Machtzirkel: Spinner, Spieler und Spione
Enge Gassen, tote Winkel: Die Frankfurter Schirn erkundet „Geheimgesellschaften“
Bevor Sie weiterlesen, verriegeln Sie die Tür, verhängen Sie die Fenster und dämpfen Sie das Licht! Wir brauchen keine unnötigen Zeugen. Denn wir werden von erhabenen Dingen sprechen, die Ihr Leben für immer verändern können. Und das geht nur uns beide etwas an.
In diesem raunenden Tonfall wirbt die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main für ihre Ausstellung „Geheimgesellschaften“. Auf der Website verspricht eine zwinkernde Eule „geheime Informationen zu mysteriösen Veranstaltungen“. Führungen unter dem Titel „Pssst!“ und „Keep out!“ leitet ein „Hidden Master“, der „würdige Anhänger aus dem Verborgenen“ lenkt. Solche Anleitung haben wissbegierige Besucher nötig, denn hier versteht sich nichts von selbst.
Der erste Raum der Ausstellung ist ein abgedunkeltes Gruselkabinett voller bizarrer Bilder und seltsamer Skulpturen. Hinaus führt ein schmaler Durchgang zu einer Gabelung. Egal welchen Weg man wählt: beide säumen merkwürdige Motive und kryptische Objekte.
Dann gelangt man in ein grellgelbes Labyrinth, das sperrige Einbauten verstellen. Durch enge Gassen führt der Parcours vorbei an toten Winkeln und klaustrophobischen Kabinetten, bis er in die zweite Dunkelkammer mündet. Dort läuft Brice Dellbergers Video-Projektion „Body Double 22“, das Remake einer berühmten Szene aus Stanley Kubricks Film „Eyes Wide Shut“: der Maskenball, der zur Orgie eskaliert.
Die Initiation ist abgeschlossen, die sinnespralle Belohnung für durchlaufene Rituale zum Greifen nah – doch begriffen hat der Kandidat sie kaum. Wenn er nicht versteckt angebrachte Wandtexte aufspürt, die zumindest einige Beiträge näher erläutern. Die schwer zugänglichen Schriften legen nahe, die rund 100 Arbeiten in drei Gruppen zu gliedern.
Auf der ersten Stufe stehen Werke, die vergangene Okkultismen kunstvoll weitertreiben. Etwa der Film „Invocation Of My Demon Brother“ von 1969, in dem Kenneth Anger mit Teufelshörnchen dem Satanskult eines Aleister Crowley frönt. Oder Suzanne Treisters Serie von Zeichnungen „Hexen2039“: Auf den Welterklärungs-Plänen haben neben einschlägigen Großmagiern auch Queen Elizabeth, Lenin und Wernher von Braun ihren Platz.
Auf der zweiten Stufe begründen Künstler ihre eigenen Kulte oder basteln an Verschwörungstheorien. Die Koreanerin Donghee Koo lässt nackte Säbeltänzer über eine spiritistische Tafelrunde wirbeln; der Italiener Enrico David entwirft das Corporate Design für einen imaginären Geheimbund: Logos, Orden und eine Wandverkleidung für die Chefetage. Diese Stufe entfesselt den künstlerischen Spieltrieb: Es wimmelt von esoterischen Symbolen, bedeutungsschwangeren Gesten und Anleihen bei Spinnern aller Art.
Von diesem karnevalesken Treiben setzt sich die dritte Stufe durch betonte Nüchternheit ab. Auf ihr wollen Künstler über real existierende Geheimgesellschaften aufklären – optisch meist so ansprechend wie ein Rechenschaftsbericht. Luca Vitone listet alle mehr als 900 Mitglieder der „P2“-Loge auf; ihre Enttarnung trug ab 1990 zum Zusammenbruch des Parteiensystems in Italien bei. Jill Magid hängt Protokolle ihrer Gespräche mit 18 niederländischen Spionen an die Wand – da der Geheimdienst sie zensiert hat, sind nur Satzfetzen zu lesen.
Auf Uneingeweihte mag diese Zusammenstellung willkürlich wirken. Doch in ihr walten verborgene Muster, die weise Schriften enthüllen. Was bei jeder anderen Ausstellung ein Manko wäre, nämlich dass sich ihr Sinn erst im Katalog offenbart, liegt hier in der Logik des Themas: Nur die Lektüre kanonischer Texte kann den Schleier der Unwissenheit zerreißen.
Dabei belässt der Katalog den Werken ihre verrätselte Vieldeutigkeit, indem er kein Wort über sie verliert. Stattdessen analysiert er das Wesen von Geheimnissen und Verschwörern. Der Autor und Musiker Gary Lachman, der früher Bass bei Blondie spielte, berichtet von historischen Geheimbünden: Rosenkreuzern, Freimaurern und Illuminaten. Alle schickten ihre Adepten durch Prüfungen, damit sie eine Transformation ihrer selbst erfuhren. Alle bedienten sich sonderbarer Symbole, deren Bedeutungsraum unerschöpflich erschien. Alle verfügten über strenge Hierarchien und versprachen höhere Bewusstseinsstufen. Wobei sie alle an einem unauflöslichen Paradox scheitern: Das Geheimnis besteht nur so lange, wie es weitergegeben wird. Wird es zu gut gehütet, verschwindet es.
Deshalb sind Geheimgesellschaften überflüssig, wie Jan Verwoert in einem brillanten Essay nachweist: Wir sind alle Geheimnisträger. Niemand redet offen über seine Wünsche und Ambitionen. Nur „codierte Formen der indirekten Kommunikation“ sind zugelassen: als „raffinierte Spitzenwäsche, hinter der wir unsere Blöße verbergen und an der wir stets weiterweben, damit wir unseren Begierden nachgehen können, ohne uns zu ekeln oder zu langweilen“.
Das ist der Grund, warum die Ausstellung ihr vollmundig angekündigtes Versprechen nicht einlöst: aufzudecken, welche Züge eines Geheimbundes der zeitgenössische Kunstbetrieb aufweist. Es ist ein offenes Geheimnis, dass manche Künstlerlisten und Auszeichnungen nichts mit Qualität, aber viel mit Netzwerken, Absprachen und Gefälligkeiten zu tun haben. Alle kungeln mit, keiner spricht darüber. Von Schirn-Direktor Max Hollein, Großmeister in diesen Disziplinen, darf man es am wenigsten erwarten. Doch für den Wissenden ist die Wahrheit offenkundig. Auch in diesem Artikel ist eine geheime Botschaft versteckt – wenn Sie zwischen den Zeilen zu lesen verstehen.
Geheimgesellschaften, Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, noch bis 25. September. Der Katalog hat 256 Seiten und kostet 29,80 Euro. Mehr unter www.schirn.de.
Oliver Heilwagen
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