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Ein vom Presidency Press Service zur Verfügung gestelltes Foto zeigt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (M) während eines Briefings nahe der syrischen Grenze.
© dpa
Update

Krieg gegen Kurden in Syrien: Die Türken stehen hinter Erdogans Offensive

Seit einer Woche führt Ankara Krieg gegen Kurden in Syrien. Der Einsatz heißt friedliebend "Operation Olivenzweig". Erdogan will ihn bis zur irakischen Grenze ausdehnen.

Die Poster auf Häuserdächern und Werbetafeln an Ankaras Ausfallstraßen zeigen einen neuen Präsidenten. Nicht den Parteichef Recep Tayyip Erdogan, der unermüdlich im Dienst des Volkes steht. Oder den Großbaumeister mit seinen Flughäfen, Brücken und Tunnelröhren. Das hier ist der Vaterlandsverteidiger: Erdogan, der eine blutrote türkische Fahne wie einen Kelch in beiden Händen hält und das Tuch küsst. Oder der Menschenfreund: Erdogan, der ein syrisches Mädchen an seine Wange drückt und die Augen schließt.

Eine Woche ist die Türkei jetzt im Krieg. Der Staatschef hat seine Soldaten wieder nach Syrien geschickt. „Wir bleiben nicht dort“, sagt er den einen Tag. „Wir werden so lange bleiben, wie es notwendig ist“, warnt er am anderen. Und: „Wir werden siegen, Allah ist mit uns.“ Erdogan hat am Freitag mit einer Ausweitung des Militäreinsatzes in der nordsyrischen Region Afrin bis zur irakischen Grenze gedroht. Die Türkei werde auch die Stadt Manbidsch "säubern" und "bis zur irakischen Grenze keinen Terroristen übrig lassen", sagte Erdogan in einer Rede in Ankara.

Der Feldzug in der kleinen syrischen Grenzprovinz Afrin, der den Friedensnamen „Operation Olivenzweig“ trägt, hält die Nation in Atem. Hausfrauen tun sich zusammen und kochen Essen für die Soldaten. Bäcker schicken kiloweise Süßigkeiten an die Front. Der Gesundheitsminister besucht Verwundete im Krankenhaus. 343 Terroristen seien bereits liquidiert worden, tönt es aus den Fernsehern, die in Schnellrestaurants und Läden ununterbrochen laufen. Die syrischen Kurden in Afrin sind also Terroristen, so wie die PKK und der „Islamische Staat“? „Ich weiß es wirklich nicht“, sagt ein Ladenbesitzer. Aber Erdogan weiß es. Er hat alle Informationen.“

Es ist ein komplizierter Krieg, nicht nur für die Türken. Die USA sind dabei, wenn auch bisher nur mittelbar mit der Kurdenmiliz YPG, die Ankara nun bekämpft. Die Russen stehen im Hintergrund. Sie haben den Einmarsch der Türken erlaubt und werden etwas dafür haben wollen. Der Kampf gegen den Terrorismus ist das Argument, mit dem die türkische Führung ihre Offensive begründet. Und etwas Druck aus dem Dampfkessel im eigenen Land, das mittlerweile dreieinhalb Millionen syrische Flüchtlinge beherbergt, will die Regierung auch lassen. Die syrischen Familien in der Türkei sollen nach Afrin ziehen, wenn der Krieg gewonnen ist. Wie schon im Gebiet um die syrische Grenzstadt Dscharablus, die türkische Einheiten 2016 einnahmen, soll auch die Provinz Afrin zumindest zum Teil eine Sicherheitszone für syrische Zivilisten werden.

Die Gemengelage von Staaten und Interessen rund um Afrin ist auch für viele Türken verwirrend. Dass der türkische Regierungschef Binali Yildirim zudem dieser Tage vage „indirekte Kontakte auf niedriger Ebene“ mit dem Regime vom Baschar al Assad zugab, nährt Spekulationen. Der „Ölzweig“ sei doch in Wahrheit für Assad gedacht, räsoniert etwa ein Kunde in einer Buchhandlung in Ankara.

Bisher sind 14 türkische Soldaten getötet worden

Nach Angaben des Gesundheitsministers sind 14 türkische Soldaten bisher gefallen. Drei von ihnen gehörten den regulären Streitkräften an, die anderen elf der Freien Syrischen Armee (FSA). Mit dieser, inzwischen mehrheitlich islamistischen Milizengruppe hatten es auch die USA versucht. Die Kurdenmiliz YPG erwies sich am Ende als sehr viel verlässlicherer Partner im Kampf gegen die Terrorarmee „Islamischer Staat“.

Nun ist die FSA wie schon bei der Intervention der Türkei im Vorjahr Fußvolk und Feigenblatt in einem für die Armee. Bilal Erdogan, der jüngere der beiden Söhne des Präsidenten, beobachtete die Anfangsphase der Operation von den Monitoren im Kommandostand der Armee. Das Bild vom Präsidentensohn löste einige Debatten in der Türkei aus und geht manchen noch immer nicht aus dem Kopf. „Wissen Sie, an was ich da denken muss?“, fragt abends ein Restaurantbesucher im Viertel Besiktas, einer Zufluchtsburg der Regierungskritiker in Istanbul. „An den Gaddafi-Sohn und an Udai und Kussei, die Söhne von Saddam. Wir werden ein typisches Nahostland.“

Auch Selcuk Bayraktar, ein Schwiegersohn des Staatschefs, war beim Besuch im Kommandostand dabei. Der junge Ingenieur entwickelt und produziert gemeinsam mit seinem Vater Drohnen für das Militär. Afrin ist wohl auch ein Testfall für die türkische Armee, der zweitgrößten der Nato.

Schwer haben es die Kritiker der Militärintervention. Gegen sie gehen die Behörden massiv vor. 150 Festnahmen meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Mitte dieser Woche; ein weiteres Dutzend sollen es am Freitag gewesen sein. Nicht alle dieser Twitterschreiber oder Facebook-Nutzer bleiben gleich in Haft. Doch Widerspruch, gar Widerstand will die Regierung keinesfalls zulassen.

„Terroristenverehrer“ nannte Erdogan am Freitag gar die Türkische Ärztevereinigung. Die hatte einen Aufruf mit dem Slogan „Nein zum Krieg, Frieden sofort“ verfasst. Vor einer deutlichen Replik schreckte der Präsident der Istanbuler Ärztevereinigung nicht zurück. Für Frieden einzutreten sei wahrer Patriotismus und Liebe für die Menschheit, erklärte Selcuk Erez.

In Deutschland sehen Polizei und Verfassungsschutz mit Sorge, dass der Kampf um Afrin auch in der Bundesrepublik die Emotionen bei Kurden und Türken weiter anheizt. In dieser Woche habe es in Leipzig, Minden und Stade Angriffe mutmaßlicher PKK-Anhänger auf türkische Moscheen gegeben, sagen Sicherheitskreise. Am Sonnabend demonstrierten in Köln mehr als 20.000 Kurden. Die Stimmung war teils aufgeheizt - und die Polizei musste die Demonstration vorzeitig auflösen, weil trotz Verbots vielfach Öcalan-Fahnen geschwenkt wurden. (Mitarbeit: Frank Jansen)

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