Offensive gegen Kurdenmiliz: Afrin unter türkischer Kontrolle
Türkische Einheiten und ihre Verbündeten marschieren in Afrin ein. Für Ankara ist das ein wichtiger Sieg. Doch die Kurden fürchten den Eroberer und misstrauen ihm.
Die Botschaft war unmissverständlich. Unter Jubelrufen und Freudenschüssen rissen türkeitreue Kämpfer nach dem Einmarsch im nordwestsyrischen Afrin am Sonntag ein Denkmal ab, das den kurdischen Widerstand gegen die Fremdherrschaft symbolisiert.
Die Statue des Schmieds Kawa, der Hauptfigur einer Legende vom Kampf der Kurden gegen einen Tyrannen, wurde mit mit einem Bagger vom Sockel gezogen und zerstört. Die Aktion markierte die Einnahme von Afrin durch die Türkei. Doch sie bestätigte auch das Misstrauen vieler Kurden gegenüber den Eroberern und könnte Vorbote weiterer Auseinandersetzungen in Syriens Norden sein.
Türkische Spezialeinheiten und Kämpfer der mit Ankara verbündeten Freien Syrien Armee (FSA) hatten Afrin in den vergangenen Tagen eingekreist. Bis zu 200.000 Zivilisten sollen aus der Stadt geflohen sein. Auch viele Kämpfer der Kurdenmiliz YPG hatten sich zurückgezogen.
Am Sonntagmorgen rollten Panzer, mit türkischen Fahnen geschmückt, durch die Straßen Afrins, vom Balkon eines Verwaltungsgebäudes wehte ebenfalls die rot-weiße Fahne der Türken. Der Generalstab veröffentlichte auf Twitter eine Szene, in der ein türkischer Soldat die Fahne seines Landes an einem Mast in Afrin hisst: Der am 20. Januar begonnene Einmarsch in Syrien hat sein militärisches Ziel erreicht.
In der Türkei selbst feierten die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan und ihre Anhänger die Einnahme Afrins als Ereignis von historischer Bedeutung. Am 18. März 1915 hatten die Osmanen die Durchfahrt der britischen Kriegsmarine durch die Meerenge der Dardanellen und damit die Einnahme Istanbuls verhindert.
Am Jahrestag der Dardanellen-Schlacht sei Afrin „von den Terroristen gesäubert worden“, jubelte die Online-Ausgabe der regierungsnahen Zeitung „Yeni Safak“. Erdogan sagte, auch wenn der Kampf um Afrin nicht an die Ereignisse von 1915 heranreiche, sei „der Geist derselbe“.
In Afrin sei der „Schmutzlappen“ der YPG von den Fahnenmasten geholt und durch die türkische Fahne und das Banner der FSA ersetzt worden. Der Präsident erhofft sich von der nationalistischen Begeisterung über den Feldzug in der Öffentlichkeit zusätzliche Unterstützung bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr.
Die Schlacht um die Deutungshoheit über die Ereignisse in Afrin ist deshalb für Erdogan genauso wichtig wie militärische Erfolge. Die unabhängige Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Syrien spricht von fast 300 zivilen Todesopfern der türkischen Intervention in Afrin. Ankara weist den Vorwurf zurück.
Der Abriss des kurdischen Denkmals in Afrin könnte nun den türkischen Versuch untergraben, die Einnahme der Gegend als Aktion zur Befreiung der lokalen Bevölkerung vom Joch der YPG zu rechtfertigen. Die Legende vom kurdischen Schmied Kawa, der einst den assyrischen Gewaltherrscher Dehak besiegt haben soll, spielt eine wichtige Rolle beim kurdischen Neujahrsfest Newroz, das am 21. März gefeiert wird. Während die Kawa-Statue abgerissen wurde, erklärte der Generalstab in Ankara, religiöse und kulturelle Einrichtungen in Afrin würden nicht angetastet.
Auch auf internationaler Ebene drohen neue Spannungen wegen des türkischen Vorgehens gegen die YPG, die für die USA ein wichtiger Partner im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) ist, von Ankara jedoch als syrischer Ableger der Terrororganisation PKK bekämpft wird.
So lautet eine Frage: Lässt Erdogan die türkischen Soldaten nach der Einnahme von Afrin wie angekündigt weiter Richtung Osten marschieren? Sein erklärtes Ziel ist es, die YPG aus ganz Nordsyrien zu vertreiben. Als nächstes Ziel hat er die Stadt Manbidsch genannt, die hundert Kilometer östlich von Afrin liegt: Dort sind zusammen mit kurdischen Einheiten auch US-Truppen stationiert.
Washington hatte eine Aussage der türkischen Regierung dementiert, wonach sich die beiden Nato-Partner auf einen Abzug der YPG aus Manbidsch geeinigt haben sollen. Die Entlassung von US-Außenminister Rex Tillerson erschwert die Suche nach einer Lösung des Streits.
Tillersons designiertem Nachfolger Michael Pompeo schlägt in Ankara viel Misstrauen entgegen, weil er die Türkei vor zwei Jahren als „totalitäre islamistische Diktatur“ bezeichnet hatte.