zum Hauptinhalt
Flucht vor der Gewalt. Zehntausende haben ihre Häuser verlassen - auf der Suche nach Schutz.
© George Ourfalian/AFP

Krieg in Syrien: Aleppo steht vor dem Fall

Einheiten von Machthaber Assad rücken in Aleppo immer weiter vor. Der Widerstand der Aufständischen bricht zusammen. Welche Folgen hat das für den Syrien-Krieg? Eine Analyse.

Es wird ein Sieg mit Ansage. Schon vor Monaten war es das erklärte Ziel des syrischen Machthabers, Aleppo als Symbol des Widerstands vollständig unter Kontrolle zu bekommen – mit allen Mitteln. Baschar al Assad bietet daher seit Monaten seine gesamte militärische Schlagkraft auf, um möglichst rasch zum Erfolg zu kommen.

Das bedeutet vor allem: ein Dauerbombardement der Viertel im Osten der Stadt, die von Rebellen gehalten werden. Außerdem ist dieser Teil der einstigen Wirtschaftsmetropole eingekesselt und damit von jeder Hilfe abgeschnitten. Vor gut drei Wochen hat die Regierung in Damaskus eine Großoffensive am Boden gestartet. Seitdem rücken regimetreue Einheiten – vor allem schiitische Milizen aus dem Irak, dem Iran und dem Libanon – immer weiter vor.

Steht Aleppos Einnahme bevor?

Danach sieht es aus. Regierungstruppen ist es jetzt gelungen, die Altstadt komplett zurückzuerobern, das Einflussgebiet der Aufständischen schrumpft mit jedem Tag beträchtlich. Es dürfte nur noch kurze Zeit dauern, bis die Großstadt komplett eingenommen ist. Bis dahin werden vermutlich noch viele Menschen ums Leben kommen oder gezwungen sein, ihre Häuser zu verlassen.

Assad zeigt bisher keinerlei Mitleid, auch nicht gegenüber Zivilisten. Für ihn ist erklärtermaßen jeder Gegner ein Terrorist. Auf Flugblättern, die über Ost-Aleppo abgeworfen wurden, war die Drohung zu lesen: Wenn ihr diese Gebiete nicht verlasst, werdet ihr vernichtet.

Warum gelingt es Assads Einheiten, so rasch vorzustoßen?

Seinen militärischen Erfolg verdankt der syrische Präsident allein seinen Verbündeten. Ohne die massive russische und iranische Unterstützung hätte er wohl kaum die Aufständischen in die Knie zwingen können. Denn lange Zeit waren die islamistischen wie nicht islamistischen Rebellen – vor allem mithilfe der Türkei und Saudi-Arabiens – in Syrien auf dem Vormarsch. Doch die militärische Lage änderte sich grundlegend, als Moskau im September 2015 aufseiten Assads in den Krieg eingriff. Von da an konnte der Machthaber sein Einflussgebiet wieder kontinuierlich ausdehnen.

Und für ihn steht fest, dass er das ganze Land kompromisslos zurückerobern will. Dabei spielt Aleppo als Bastion der Aufständischen eine zentrale Rolle. Ein Sieg dort besitzt für Assad einen immensen symbolischen Wert. Er würde dann wieder alle großen Städte des Landes kontrollieren. Das erklärt wohl, warum der Diktator allein auf Gewalt setzt. Vor allem durch die verheerenden Luftangriffe, geflogen von russischen und syrischen Kampfjets, soll jede Opposition wortwörtlich niedergemacht werden.

Dass jetzt die Eskalation nochmals vorangetrieben wird, liegt womöglich auch an den USA. Moskau und Damaskus wollen vor Donald Trumps Amtsantritt als Präsident im Januar Fakten schaffen. Dass Aleppo nach Jahren des Widerstands schnell zu fallen scheint, liegt aber nicht zuletzt auch an den Rebellen selbst. Die verschiedenen Gruppen sind verstritten, nicht selten kämpfen sie gegeneinander – und schwächen sich somit selbst.

Moderate Kräfte haben inzwischen ihren Einfluss weitgehend verloren. Tonangebend, weil kampfstark, sind schon lange radikale islamistische Einheiten wie die ehemalige, vor einiger Zeit umbenannte Al-Nusra-Front. Doch auch sie werden dem Druck letztendlich nicht standhalten können. Einen Abzug lehnen sie dennoch nach wie vor ab.

Wie ist die Lage in Aleppo?

Mit einem Wort: dramatisch. Das gilt insbesondere für die belagerten östlichen Viertel. Sie sind zu weiten Teilen inzwischen völlig zerstört – die sichtbarste Folge der fast pausenlosen Luftangriffe. Dabei werden Augenzeugenberichten zufolge auch weltweit geächtete Waffen wie Bunkerbrecher, Fassbomben und Giftgas eingesetzt. Allein seit dem Beginn der neuen Offensive Mitte November sind mehrere hundert Menschen ums Leben gekommen, darunter viele Kinder. Bis zu 50.000 Einwohner sollen auf der Flucht sein. Die meisten versuchen, in den Westteil Aleppos zu gelangen, wo Assad-Anhänger das Sagen haben. Doch dort gibt es kaum Unterkünfte. Viele Familien hausen deshalb in Garagen und Kellern oder sind obdachlos.

