Türkischer Einmarsch in Syrien: Erdogans Truppen kreisen Kurden in Afrin ein
YPG verteidigt die nordsyrische Stadt. Kurdischer Nationalkongress: "Neue Bundesregierung muss Druck auf Erdogan ausüben." Derweil Razzien bei türkischen Rechtsradikalen.
Türkische Truppen und islamistische Milizen haben die Stadt Afrin im Norden Syriens eingekreist. Exiloppositionellen zufolge sollen sich Tausende Zivilisten in Nachbarorten versteckt halten, 300 000 Menschen sollen in Afrin eingeschlossen sein. Noch wird die Stadt von Kämpfern der prokurdischen Miliz YPG verteidigt – zudem rückten kurdische, christliche und muslimisch-arabische Verbündete von Süden her auf die Enklave zu. Dies dürfte eine Niederlage der YPG aber nur dann abwenden, wenn sich die in Syrien operierende Armee Russlands entscheidet, den Luftraum über Afrin für türkische Bomber sperren zu lassen.
Die humanitäre Lage ist schwierig, die türkischen Truppen haben nach Angaben von Beobachtern die Strom- und Wasserversorgung gekappt. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sagte, der „Operation Olivenzweig“ genannte Einmarsch verstoße nicht gegen internationales Recht. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages widerspricht dem, Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian sagte am Dienstag, das "Ausmaß der Aktion" sei nicht gerechtfertigt.
„Die kurdische Selbstverwaltung wird sich in jedem Fall verteidigen“, sagte Nilüfer Koc, Ko-Vorsitzende des Kurdischen Nationalkongresses, dem Tagesspiegel. „Und wir werden unsere Proteste in Europa fortsetzen.“ Der Kurdische Nationalkongress ist ein parteiübergreifendes Gremium, das meist aus dem Brüsseler Exil arbeitet. Neben der in Deutschland verbotenen, einflussreichen Kurdischen Arbeiterpartei PKK sind im Nationalkongress auch Vertreter der konservativen KDP vertreten, die in der nordirakischen Kurdenregion die anerkannte Regierung stellt.
In Nordsyrien regiert die der YPG nahestehende säkulare Kurdenpartei PYD eine Rojava genannte Autonomieregion. Die türkische Regierung sieht darin ein separatistisch-terroristisches Projekt. „Vor allem syrische Kurden sind von der Lage in Afrin tief getroffen“, sagt Koc. „Es fällt uns schwer, sie auf den Kundgebungen zu beruhigen.“ Koc verurteilt aber die Anschläge auf türkische Einrichtungen in Deutschland klar: „Europa ist nicht das Schlachtfeld, wir möchten vielmehr diplomatischen Druck auf das Erdogan-Regime aufbauen.“ Dessen Regierung hatte den deutschen Botschafter in Ankara einbestellt, um über „erforderliche Maßnahmen“ zu sprechen, um türkische Einrichtungen in Deutschland zu schützen.
„Die neue Bundesregierung sollte sich auf eine neue Politik mit Blick auf die Türkei besinnen“, fordert Koc. „Die 150-jährige Allianz zwischen Berlin und Ankara funktioniert nicht mehr, weil Erdogan macht, was er will.“ Neben einem Stopp von Waffenlieferungen an den Nato-Partner Türkei fordere der Nationalkongress mehr Engagement der Deutschen in den internationalen Gremien wie der Nato und der Europäischen Union. Frankreichs Regierung etwa hatte mehrfach deutlichere Worte zu den Angriffen der Türkei gefunden als Kanzlerin Angela Merkel (CDU). In norddeutschen Städten gab es in der Nacht zu Dienstag mehrere Attacken auf türkische Einrichtungen.
Viele Kurden in Syrien stehen der sozialistischen PKK nahe. Sie wurden von den USA im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und als potenzielles Bollwerk gegen die Zentralregierung von Baschar al Assad unterstützt. Assdas Schutzmacht Russland duldete diese Allianz argwöhnisch. Mit dem türkischen Einmarsch wurden die Kurden von ihren Alliierten fallengelassen – und Assad macht etwaige Hilfe davon abhängig, dass die Kurden ihre Selbstverwaltung in Rojava aufgeben.
Der Druck auf die PKK ist in Deutschland hoch. Am Dienstag wurde erneut darüber verhandelt, ob auch die Zentralfeier zum kurdischen Neujahrsfest (Newroz) in Hannover verboten bleibt. Andererseits scheint sich die von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) 2017 durchgesetzte Ausweitung des Verbots auf Symbole der syrischen Kurden nicht zu halten. Nachdem die Berliner Polizei ankündigte, die Fahnen der in Afrin kämpfenden YPG auf Demonstrationen nicht mehr zu beschlagnahmen, entschied auch das Verwaltungsgericht Magdeburg: YPG-Symbole dürfen öffentlich gezeigt werden.
Deutsche Beamte gingen am Dienstag gegen eine rechtsradikale, den türkischen Faschisten nahestehende Truppe aus dem Rotlichtmilieu vor. Polizisten durchsuchten Räume der rockerähnlichen „Osmanen Germania BC“. Die Razzien in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg waren vom Bundesinnenministerium angeordnet: Die Osmanen hätten 300 Mitglieder, vielen würden Körperverletzungs- und versuchte Tötungsdelikte vorgeworfen. Zu diesen kam es bei Konflikten mit Angehörigen der inzwischen aufgelösten prokurdischen Gruppe „Bahoz“.
Verfassungsschützern ist die Gruppierung schon 2015 aufgefallen: Viele der Männer stellten das Sicherheitspersonal für den Auslandsverband der türkischen Regierungspartei AKP. Auch der ZDF-Moderator Jan Böhmermann soll nach seinem umstrittenen Gedicht über Erdogan durch Osmanen gefährdet gewesen sein. In deutschen Behörden hieß es bald, die Truppe werde von Ankaras Geheimdienst MIT eingesetzt.
Ebenfalls am Dienstag hat das Parlament in Ankara einer von der linken Opposition kritisierten Gesetzesänderung zugestimmt. Vorangetrieben wurde die Novelle von der islamischen AKP Erdogans und der ultranationalistischen, antikurdischen MHP, die Erdogan maßgeblich unterstützt. Von der Gesetzesänderung profitiert die MHP, die sonst bei der Wahl 2019 an der Zehn-Prozent-Hürde zu scheitern droht.
Aus kurdischer Sicht gibt es derzeit einzig aus Irak gute Nachrichten: Die seit der 2017 gescheiterten Unabhängigkeitserklärung der kurdischen Autonomieregion verhängte Luftblockade hat die arabische Zentralregierung in Bagdad nun aufgehoben.