Gewalt in Ukraine trotz Abkommen von Minsk: 18 Tote bei Gefechten - Überwachen bald deutsche Drohnen die Waffenruhe?
In Minsk wurde zwar eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand in der Ostukraine getroffen, die hungerstreikende Pilotin ist aber nicht Teil eines Gefangenenaustausches. Unterdessen gehen die Gefechte unvermindert weiter und fordern weitere Todesopfer.
Am Samstag um 23.00 Uhr deutscher Zeit sollen die Waffen in der Ostukraine schweigen. Überwacht werden soll die Feuerpause von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) - mit Satelliten, Radargeräten und Drohnen.
Auch die Bundeswehr könnte dabei eine größere Rolle spielen. Bereits am 9. Oktober vergangenen Jahres hatte Deutschland der OSZE zusammen mit Frankreich ein Angebot zur Überwachung einer Waffenruhe unterbreitet. Weil die Kämpfe nie beendet wurden, blieb das Angebot in der Schublade. Zurückgezogen wurde es aber nie.
Deutschland erklärte sich damals bereit, zehn Drohnen vom Typ „Luna“ und bis zu 390 Soldaten in die Ukraine zu schicken. Die „Luna“-Drohne sieht aus wie ein kleines Segelflugzeug, wiegt nur 40 Kilogramm, kann aber trotzdem 160 Stundenkilometer schnell und 5000 Meter hoch fliegen. Für die Bundeswehr hat das Aufklärungsflugzeug schon Videos und Infrarotfilme in Mazedonien, im Kosovo und in Afghanistan gedreht. Das zu überwachende Gebiet in der Ostukraine ist riesig. Alleine die Grenze zu Russland ist mehr als 2000 Kilometer lang. Die „Luna“-Drohnen können aber nur 100 Kilometer weit und sechs bis acht Stunden lang fliegen. Um eine der Drohnen rund um die Uhr in der Luft zu halten, müssen insgesamt zehn in der Ukraine stationiert werden.
Gesteuert würden sie von zwei Bodenkontrollstationen. Entschieden ist aber noch nichts.
Russland lässt inhaftierte Pilotin nicht frei
Die russische Regierung hat eine Freilassung der seit Juni in Moskau inhaftierten ukrainischen Luftwaffen-Pilotin Nadja Sawtschenko im Zuge der jüngsten Friedensvereinbarungen von Minsk ausgeschlossen. Bei den Verhandlungen in Minsk habe die ukrainische Regierung das Thema "natürlich" aufgebracht, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag. Russlands Präsident Wladimir Putin habe jedoch erneut klar gemacht, dass gegen Sawtschenko ermittelt werde und ein Gericht "über ihre Schuld oder Unschuld entscheiden" müsse.
Sawtschenko war Ende Juni auf russischem Territorium festgenommen worden. Nach Darstellung der Ukraine wurde sie zuvor von prorussischen Rebellen entführt und an Russland ausgeliefert. Russland wirft ihr vor, der ukrainischen Armee die Position zweier russischer Journalisten übermittelt zu haben, die im Juni nahe der ostukrainischen Stadt Lugansk bei einem Angriff der ukrainischen Regierungstruppen getötet wurden. Die Anklage gegen die 33-Jährige lautet auf vorsätzlichen Mord.
Die Pilotin wurde im Oktober ins Kiewer Parlament gewählt und ist auch Mitglied der ukrainischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Aus Protest gegen ihre Inhaftierung befindet sich Sawtschenko seit Mitte Dezember im Hungerstreik.
Die Kiewer Regierung und die prorussischen Rebellen im Osten der Ukraine hatten sich am Donnerstag auf ein "Maßnahmenpaket" zur Umsetzung der Minsker Verträge von Anfang September verständigt. Dieses umfasst auch einen Gefangenenaustausch. Nach russischer Lesart fällt Sawtschenko jedoch nicht unter das Abkommen, da ihr ein schweres Vergehen vorgeworfen wird.
Granate trifft in Café in Luhansk
Unterdessen gehen in der Ostukraine auch kurz vor dem vereinbarten Waffenstillstand die Kämpfe an mehreren Orten weiter. Bei einem Granatbeschuss der Stadt Schastye nahe Luhansk wurden nach Angaben der Regionalbehörde am Freitag drei Zivilsten getötet und sechs fünf verletzt. “Das Geschoss traf ein Café, in dem sich viele Menschen aufgehalten hatten“, erklärte Verwaltungschef Hennadiy Moskal. Weitere Granaten seien in anderen Gebiete der Stadt eingeschlagen. “Die Wärmeversorgung der Stadt ist zusammengebrochen, Strom- und Wasserleitungen sind ebenso beschädigt.“ Vier weitere Zivilisten wurden laut den örtlichen Behörden in den Regionen Lugansk und Donezk getötet.
