Undichte Stelle in Berlin: AfD bekam vertrauliches Verfassungsschutzpapier – und versucht es zu nutzen
Die AfD versucht, die Gesamtbeobachtung durch den Verfassungsschutz doch noch zu verhindern. Dabei setzt sie auch auf ein durchgestochenes Berliner Papier.
Die AfD versucht, mit einer publizistischen Offensive die drohende Einstufung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ doch noch zu verhindern. Am Mittwoch schickte die Berliner AfD-Fraktion dem Tagesspiegel und weiteren Medien eine Pressemitteilung, in der dem Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) ein Skandal unterstellt wird. Geisel soll den Berliner Verfassungsschutz angewiesen haben, ein Ende 2020 vorgelegtes Gutachten zur AfD zu verschärfen. Angeblich wurde Druck auf die Mitarbeiter des Dienstes ausgeübt.
Bedenklich an dem Vorgang erscheint zunächst, dass die Partei das als Verschlusssache eingestufte Papier überhaupt hat. Vermutlich profitiert die AfD von einer undichten Stelle in der Senatsinnenverwaltung. Es werde Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat gestellt, sagte Geisels Sprecher.
Das fragliche Verfassungsschutzpapier, das dem Tagesspiegel und weiteren Medien vorliegt, ist nur der Entwurf eines „Zwischenberichts“. In einem „Zwischenfazit“ heißt es: „In der Gesamtschau der zuvor aufgeführten Belege und Erkenntnisse sind keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD Berlin ersichtlich, die eine Erhebung zum Verdachtsfall rechtfertigen können.“
„Laufender, ergebnisoffener Vorgang“
Was hat es damit auf sich? Geisels Sprecher betonte, bei der Erarbeitung des Entwurfs seien methodische Mängel festgestellt worden. Es gebe noch keinen Abschlussbericht, sondern nur einen „laufenden, ergebnisoffenen Vorgang“. Für eine abschließende Bewertung sei es ohnehin zu früh, da noch die Prüfung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zur Gesamtpartei abgewartet werden müsse. Weder Geisel noch der Staatssekretär Torsten Akmann hätten Kenntnis vom Zwischenbericht gehabt.
Das BfV wird vermutlich bald mitteilen, ob es die ganze AfD vom „Prüffall“ zum „Verdachtsfall“ hochstuft. Sollte das passieren, könnte der Nachrichtendienst nicht nur, wie bislang, Teile der Partei über V-Leute und weitere nachrichtendienstliche Mittel beobachten, sondern die komplette AfD.
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Wie nervös die Partei ist, zeigt auch der Versuch, mit einem neuen Papier seriös zu erscheinen. „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“ heißt die Erklärung, die in dieser Woche verschickt wurde. Die AfD bekenne sich „vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen“, heißt es da. Staatsbürger erster und zweiter Klasse gebe es für die AfD nicht. Unterschrieben haben nicht nur Mitglieder des Bundesvorstandes, sondern auch eine ganze Reihe Landeschefs – darunter: Björn Höcke, Wortführer des vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch bewerteten „Flügels“, der sich formal aufgelöst hat.
AfD will im Falle der Beobachtung vor Gericht ziehen
Eine solche Erklärung wirkt auf den ersten Blick erstaunlich, kommt sie doch von einer Partei, die immer wieder zwischen Staatsbürgern erster und zweiter Klasse unterschied – etwa wenn AfD-Vertreter von „Passdeutschen“ sprachen. Also Deutschen auf dem Papier, die aus Sicht der AfD keine „echten Deutschen“ sind. Aber jetzt will die AfD mit der Erklärung schnell noch ein Zeichen setzen.
AfD-Chef Jörg Meuthen und seine Verbündeten in der Partei versuchen schon seit längerem zu verhindern, dass die ganze AfD als „Verdachtsfall“ oder gar „Beobachtungsfall“ durch den Verfassungsschutz eingestuft wird. So drängte Meuthen auf eine Selbstauflösung des völkischen „Flügels“. Und er war die treibende Kraft hinter dem Rauswurf des ehemaligen brandenburgischen Landeschefs und „Flügel“-Mannes Andreas Kalbitz. Beim Bundesparteitag Ende November in Kalkar hielt Meuthen eine Rede, in der er scharf mit den Radikalen in der Partei ins Gericht ging. Verfassungsschützer halten Meuthens Engagement gegen die Ultrarechten in seiner Partei für taktisch motiviert.
Wenn der Verfassungsschutz entscheiden sollte, die AfD als Ganzes unter Beobachtung zu stellen, will die Partei sofort vor Gericht ziehen. Die werde dann beim Verwaltungsgericht in Köln einen Eilantrag stellen, sagte der Berliner AfD-Fraktionschef Georg Pazderski.