Ansgar Wucherpfennig: Als Rektor zu liberal für den Vatikan
Ansgar Wucherpfennig darf sein Amt als Rektor der Hochschule St. Georgen nicht ausüben. Der Grund: Der Kirche passen seine Ansichten zur Homosexualität nicht.
Ein holzgetäfelter Festsaal, Reihen rot bezogener Stühle, darauf Würdenträger dicht an dicht. Deutschlands oberster Katholik, Kardinal Reinhard Marx, wird gleich reden und der Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier. Vorher aber lenkt der Gastgeber die Aufmerksamkeit auf einen anderen Anwesenden: „Ich darf, stellvertretend für alle, Pater Professor Doktor Ansgar Wucherpfennig, den gewählten Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen aus Frankfurt, begrüßen.“ Spontanes Lachen ist zu hören, dann tosender, anhaltender Applaus. Fröhlich und trotzig ist dieser Beifall.
Wucherpfennig, ein schlanker Mann, der in der zweiten Reihe schräg hinter Steinmeier und dem Kardinal sitzt, ist zwar der gewählte Rektor der Hochschule. Die meisten im Saal jedoch wissen: Er darf dieses Amt nicht ausüben. Die Bildungskongregation des Vatikans verweigert ihm das „Nihil Obstat“, was so viel heißt wie „Es steht dem nichts entgegen“. Eine Art Unbedenklichkeitsbescheinigung, eine Genehmigung, die das Protokoll verlangt, da die Hochschule, eine von zehn staatlich anerkannten katholischen Lehranstalten in Deutschland mit Promotionsrecht, dem Kirchenrecht unterliegt. Offenkundig aber hat der Vatikan etwas dagegen.
Es ist der 19. Oktober, und in der Katholischen Akademie in Berlin-Mitte feiern sie mit 250 Gästen das Jubiläum der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle „Cibedo“, die seit 40 Jahren den Dialog der Religionen fördert. Männer mit Bärten und Fes oder Kippa, Frauen mit Kopftuch. „Mit Klugheit und mit Liebe“ lautet das Motto der Organisation.
Er befürwortet die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare
Die „Cibedo“ steuert ihre Arbeit von der Sankt-Georgen-Hochschule in Frankfurt am Main aus. Wucherpfennig hat dort bereits zwei Amtsperioden als Rektor hinter sich, er leitet sie seit 2014. Doch seit der heute 52-jährige Jesuitenpater unter anderem in einem Interview mit der „Frankfurter Neuen Presse“ 2016 die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und das Frauendiakonat befürwortet hat, ist er den Oberen in Rom offenbar zu liberal. Statt des „Nihil Obstat“ erreichte ihn im Juni die schriftliche Aufforderung, er solle seine Äußerungen widerrufen.
Papst Franziskus persönlich ist einmal in Sankt Georgen gewesen. Im Jahr 1985 war Jorge Mario Bergoglio für ein paar Tage zu Gast, arbeitete an der Hochschule an seiner Doktorarbeit. Da war Wucherpfennig noch nicht dort, er kam erst 2008 nach Frankfurt. Im Gespräch mit Journalisten sagte Franziskus, gerade Papst geworden, 2013: „Ein Homosexueller? Wer bin ich, ihn zu verurteilen?“
Das habe ihm Auftrieb gegeben, erzählt Wucherpfennig, auf ihn habe er sich verlassen. Vor Beginn der Fest-Andacht in Mitte sitzt Wucherpfennig in der Katholischen Akademie auf einem engen Sessel im ersten Stock und blinzelt in die Herbstsonne. Ein Mann, der nachdenkt, bevor er auf Fragen antwortet, dann spricht er druckreif und persönlich. Ein Rebell, Reformator, Revolutionär gar, ist er nicht. Weder fordert er die „Ehe für alle“ noch die Frauenordination.
"Kirche ist doch keine Disziplinaranstalt"
Doch irgendjemand muss Wucherpfennig angeschwärzt haben in Rom, wohl wissend, dass die offizielle katholische Lehre homosexuelle Handlungen als widernatürlich verurteilt. „Sie sind in keinem Fall zu billigen“, heißt es im Katechismus, dem Handbuch für den christlichen Glaubensunterricht. Allerdings sei homosexuell veranlagten Frauen und Männern „mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen“.
Wucherpfennig ist seit drei Jahren in der Seelsorge für Lesben und Schwule tätig. Er hat dort Menschen kennengelernt, die fromm sind und gläubig, aber von der Kirche aufgrund ihrer sexuellen Identität verstoßen werden. Heimatsuchende, die nicht ankommen dürfen. Kirche sei doch keine Disziplinaranstalt, sagt Wucherpfennig.
Überhaupt, soll in dem mahnenden Schreiben aus Rom stehen, müsse er „seine Seelsorgepraxis ändern“.
