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Verschwörungstheorien: 9/11 - Alles Lüge?

Die Taten und die Bilder scheinen eindeutig, und doch gibt es viele Zweifler: Ein Blick auf die Parallelwelt der Verschwörungstheoretiker, die noch nie so groß war wie heute.

Am 11. September 2001 sind in New York mehrere Häuser eingestürzt, dabei starben Menschen.

So allgemein formuliert, ist dieser wohl berühmteste geschichtliche Fakt des neuen Jahrtausends gleichzeitig ein kleinster gemeinsamer Nenner. Zu ihm muss man zurückgehen, damit sowohl die Befürworter der offiziellen Version über die Hintergründe von „9/11“ zustimmend nicken wie auch jene, die man Verschwörungstheoretiker nennt.

Wenn man diesen einen Satz um die Flugzeuge ergänzt, die in die Türme des World Trade Center flogen, wäre der Konsens dahin, denn eine der unübersichtlich vielen Alternativannahmen ist die sogenannte No-Plane-Theorie. Die Videos, die wohl so gut wie jeder Erdbewohner mit Zugang zu einem Fernseher vielfach gesehen hat, sollen gefälscht sein, Hologramme und Computeranimationen tauchen in Argumentationsketten auf, die man in Foren und Blogs nachlesen kann. Es sind Theorien wie „No Plane“, die Verschwörungstheoretiker als paranoide Wirrköpfe erscheinen lassen, deren größter Feind die Realität als solche ist. Einen identifizierbaren Autor oder bekannten Verteidiger haben die ganz abseitigen unter den Verschwörungstheorien zumeist nicht – ihr Urheber ist „das Internet“.

Weitgehend unter dem Radar der Medienöffentlichkeit hat sich in den vergangenen zehn Jahren eine Szene gebildet, wie es sie vorher in dieser Dimension nie gegeben hat. Ereignisse wie der Kennedy-Mord, die Mondlandung oder Lady Dianas Unfalltod in Paris hatten zahlreiche Zweifler auf den Plan gerufen, aber allein die Menge an Webseiten, Büchern, Filmen und Meinungen über 9/11 übersteigt das zuvor Dagewesene. „Verschwörungstheorien zu den Anschlägen von New York und Washington weisen die gleichen typischen Merkmale wie andere Schriften vor ihnen auf, ungewöhnlich ist nur die schiere Zahl und die schnelle Verbreitung“, sagt Thomas Grüter. Der Arzt und Wissenschaftsautor hat viel zum Thema geforscht und veröffentlicht, sein Urteil: „Verschwörungstheorien sind per se wirklichkeitsfrei.“

Ein prominenter Vertreter alternativer 9/11-Modelle ist Matthias Bröckers. Als freier Autor und Journalist war er einer der ersten, der kurz nach den Anschlägen in einem Buch die offizielle Version anzweifelte und Indizien sammelte, die auf eine kontrollierte Sprengung der Türme hinweisen sollten. „Verschwörungstheorie – das ist heutzutage ein Kampfbegriff. Das liegt nicht zuletzt an solchem Unsinn wie ,No Plane’ oder der Behauptung, Weltraumwaffen seien für 9/11 verantwortlich“, erklärt Bröckers. Mit „11.9. – zehn Jahre danach. Der Einsturz eines Lügengebäudes“ hat er kürzlich zusammen mit Christian C. Walther erneut ein 9/11-Buch vorgelegt, das es sogar auf Bestsellerlisten geschafft hat. Medien wie die ARD in „Titel.Thesen.Temperamente“ oder die „Süddeutsche Zeitung“ haben das Werk mit überwiegend positiven Kritiken hoffähig gemacht. „Es ist heutzutage leichter, über das Thema zu sprechen und zu schreiben, das beobachte ich seit ein paar Jahren. Da ist nicht mehr diese Hysterie“, sagt Bröckers.

Einig sind sich Zweifler Bröckers und Wissenschaftler Grüter in so gut wie nichts. Allerdings bestätigen beide, dass das im neuen Jahrtausend aufgekommene Breitbandinternet „eine wichtige Rolle“ für die Kommunikation der 9/11-Theorien gespielt hat. „Auch das verbreitete Misstrauen gegen die Regierung Bush führte zu einem Anstieg“, bilanziert Grüter. Hinzu kam, wie Bröckers betont, dass „9/11 ja praktisch live in die Wohnzimmer übertragen wurde, dadurch musste es so groß werden“.

