Terrorgefahr: Alles wird überprüft
Plötzlich wirkt das öffentliche Leben bedroht. Was bedeutet die Terrorgefahr für Veranstaltungen und unsere Kommunikation?
- Albert Funk
- Frank Jansen
- Carsten Werner
Das Länderspiel des deutschen Fußballteams gegen die Niederlande sollte ein Signal sein – gegen die Macht von Terroristen, das bürgerliche Leben in Europa zu verändern. Gegen ihre Absicht, Millionen Menschen Angst und Unsicherheit einzujagen. Dann wurde das Spiel sehr kurzfristig abgesagt – aus Sicherheitsgründen. Am Mittwoch folgten Erklärungen, Rechtfertigungen, Beschwichtigungen. Muss sich das öffentliche Leben ändern?
Welche Gebäude und Veranstaltungen waren in Hannover konkret betroffen?
Der französische Nachrichtendienst und weitere Quellen aus dem Ausland warnten vor einem Szenario, das dem Terrorangriff in Paris ähnlich gewesen wäre. Demnach hätten Islamisten in einem Fahrzeug Sprengstoff deponiert, für das die Polizei einen Berechtigungsschein für das Stadiongelände ausgestellt hatte. Der Wagen sollte angeblich am Stadion explodieren. Vom Krankenwagen bis zum Ü- Wagen eines Fernsehsenders waren damit schlagartig fast alle Fahrzeuge verdächtig, die am Stadion oder im weiteren Umkreis standen oder fuhren. Außerdem war zu befürchten, dass Terroristen mehrere Orte in Hannover attackieren. Deshalb war nicht nur am Fußballstadion, sondern auch in der ganzen City rund um den Hauptbahnhof ein Großaufgebot bewaffneter Polizisten unterwegs. Hubschrauber schwebten über der Stadt und mehrere U-Bahnhöfe wurden gesperrt. Der Polizeipräsident von Hannover, Volker Kluwe, informierte kurz die Veranstalter von Konzerten in der Stadt und empfahl, alle abzusagen. Einige folgten diesem Rat – etwa die Veranstalter eines Konzertes des Jazzers Maceo Parker und einer Lesung von Helge Schneider. Der Auftritt der „Söhne Mannheims“ in der großen „Tui-Arena“ fand dagegen statt.
Was wird kommuniziert – und was nicht?
Bundesinnenminister Thomas de Maizière gab sich am Dienstag in zwei Pressekonferenzen – am frühen Abend in Berlin, am späten Abend in Hannover, zweimal mit großer Verspätung gegenüber der eigenen Ankündigung – zweimal betont wortkarg. Antworten auf Nachfragen „würden die Bevölkerung verunsichern“, erklärte er und bat die Öffentlichkeit um einen „Vertrauensvorschuss“. Damit wollte er offenbar einer Panik vorbeugen – und beförderte doch Schreckensfantasien. Dass seine Aussagen von privater Kommunikation über Handys, SMS und soziale Netzwerke teilweise überholt wurden, trug zur Verunsicherung bei. Offenkundig widersprüchliche Hinweise zu Aufenthaltsorten und Routen von Kanzlerin, Ministern und den Fußballmannschaften sollten sie vor Angriffen schützen.
Das kolportierte Szenario macht de Maizières Worte und Taktik verständlicher: Hätte er gemeinsam mit dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) alle Befürchtungen als Horrorszenario quasi live beschrieben, während die Polizei noch Fahrzeuge am Stadion untersuchte, viele Fußballfans – parallel zum üblichen Berufsverkehr – auf dem Heimweg waren und die „Söhne Mannheims“ schon musizierten, hätte das eine Massenpanik in Hannover auslösen können. So entschieden sie, die Bürger im Unklaren zu lassen – und dadurch zu schützen. Die allermeisten fuhren ruhig und direkt heim.
Wie wird entschieden, was veröffentlicht wird?