Im Fachblatt „Stimmen der Zeit“ erklärte Wucherpfennig: „Die Bibel kennt Homosexualität nicht als Kontrastbegriff zur Heterosexualität.“ Paulus etwa sei es nicht um gleichgeschlechtliche Liebe, sondern um Begierde gegangen, ein Begriff „aus der antiken Triebtheorie“. Und Jesus, der gegen das Votum seiner Jünger die Kinder segnend in seine Arme nimmt, zeige damit, „dass sie und viele andere Menschen, die nichts zählen in der Gesellschaft, nicht weniger zum Reich Gottes gehören als all die Heilsbesitzer und Bedenkenträger, die es ihnen wehren wollen“.
Wucherpfennig widerruft nicht. Heilsbesitzer und Bedenkenträger: Drückt sich in dieser Charakterisierung eine Ahnung vom Wesen seiner Widersacher aus?
Seit Anfang Oktober sein Fall bekannt, der Fall zur Affäre, die Affäre zum Skandal wurde, wächst die Liste seiner prominenten Unterstützer täglich an: Provinzial Johannes Siebner, Wucherpfennigs Ordensvorgesetzter, wirft dem Vatikan vor, im „Stil eines byzantinischen Hofstaats“ zu agieren. „Wir haben in der Kirche kein Problem mit Homosexuellen – wir haben ein Problem mit Homophoben.“
Gegen Heilsbesitzer und Bedenkenträger
Der Limburger Bischof Georg Bätzing ließ erklären, Wucherpfennig sei ein brillanter Theologe und loyal zur Kirche. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf schrieb in einem Beitrag für das Bistum: „Wir können die Debatten nicht unterdrücken, da wir nicht ausschließen können, dass sie der Reifung der Erkenntnis in der Kirche helfen.“ Scharf reagierte die Bewegung „Wir sind Kirche“. Die Kongregation wolle „ihre reaktionären Vorstellungen mit autoritären Methoden“ durchdrücken. Das sei „angesichts des enormen Glaubwürdigkeitsverlustes der römisch-katholischen Kirche“ nicht tolerabel. Der Münsteraner Theologe Michael Seewald spricht von einem „kirchlichen Denunziations- und Überwachungsapparat“.
„Wie können wir in einer solchen Situation noch sagen, wir Katholiken würden uns für die Freiheit der Wissenschaft einsetzen?“, fragte der Bundesvorstand der katholischen Hochschulseelsorger. Die gesamte Professorenschaft von Sankt Georgen stellt sich hinter ihren gewählten Rektor und fordert „Offenheit für grundlegende Diskurse über Fragen der Sexualmoral und die Repräsentation von Frauen in kirchlichen Strukturen“. In einer gemeinsamen Stellungnahme verurteilen diverse führende Kirchenorganisationen den „in Form und Inhalt nicht zu rechtfertigenden Angriff auf einen verdienten Theologen, Seelsorger und Ordensmann“.
Auch Kardinal Marx wirbt demonstrativ für eine offene Gesprächsatmosphäre in der katholischen Kirche und sagt über seine Gespräche mit Verantwortlichen im Vatikan: „Ich schweige nicht – das ist ja bekannt.“ Und noch während in der Katholischen Akademie in Berlin die Gäste bei Wasser und Wein feiern, wird die Causa Wucherpfennig bereits im Fernsehen von Oliver Welke in der „ZDF-Heute-Show“ süffisant nacherzählt. Über das Wirken von Papst Franziskus bilanziert Welke: „Vom liberalen Reformer ist nicht viel übrig geblieben.“
Die Signale von Papst Franziskus sind nicht eindeutig
Wo steht Papst Franziskus? Die Signale, die der Pontifex aussendet, sind nicht eindeutig. In seinem Anfang des Jahres veröffentlichten Schreiben „Veritatis gaudium“, die Freude der Wahrheit, verlangt er von der Theologie, ein „kulturelles Laboratorium“ zu sein, eine lebendige Tradition fortzuschreiben, um neue Antworten auf neue Herausforderungen zu geben. In dem nachsynodalen Schreiben „Amoris Laetitia“, die Freude der Liebe, mahnt er eine realistische Sicht in der Morallehre an. Kardinal Marx fasste einst den Tenor dieses Schreibens in dem Satz zusammen: „Niemand darf ausgeschlossen werden von der Barmherzigkeit Gottes.“
Papst Franziskus sei ein barmherziger Seelsorger, betont auch Wucherpfennig. Und wenn der Papst Glaubensaussagen mache, sei er, Wucherpfennig, zum Gehorsam gefordert. Aber er habe eben den Eindruck gehabt, dass Franziskus den Raum für ein neues Nachdenken über Schwule und Lesben erweitert hat. Umso mehr sei er dann von der Ernennungsverweigerung aus Rom überrascht worden.
Ein schockierender Rückfall, sagt mancher. Seither wird die Hochschule kommissarisch von Prorektor Thomas Meckel geleitet.
Wucherpfennig ist seit 1991 Mitglied des Jesuitenordens. Er stammt aus Hannover. 1997 wurde er in Rom zum Priester geweiht, seit 2008 hat er den Lehrstuhl für Exegese des Neuen Testaments in Sankt Georgen inne. 2014 wurde er dort Rektor.