Umfragen belegen eine wachsende Zweifler-Schar. Lesen Sie mehr im zweiten Teil.

Es ist nicht mehr nur die weltweite Gemeinde der Verschwörungsgläubigen, die zweifelt, auch die Akzeptanzwerte der von Regierungen gegebenen Erklärungen zu 9/11 gehen deutlich zurück. Knapp 90 Prozent der Deutschen denken laut einer Emnid-Erhebung vom Januar 2011, dass die US-Regierung nicht die ganze Wahrheit über die Anschläge sagt. Bei einer Umfrage von Worldpublicopinion.org aus dem Jahr 2008 geben nur 46 Prozent der Befragten aus 17 Ländern an, Al Qaida für den Urheber zu halten. Und nicht nur 15 Prozent der Chinesen bezichtigen unmittelbar die damalige US-Administration, in Deutschland sind es genauso viele. „Je nachdem, wie sie die Frage stellen, kriegen sie ganz verschiedene Prozentsätze in den Antworten“, relativiert Grüter.

Antworten jedoch sind das, was Bröckers verlangt und bewusst nicht gibt. Zahlreiche offene Fragen sind seiner Ansicht nach übrig geblieben – eine offizielle Neuuntersuchung sei dringend notwendig, lautet die Kernaussage seines Buches. Wer hat die Anschläge finanziert? Warum berichten zahlreiche Zeugen, dass sie Explosionen aus den unteren Stockwerken des WTC gehört haben? Wieso ist das Gebäude WTC 7 eingestürzt, obwohl es nicht von Flugzeugen getroffen wurde? Warum hat bin Laden unmittelbar nach den Anschlägen noch jede Beteiligung an diesen abgestritten? Zu klären ist nach Ansicht von Bröckers noch einiges, brachiale Schuldzuweisungen an die CIA, den Mossad oder Bush und Cheney jedoch gelten zumindest bei den um Seriosität bemühten Vertretern der Alternativtheorien als verpönt.

„Es gibt einfach eine Schere im Kopf bei diesem Thema, das ist ein vermintes Feld“, findet Oliver Janich. Der Journalist hat für „Focus Money“ zwei Artikel zu 9/11-Verschwörungstheorien verfasst und ist damit einer der wenigen, die diesen in den Massenmedien eine Plattform gegeben haben. Er zählt in einem der Artikel 40 bekannte Skeptiker auf, die der offiziellen Version der US-Regierung misstrauen, von Professoren über erfahrene Piloten bis zum ehemaligen WTC-Hausmeister William Rodriguez und Hollywood-Schauspielerin Sharon Stone. „Wenn man sich den Einsturz der Zwillingstürme und des WTC 7 genau anschaut, dann kann es sich nur um eine kontrollierte Sprengung handeln“, sagt Janich. Implizit folgt daraus: Es handelt sich um eine riesige Staatsverschwörung. Als Beweis führt Janich zahlreiche Expertenaussagen an, was die andere, die offizielle Seite, freilich ebenso getan hat. Nicht nur im bekannten und vielfach kritisierten „9/11 Commission Report“, sondern vor allem auch im Bericht des National Institute of Standards and Technology wurden die technischen Aspekte der Anschläge von der Elite der US-Wissenschaft beleuchtet; sie bestätigten die offizielle Version. Doch naturgemäß kann das die Verschwörungstheoretiker nicht überzeugen, denn wie sollte eine von der US-Regierung beauftragte Untersuchung objektiv sein?

Ein Blick auf die Publikationen der Alternativdenker zeigt, dass sich die meisten von ihnen nicht nur mit 9/11 beschäftigen. Jesse Ventura, vier Jahre lang Gouverneur von Minnesota, hinterfragt in „Die Amerikanische Verschwörung“ auch noch die Morde an Kennedy und Malcolm X, beschreibt Drogenhändlerseilschaften früherer US-Regierungen und verschobene US-Wahlen von 2000 und 2004. Auch Janich hat in „Das Kapitalismus-Komplott“ geheime Machtzirkel und Weltverschwörungen im Blick. Die Autoren stellen ihre Leser damit vor die Wahl: Glaube ich, dass die ganze Welthistorie eine einzige große Lüge ist, oder halte ich es weiter mit den Geschichtsbüchern?