Rauch über Aleppo: Die einst blühende Stadt gleicht in weiten Teilen einer Ruinenlandschaft.
Rauch über Aleppo: Die einst blühende Stadt gleicht in weiten Teilen einer Ruinenlandschaft.
© George Ourfalian/ AFP

Jenen, die noch in den Rebellengebieten ausharren, mangelt es an allem. Nach dem ständigen, oft gezielten Beschuss von Krankenhäusern ist die medizinische Versorgung weitgehend zusammengebrochen. Gerade mal 30 Ärzte kümmern sich um die Verletzten – zumeist unter katastrophalen Bedingungen. So müssen die Patienten oft auf dem Boden operiert werden, häufig ohne Betäubung. Den Menschen im belagerten Osten Aleppos droht außerdem eine Hungersnot. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind die Lebensmittelvorräte aufgebraucht. Sauberes Trinkwasser ist kaum noch zu bekommen.

Nach Überzeugung des Leiters des UN-Büros für Nothilfe gehören die Folgen des Einkesselns zur Strategie des Regimes. Es gehe darum, warnt Stephen O’Brien, das Leben dort unerträglich und den Tod wahrscheinlich zu machen. Mit dem Ziel, die Menschen vom Hunger in die Verzweiflung und letztendlich in die Unterwerfung zu treiben.

Welche Folgen haben die Kämpfe für Kinder?

Not, Angst und Tod – das sind die ständigen Begleiter der Kinder, die in Aleppo oder anderen umkämpften Gebieten Syriens leben. Der seit bald sechs Jahren andauernde Konflikt trifft vor allem Mädchen und Jungen mit großer Härte. Einen Alltag nach gängigen Vorstellungen kennen sie nicht. Unicef hat am Mittwoch einen Brief der neunjährigen Alaa aus Aleppo veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „Als die Kämpfe immer näher kamen, mussten wir fliehen. Seitdem ist unsere Familie sechs mal geflohen, jedes Mal nur mit Kleidung, die wir gerade anhatten. Jedes Mal, wenn wir wieder fliehen mussten, dachte ich: Das ist jetzt das letzte Mal.“

Wie Alaa geht es vielen syrischen Kindern. Überall können sie Opfer von Scharfschützen, Artilleriebeschuss und Luftschlägen werden. Auch während des Unterrichts. Laut Unicef gab es allein in diesem Jahr 86 Angriffe auf Schulen, bei denen mindestens 69 Kinder getötet wurden. Auch in Aleppo sind Schulen unter Beschuss. Doch wer heute sechs Jahre alt ist, kennt nichts anderes.

Hanaa Singer, Leiterin von Unicef Syrien, war vor wenigen Tagen in Aleppo und berichtet: „Der pausenlose Beschuss und die Explosionen waren ohrenbetäubend. Die Kinder haben jedes Mal über mich gelacht, wenn ich wegen des schrecklichen Lärms des Krieges zusammengezuckt bin – kein echtes Lachen, sondern eine Reaktion auf den vollständigen Verlust von Normalität.“

Daniela Schadt, Schirmherrin von Unicef Deutschland und Lebensgefährtin von Bundespräsident Joachim Gauck, fasst es so zusammen: „Was in Aleppo und anderen Orten geschieht, sollte kein Kind auf der Welt erleben müssen.“

Steht die syrische Opposition vor dem Aus, wenn Aleppo fällt?

Der Verlust der Stadt würde eine schwere Niederlage für die Aufständischen bedeuten. Assads Gegner wären dadurch sicherlich geschwächt, doch noch nicht am Ende. Bewaffnete Rebellen-Brigaden beherrschen immer noch große Gebiete in der Region Idlib, an der Grenze zur Türkei und im Süden. Eine politische Lösung des Konflikts ist jedoch unwahrscheinlicher denn je.

Assad hat mit der Schlacht um Aleppo klar gestellt, dass er an einer friedlichen Einigung mit der Opposition kein Interesse hat. Warum auch? Aus seiner Sicht hat sich die Eskalation ausgezahlt. Seine Feinde haben nichts mehr in der Hand, was sie in Gesprächen über einen möglichen Frieden in die Waagschale werfen könnten. Assad dagegen kann auf seine Erfolge auf dem Schlachtfeld verweisen – und darf sich der Unterstützung Russland und des Irans weiter sicher sein.

Was bedeutet die Rückeroberung Aleppos für den Krieg in Syrien?

Der Konflikt ist damit noch lange nicht beendet, er tritt vielmehr in eine neue Phase. Assad hat künftig zwar in den großen Städten des Landes das Sagen. Doch es dürfte ihm schwerfallen, die eroberten Gebiete zu halten. Und noch gibt es Regionen wie Idlib, in denen Aufständische eine starke Position haben. Womöglich greift der Machthaber die dort herrschenden Gruppen an. Vielleicht lässt er aber auch die Islamisten vorerst gewähren. Denn das gibt ihm die Möglichkeit, sich weiter als Terrorbekämpfer und damit als kleineres Übel zu inszenieren.

Experten gehen zudem davon aus, dass viele bisher eher moderate Gegner Assads sich radikalisieren und Dschihadistengruppen wie dem IS oder der Al-Nusra- Front anschließen werden. Viele könnten auch in den Untergrund gehen und einen jahrelangen Guerillakrieg gegen den syrischen Machthaber führen.

Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Zur Startseite