Der Terror und wir: Was kommt noch?
Die Lage in Deutschland ist ernst. Deshalb darf man sich sorgen und Angst haben. Man darf dem Rechtstaat aber auch vertrauen. Ein Kommentar.
Frankreich ist im Ausnahmezustand, und wer die Bilder und Nachrichten von der jüngsten Razzia in Paris anschaut, kann ja nur sagen: mit Recht. Jetzt haben auch wir eine Ahnung davon bekommen. Verstörende Bilder waren das aus Hannover: ein Fußballspiel kurz vor dem Anpfiff abgesagt, ein Stadion geräumt, eine Bombenattrappe im Zug, Fernsehübertragungswagen auf Bomben durchsucht, Blaulicht und Maschinenpistolen überall und dazu diffuse Informationen – was theoretisch jeder weiß, drängt sich plötzlich unangenehm in den Alltag: Auch wir stehen im Visier des Terrors, die Lage ist ernst.
Im Ausnahmezustand sind wir trotzdem nicht, und auch da kann man nur sagen: mit Recht. In unserem so furchtbar verwundeten Nachbarland hat er neben allen rechtlichen und polizeilichen Sonderbefugnissen, die er ausnahmsweise erlaubt, eine starke Signalwirkung. Man hat uns attackiert, und wir nutzen alle legalen Möglichkeiten der Verteidigung und Gegenwehr – das ist eine legitime Botschaft der Regierung an die Franzosen.
Der Sicherheitsapparat funktioniert
Die deutsche Situation stellt sich ganz anders dar. Man hat möglicherweise versucht uns anzugreifen, aber wenn, dann haben wir es rechtzeitig erfahren und abgewehrt. Das ist – nein, keine wirklich beruhigende, aber doch eine gute Nachricht. Der Sicherheitsapparat funktioniert, vom einfachen Polizisten bei der Evakuierung der HDI-Arena bis zu den deutschen Geheimdiensten und ihren europäischen Partnern. Alle, die bei „Geheimdienst“ immer nur an ihre Privatmail denken, sollten sich daran später erinnern. Sicherheit rechtfertigt nicht alles, Freiheit aber ebenfalls nicht.
Auch die Politik fällte schnell und verantwortlich Entscheidungen, selbst um den Preis, dass sie als Symbol des Zurückweichens missverstanden werden könnten. In Wahrheit ist gerade das Zurückweichen eine starke Botschaft. Der humane Rechtsstaat fordert keine Menschenleben wie seine Perversion, die sich „Islamischer Staat“ nennt. Er riskiert sie nicht einmal. War die Absage des Freundschaftsspiels wirklich nötig? Selbst wenn sie nur nötig erschien, war sie es.
Ob es nötig ist, aus konkreten Gründen ein Geheimnis zu machen, ist schwer zu entscheiden, ohne diese Gründe zu kennen. Unnötig ist, darüber zu raunen, zumal wenn man Bundesinnenminister ist. Thomas de Maizière ist gewiss kein leichtfertiger Mensch. Die Antworten auf Fragen mit der Begründung zu verweigern, ein Teil davon würde „die Bevölkerung verunsichern“, tut eben dies. Dann lieber richtig schweigen.
Was kommt noch?
Das gilt doppelt für einen zweiten Minister. Wolfgang Schäuble wollte schon immer den Weg zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren öffnen. Diesem Ziel ausgerechnet jetzt gesprächsweise wieder zu frönen, ist frivol: So weit sind wir, dass der Finanzchef Truppen anfordert? Die, weil für Polizeiarbeit nicht ausgebildet, nur martialisch rumstehen könnten?
Nein, so weit sind wir nicht. Die Lage ist ernst. Das ist sie im Prinzip seit Langem. Im Februar musste der Karneval in Braunschweig ausfallen und im Mai das Radrennen in Frankfurt; Schrecksekunden, die wir schnell vergessen, was wahrscheinlich sogar gesund ist. Der aktuelle Schrecken wird, wenn die Experten recht haben, länger anhalten. Vieles deutet auf eine Serie, mit der die Drahtzieher des IS die Motivation ihrer militärisch schwächelnden Truppe aufrichten wollen: eine Bombe im russischen Flugzeug, Bomben in Beirut, Sprenggürtel und Schnellfeuergewehre in Paris, der mutmaßliche Versuch in Hannover – was kommt noch?
Aber genau weil die Gefahr akut und aktuell ist, erscheint die immer legitime Frage ziemlich akademisch, ob der Staat und die Behörden mehr tun müssten als bisher. Der Motor unserer inneren Sicherheit läuft auf Hochtouren – keine Zeit für Ölwechsel. Wir können hoffen, dass wir ihn robust genug gemacht haben, um auch mit dieser Bedrohung fertigzuwerden. Wir, die wir Sorgen haben und Angst. Angst ist übrigens in Ordnung. Der humane Rechtsstaat fordert von seinen Bürgern keinen Heldenmut. Aber Vertrauen fordert er schon, mit Recht.