Leidenschaft. Wenn sich ein Bürger bei ihm an einem Wahlkampf-Infostand beklage, dass sich die Politik nicht um ihn kümmere, „dann trifft mich das ins Herz“, versicherte der Sozialdemokrat, der in Potsdam im gleichen Wahlkreis wie Baerbock antritt.
Zugleich betonte er die Stetigkeit seiner politischen Arbeit und Leistungen. Er sei nicht zufällig in der SPD, sagte er: „Es war für mich immer so, dass ich sicher bin, wer ich bin und warum ich das mache.“ Scholz verwies auf seine Leistungen als Bundesarbeitsminister und Hamburger Bürgermeister, hob etwa das Kurzarbeitergeld hervor: „Eine Erfindung, die ich gemacht habe und die Deutschland Arbeitsplätze gerettet hat und jetzt in der ganzen Welt kopiert wird.“
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Baerbock präsentierte sich als Vertreterin einer neuen Generation und als Kandidatin einer Partei, die den Klimawandel mit mehr Entschiedenheit bekämpfen werde. Zu den Herausforderungen einer Regierungschefin sagte sie: „Natürlich habe ich großen Respekt vor der Aufgabe.“ Aber Politikerfahrung heiße „nicht nur Regierungserfahrung“, meinte sie und verwies darauf, dass sie auf acht Jahre Erfahrung im Bundestag als Abgeordnete zurückschaue und dort interfraktionelle Beschlüsse organisiert hatte. Es war nicht ihr stärkster Moment in der Sendung.
Den Umstand, dass sich die Grünen-Politikerin ein eigenständigeres, selbstbewussteres Parlament gegen eine Bundesregierung wünschte, die sie doch selbst anführen will, nützte Scholz für einen Angriff. Wer Kanzler werden wolle, dürfe keine Angst vor „Leadership“ haben und müsse auch dem Parlament Vorgaben machen, warf er in den Raum und bekräftigte damit seinen eigenen Führungsanspruch: „Es wäre mir schon wichtig, dass man das so macht.“
Nur indirekt warf der SPD-Kandidat der Konkurrentin vor, ihre hohen Ansprüche seien womöglich nicht gedeckt oder nicht garantiert umsetzbar. „Was ich wichtig finde, wenn es um die Zukunft geht, dass wir sie nicht nur wünschen, sondern dass man das auch hinkriegen muss“, meinte er. Was er selbst „hingekriegt“ hatte als Politiker, erwähnte er gleich mehrfach.
"Ich gehe nicht mit bei diesem Zaudern", sagt die Kandidatin
Attacken auf die Politik von Scholz fuhr Baerbock vor allem beim Kampf gegen den Klimawandel. „Ich gehe nicht mit bei diesem Zaudern“, sagte sie zu den Entscheidungen des Vizekanzlers: „Wenn wir jetzt diese Klimakrise nicht anpacken, dann werden wir am Ende alles verlieren.“
Der warf den Grünen vor, sie machten nicht deutlich, dass ihre ehrgeizigeren Klimaziele die Menschen Geld kosten würden. „Das finde ich nicht so richtig, dass man da abstrakt bleibt“, mahnte er. Die Grünen und mit ihnen verbundene Öko-Institute wollten, dass Diesel-Benzin teurer wird: „Das muss man dann auch sagen.“
Einigkeit herrschte erst wieder bei der Frage, ob für die teuren Zukunftsaufgaben wie Pandemiebewältigung, Energiewende, Digitalisierung und Bildungsausbau die höheren Einkommen und die hohen Vermögen stärker herangezogen werden sollen. „Ja, wir sind uns einig, nur ein gerechtes Steuersystem ist in der Lage, die Zukunftsausgaben zu bewältigen“, meinte Scholz.
Fazit: Baerbock hatte jenseits des grünen Kernthemas Klimawandel etwas Mühe, ihren Anspruch auf Erneuerung in emotional überzeugender Weise zu begründen, lieferte als Alternativen zur Politik der Groko in der Corona-Pandemie teilweise eher Überschriften als Konzepte. Scholz schien trotz mieser Umfragewerte Gefallen an seiner Rolle gefunden zu haben – zumindest im Umgang mit der Kandidatin der gegenwärtig stärkeren Ökopartei, die gegen ihn wenig punkten konnte.
Die Frage der Moderatoren Angela Ulrich und Stefan Braun, warum die SPD nicht dazugewinnt in einer Zeit, in der der Staat als Gestalter immer wichtiger wird, wollte Baerbock übrigens nicht beantworten. Ihre Begründung mit Seitenblick auf Scholz: „Da könnte er mich als Politikberaterin anstellen.“