Der Rummel um seine Person ist ihm unangenehm. Viel wichtiger etwa seien die Ergebnisse der jüngsten Missbrauchs-Studie, sagt Wucherpfennig. „Sollten die jetzt durch die Aufregung über meine Person in den Schatten gestellt werden, wäre das verheerend. Der Missbrauch ist das weitaus größere Unrecht.“ Aus dem ansonsten unverzagt gelassenen, meist fröhlichen Menschen spricht plötzlich großer Ernst.
Priester und Professor, Frömmigkeit und Gelehrsamkeit: Diese Pole sollen zusammenkommen – und zusammenkommen dürfen. „Wir müssen die Quellen der Offenbarung auch historisch-kritisch lesen“, sagt er. „Es geht um die Bejahung aufgeklärter Vernunft, um eine Verheutigung der Botschaft.“
Vergessen wird oft, dass Rom global denkt
Beim Festakt in der Katholischen Akademie lässt besonders ein Passus in der Ansprache des Bundespräsidenten aufhorchen. Steinmeier sagt: „Nur das beständige Fragen, Zweifeln und Anzweifelnlassen bewahren Religionen vor sklerotischer Erstarrung und fanatischer Rechthaberei. Und nur kluge Reflexion kann verhindern, dass die Kluft zwischen religiöser Lehre und der Lebenspraxis der Gläubigen immer tiefer und am Ende unüberbrückbar wird.“
Droht dem Vatikan eine sklerotische Erstarrung? Aus deutscher liberaler Sicht zementiert der Fall Wucherpfennig diesen Eindruck. Vergessen wird dabei oft, dass Rom global denkt.
Das Christentum wächst vor allem in Afrika und Asien, wo Homophobie grassiert. In Europa schrumpft es. Wenn die Zahl homophober Katholiken steigt, kann dann die Sexuallehre liberaler werden, ohne die Einheit der Kirche zu gefährden? „Wir brauchen die Wiedererkennbarkeit des Katholischen“, sagt Wucherpfennig. Womöglich aber lasse sich das Spannungsverhältnis nicht auflösen. Sei die Einheit der Kirche nur durch mehr Dezentralität zu erhalten. Weniger Dogmen, die weltweit verbindlich sein müssen.
Pater Klaus Mertes hat vieles von dem, was Ansgar Wucherpfennig widerfährt, selbst erlebt. Auch Mertes ist Jesuit und Gelehrter, von 2000 bis 2011 war er Rektor des katholischen Canisius-Kollegs in Berlin, machte die Missbrauchsfälle öffentlich, brachte damit einen Ball ins Rollen, der auf Lawinengröße wuchs, wurde für seine unerschrockene Hartnäckigkeit ausgezeichnet mit dem Gustav-Heinemann-Bürgerpreis und der Ferdinand-Tönnies-Medaille.
"Der zerstörerische Wahn der Unverwundbarkeit"
Mertes und Wucherpfennig kennen sich seit Langem. Anfang der Neunzigerjahre waren sie zur selben Zeit am Canisius-Kolleg. Mitte der Neunziger wurde Mertes von der Glaubenskongregation für ein Interview abgemahnt, in dem auch er sich kritisch über einige Passagen der Sexuallehre der katholischen Kirche geäußert hatte. Der Aufforderung zum Widerruf kam er nicht nach, die Sache verlief sich im Sande.
Im Unterschied zu seiner Tätigkeit am Canisius-Kolleg, sagt Mertes, sei der Fall Wucherpfennig deshalb „hochbrisant“, weil in Sankt Georgen Priester ausgebildet würden. „Ich bin erschüttert, wie stark die hart-katholische Fraktion im Vatikan ist“, sagt Mertes, „sowohl bei der Hierarchie als auch bei inhaltlichen Stichwortgebern.“ Das „Raumschiff Vatikan“ beherberge zu viele Menschen, die sich im Besitz der Wahrheit wähnen. „Das gibt ihnen ein Gefühl der Unverwundbarkeit.“ Sie würden getrieben von dem zerstörerischen Wahn der Unverwundbarkeit.
Auch zum Spannungsverhältnis zwischen der Globalisierung des christlichen Glaubens und der Einheit der katholischen Kirche äußert Mertes sich klar und entschieden. „Die Einheit der Kirche ist stärker gefährdet denn je“, sagt er, „aber die Menschenrechte kann man dieser Einheit nicht opfern.“ In Teilen von Afrika etwa, wo Christen in der Mehrheit sind, müssen Homosexuelle oftmals um ihr Leben fürchten. Ist das nicht ein Unrecht, zu dem der Vatikan sich ebenso unmissverständlich positionieren müsste wie zur Homosexualität an sich?
Das „Nihil Obstat“ hat Wucherpfennig bisher nicht bekommen. Auf die Bitte des Provinzials um seine Ernennung als Rektor gibt es aber bislang keine abschließende Antwort aus Rom. Belastet ihn dieser Zustand? Er sei weiterhin Seelsorger, Priester und Professor, sagt er und lächelt dazu.
Als Ausdruck bloßer Schicksalsergebenheit sollte diese Antwort nicht gewertet werden.
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