Die Hinweise kamen offenbar so kurzfristig, dass den deutschen Behörden nicht die Zeit blieb, selbst nachzuforschen. Es ging nur darum, aufgrund der knappen Nachrichtenlage schnell zu entscheiden. De Maizière informierte seinen niedersächsischen Kollegen Pistorius; der gab die Information an seine Polizei weiter.
Minister beraten sich dafür in der Regel mit ihren Beamten und Pressesprechern, Polizei und Sicherheitsbehörden. Und die raten meist, lieber weniger öffentlich zu sagen als nur ein Detail zu viel. Auch am Dienstagabend in Hannover ging es nur noch darum, wie die Öffentlichkeit unterrichtet wird. Möglicherweise wollte de Maizière bereits am frühen Abend in Berlin, vor seinem Flug nach Hannover, die Absage des Spiels verkünden. Doch dann sprach er nur über die Festnahmen von sieben Terrorverdächtigen bei Aachen – die kurz nach seinem Statement wieder frei gelassen wurden. In Hannover wurde am Ende weder Sprengstoff gefunden noch ein Verdächtiger festgenommen.
Doch Informationen von Geheimdiensten oder Polizei sind oft nicht mit konkreten Beweisen unterlegt, die man schnell prüfen kann. Reaktionen werden so Abwägungssache: Haben nur Trittbrettfahrer eine Drohung ausgesprochen, wer ist die Quelle, wie ist die Gesamtsituation? Nach den Anschlägen von Paris gibt es weit mehr Hinweise (richtige, vor allem aber auch falsche) als sonst. Der Präsident des BKA, Holger Münch, sagt: „Wir müssen die Spreu vom Weizen trennen.“
Welche Einrichtungen sind gefährdet?
Es sind alle „weichen Ziele“ in großen Städten gefährdet, weil Terroristen sich dort am ehesten unbemerkt vorbereiten können und viele Menschen treffen können. Als „weiches Ziel“ gilt jede größere Ansammlung von Menschen an nicht dauerhaft geschützten Orten. Das sind Bahnhöfe, Veranstaltungsorte, die Vorplätze von Stadien, aber auch Kaufhäuser und Fußgängerzonen. Die islamistische Terrorszene scheint auch Züge stärker ins Visier zu nehmen. Ein Beispiel: Im August überwältigten Fahrgäste einen Islamisten, der im Thalys-Zug von Amsterdam nach Paris zu schießen begann.
Werden Veranstaltungen abgesagt? Gibt es mehr Kontrollen und Überwachung?
Grundsätzlich absagen wollen Behörden und Veranstalter öffentliche Veranstaltungen nicht. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz (SPD), sagte, für Fußballspiele, Weihnachtsmärkte und Karnevalsumzüge lägen bisher auch keine Anhaltspunkte auf geplante Attentate vor. Die Länder-Innenminister kündigten unisono mehr polizeiliche Präsenz und wo nötig auch Kontrollen an. Pistorius sagte, es bestehe eine allgemeine Gefährdungslage. „Aber wir können nicht davon ausgehen, dass beispielsweise jeder Bundesliga-Spieltag gefährdet wäre.“ Die Einschätzung könne sich täglich ändern, es wäre aber ein Triumph für Attentäter, wenn es keine Rock-Konzerte oder Fußballspiele mehr gäbe. Vollständige Sicherheit könne es nicht geben: „Gegen das Sprengen von Sprengstoffgürteln gibt es keine Konzepte.“
Wie wird die Bevölkerung gewarnt und aktuell informiert?
Bei Anschlägen und Katastrophen wendet sich die Polizei an Fernseh- und Radiosender, um zu warnen. Die Polizei ist auch bei Facebook und Twitter präsent.Im äußersten Notfall fahren Polizeifahrzeuge durch die Straßen und rufen über Lautsprecher die Bewohner auf, ihre Häuser nicht zu verlassen.