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Eine „Waffenbesitzkarte“ muss beantragt werden. Bislang bekommen sie immer wieder auch Rechtsextreme.
© picture alliance / Carsten Rehde
Exklusiv

Schussbereite Neonazis: 750 Rechtsextremisten haben eine Waffenerlaubnis

Trotz der Terrorgefahr können Rechtsextreme legal Pistolen und Gewehre kaufen. Die Regierung hofft, dass noch 2019 eine Gesetzeslücke geschlossen wird.

Die Aufrüstung der rechten Szene mit legal erworbenen Waffen ist offenbar nicht zu stoppen. Wie schon seit Jahren geht der Verfassungsschutz nach Informationen des Tagesspiegels auch für 2019 von 750 Rechtsextremisten aus, die über eine oder mehrere waffenrechtliche Erlaubnis verfügen.

Die Bilanz ist einer Analyse des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu entnehmen. Die Zahl sei „in den letzten Jahren in etwa konstant geblieben“, schreibt der Nachrichtendienst. Er spricht allerdings von einer „Fluktuation in der Zusammensetzung der Erlaubnisinhaber“.

Es seien Personen ausgeschieden, weil ihnen die Waffenerlaubnis entzogen wurde. Doch es kamen in der Bilanz auch Rechtsextremisten hinzu. Das waren Personen mit Waffenerlaubnis, die später erst als Rechtsextremisten auffielen – sowie Rechtsextremisten, die erstmals eine Waffenerlaubnis bekamen.

Die letztgenannte Gruppe rutscht oft durch, da die Waffenbehörden bislang nicht verpflichtet sind, beim Verfassungsschutz Auskünfte über Antragsteller einzuholen. Was der Nachrichtendienst möglichst rasch geändert haben möchte.

Als Beispiele für das „Gefährdungspotenzial von Schusswaffen im Besitz von Rechtsextremisten“ nennt das Bundesamt das tödliche Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni und die Schüsse eines Rassisten am 22. Juli auf einen Eritreer im hessischen Wächtersbach.

Im Fall Lübcke stellte sich heraus, dass ein mutmaßlicher Komplize des tatverdächtigen Neonazis Stephan Ernst, der Rechtsextremist Markus H., über eine Waffenbesitzkarte verfügte.

Die Polizei fand bei Durchsuchungen 46 Waffen, die meisten werden H. zugeordnet. Der Schütze in Wächtersbach, Roland K., verfügte über fünf legal erworbene Waffen. Der Rechtsextremist verletzte den Eritreer mit einem Schuss in den Bauch und tötete sich dann selbst.

Zahl der „Reichsbürger“ mit Waffenschein sinkt

Den sogenannten Reichsbürgern hingegen, die der Verfassungsschutz nur zu einem kleinen Teil dem Rechtsextremismus zurechnet, können die Behörden offenbar den legalen Zugang zu Waffen deutlich erschweren. Seit 2016 seien mindestens 760 Reichsbürgern und „Selbstverwaltern“ die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen werden, schreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz. Selbstverwalter sind Reichsbürger, die ihr eigenes Anwesen zum Staat erklären und oft militant verteidigen.

Am 30. Juni 2019 besaßen nur noch 490 Personen der Szene eine waffenrechtliche Erlaubnis. Im Dezember 2018 waren es 910. Das Bundesamt spricht von einem Erfolg. Unklar bleibt allerdings, warum die Sicherheitsbehörden bei den Reichsbürgern die Bewaffnung eindämmen können und bei den Rechtsextremisten nicht – zumal die Reichsbürger erst seit 2016 bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

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Der Handlungsdruck sei auch wegen des rechtsextremen Anschlags in Halle „enorm“, heißt es im Umfeld der Bundesregierung. Möglicherweise gelingt es aber noch in diesem Jahr, die schon lange diskutierte Verschärfung des Waffenrechts zu beschließen. Der Bundestag plant für seine letzte Sitzungswoche im Dezember die zweite und dritte Lesung zum Gesetzentwurf des Innenministeriums.

Ende Oktober hat die Bundesregierung den Parlamentariern eine „Formulierungshilfe“ nachgereicht, offenbar eine Reaktion auf den Schock von Halle. Dort hatte der Antisemit Stephan Balliet am 9. Oktober mit Waffen, allerdings selbst gebastelt und nicht legal erworben, vergeblich die voll besetzte, aber verschlossene Synagoge angegriffen. In seiner Wut erschoss der Täter zwei Passanten.

Anfrage beim Verfassungsschutz soll nach Regierungswunsch zur Regel werden

Die Regierung regt nun in der Formulierungshilfe an, schon die Mitgliedschaft einer Person in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung müsse genügen, eine „waffenrechtliche Unzuverlässigkeit“ festzustellen. Im Gesetzentwurf ist bereits eine Regelanfrage der Waffenbehörden beim Verfassungsschutz zu Waffenbesitzern und Antragstellern vorgesehen.

Eine weitere Verschärfung hält der Bund Deutscher Kriminalbeamter für nötig. Mit Blick auf den Anschlag in Halle fordert der BDK, die Verbreitung von „Waffenselbstbauanleitungen“ inklusive spezieller 3D-Drucker-Software zu verbieten.

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