Die Regierung in Kiew hatte zuvor bereits gemeldet, dass in den vergangenen 24 Stunden elf Soldaten gefallen und 34 weitere verletzt wurden. Stellungen des Militärs seien von den prorussischen Separatisten genauso wie vor den Vereinbarungen von Minsk beschossen worden. Besonders heftig seien die Kämpfe in der Region Debalzewe gewesen. Der Ort ist ein Verkehrsknotenpunkt, seine Eroberung würde die Verbindung zwischen zwei größeren von den Separatisten besetzten Gebieten herstellen.
In Minsk hatten Deutschland, Frankreich, die Ukraine und Russland am Donnerstag den Rahmen für einen Entspannung des Konflikts vereinbart. Kernpunkt ist ein Waffenstillstand, der in der Nacht von Samstag auf Sonntag in Kraft treten soll.
Unabhängig davon hält die EU an ihren Strafen gegen Russland fest. Die bereits beschlossenen Sanktionen werden an diesem Montag wie geplant in Kraft treten. Die EU hält sich auch neue Strafmaßnahmen offen, falls dies nötig sein sollte.
Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef François Hollande, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und Kremlchef Wladimir Putin hatten in einem 17-stündigen Verhandlungsmarathon in Minsk die Grundlagen für eine mögliche Lösung der Ukraine-Krise ausgehandelt. Nach der Übereinkunft soll die Feuerpause am Sonntag um 0.00 Uhr Ortszeit (23.00 Uhr MEZ, Samstag) in Kraft treten.
Bei den von der EU bereits beschlossenen Strafen gegen Moskau geht es um Einreiseverbote und Vermögenssperren. Die Strafen seien wegen der Angriffe der ostukrainischen Separatisten auf die Stadt Mariupol verhängt worden und deshalb weiter angemessen, sagte Merkel am Donnerstag nach Ende des Spitzentreffens in Brüssel.
Zudem habe der Gipfel die EU-Kommission aufgefordert, weitere Wirtschaftssanktionen gegen Russland vorzubereiten, falls diese notwendig werden sollten. „Wir halten uns alle Reaktionsmöglichkeiten offen“, betonte die Kanzlerin, die direkt von den nächtlichen Verhandlungen mit den Präsidenten Russlands und der Ukraine nach Brüssel gekommen war. Sie selbst hatte die Einigung in Minsk am Morgen relativiert. Es sei „ein Hoffnungsschimmer, nicht mehr und nicht weniger“. „Die Verhandlungen (in Minsk) waren hart und sehr emotional“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow dem russischen Fernsehen.
Die Skepsis bleibt
EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, die EU sei bereit zu möglichen weiteren Sanktionen. Man sei inzwischen „sehr vorsichtig“, vor allem nach den schlechten Erfahrungen mit der ersten Minsker Vereinbarung. „Unser Vertrauen in den guten Willen von Präsident Putin ist begrenzt.“
Poroschenko warnte vor allzu großen Hoffnungen auf einen reibungslosen Friedensprozess in seinem Land. „Es waren sehr schwierige Verhandlungen und wir erwarten einen nicht einfachen Umsetzungsprozess“, sagte er am Donnerstagabend in Brüssel. Die EU sollte darauf vorbereitet sein, gegebenenfalls mit einer Ausweitung von Sanktionen auf einen Bruch der Abmachungen reagieren zu können.
In Deutschland warnte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), vor einer zu frühen Rücknahme der Sanktionen gegenüber Russland. „Ein Waffenstillstand kann noch nicht die Rücknahme von Sanktionen rechtfertigen“, sagte Röttgen der „Rheinischen Post“ (Freitag).
Milliarden-Hilfspaket für die Ukraine
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mahnte zur Einhaltung des Minskers Waffenstillstandsabkommens für die Ukraine. „Die Vereinbarung muss den Weg zu einer umfassenden politischen Lösung des Konfliktes ebnen“, sagte Ban in New York. „Die Vereinten Nationen stehen bereit, um in jeder denkbaren Weise zu helfen.“ Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine dürfe nicht angetastet werden.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) schnürte unterdessen ein Milliarden-Hilfspaket für die Ukraine. Dazu sagte IWF-Chefin Christine Lagarde, das Land solle nach dem vorläufigen Plan zunächst 17,5 Milliarden Dollar erhalten (rund 15,5 Milliarden Euro). Allein die Weltbank will der Ukraine in diesem Jahr bis zu zwei Milliarden Dollar an Finanzhilfen zur Armutsbekämpfung und Unterstützung von Reformen zur Verfügung stellen. (dpa/AFP)