So wird der Kampf um die Wahrheit über 9/11 zu einem Glaubenskrieg. Die unendliche Masse an Zahlen und Daten über Schmelzeigenschaften von Stahl und die Hinweise auf Nanothermit-Sprengstoff im Schutt des WTC können von Lesern weder geprüft noch eingeordnet werden. Alles reduziert sich auf die zwischen den Zeilen lauernde Frage: Traue ich der US-Administration zu, fast 3000 Landsleute umzubringen oder zumindest deren Ermordung absichtlich nicht zu verhindern, um eine Rechtfertigung für die Kriege in Afghanistan und im Irak zu haben?

Der ehemalige US-Präsident Bush und seine Rhetorik vom Guten und Bösen, von der gottgegebenen Überlegenheit des westlich-christlichen Modells ist vielleicht nicht ganz unschuldig an der Schärfe der Auseinandersetzungen zwischen jenen, die folgen möchten und solchen, die das Böse im „neuen US-Imperialismus“ sehen und den USA deshalb auch das Schlimmste zutrauen.

Einige beschuldigen die USA direkt. Lesen Sie mehr im dritten Teil.

„Der Hauptverdächtige ist in der Tat die damalige US-Administration. Das Motiv war, Geld der Steuerzahler in die Kriege umzuleiten“, sagt mit Alexander Benesch einer, der den Diskurs in Deutschland maßgeblich beeinflusst hat. Sein Portal infokrieg.tv ist eine zentrale Anlaufstelle für alle, die sich von den Massenmedien hinters Licht geführt wähnen. „Es ist stellenweise zu beobachten, dass 9/11 vielen zum Hals raushängt, da wurde schon so viel gemacht“, sagt Benesch. Als seine Motivation beschreibt der 27-Jährige die „Suche nach Wahrheit“: „Wenn man heute den Fernseher einschaltet, müsste dort ein Warnhinweis sein: Achtung, sie gucken eine Werbesendung für die aktuelle Regierung.“ Auf seinem Portal macht Benesch selbst Nachrichten, im Gespräch mit ihm wird es schnell welthistorisch, von Manhattan aus landet man plötzlich bei der Mitverantwortung Wladimir Putins für die Bombenanschläge auf Hochhäuser in Moskau 1999 und dann beim Reichstagsbrand. Von seinem Portal kann Benesch leben, vor allem der Vertrieb von Büchern und CDs mit alternativen Deutungen verschiedener Ereignisse laufe gut.

Wie andere Multiplikatoren der Szene auch beruft sich Benesch bei seiner Beweisführung zu 9/11 auf die „Operation Northwoods“. Dabei handelt es sich um einen US-Geheimplan, im Jahr 1962 Terrorattacken von Kubanern auf US-Einrichtungen vorzutäuschen. Der Plan ist real, die CIA selbst veröffentlichte 1997 entsprechende Unterlagen, allerdings hat der damalige Präsident Kennedy ihn nie unterschrieben. Aber wenn es schon vor 50 Jahren solche Gedankenspiele gab, dann könnten doch 2001… Am Ende verlieren sich alle Alternativtheorien im Konjunktiv und der Frage danach, wem man noch glauben kann – und vor allem will. 9/11 ist für eine gar nicht so kleine Parallelgesellschaft im Netz zu einem Synonym einer überkomplexen Welt geworden, in der allein Machtinteressen zählen.

Der Tod Osama bin Ladens ist für die Verschwörerszene dabei kein Schlusspunkt unter die Anschläge von 2001 und das Jahrzehnt im Zeichen des „War on Terror“. Schließlich soll Osama bin Laden schon kurz vorher oder nicht lange danach gestorben sein, ganz friedlich, an einem Nieren- und Leberleiden. Dass seine Leiche von US-Militärs verbrannt und der Beweis, er sei bis 2011 noch am Leben gewesen, in den Augen vieler damit nicht erbracht wurde, gibt der bin-Laden-Verschwörungstheorie Nahrung.

Um die Jahrtausendwende lebte ein radikaler Islamist. Er hasste die USA und starb irgendwann zwischen 2000 und 2011. Mehr Konsens wird es auch im Fall bin Ladens zwischen den Verschwörungstheoretikern und den offiziellen Chronisten der Weltgeschichte nicht geben.

Nik Afanasjew

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