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Da hatte er ihn noch. Ingo Zamperoni mit Judith Rakers in der ARD-Fernsehshow "Das ist Spitze".
© imago

Kolumne "Ich habe verstanden": Zamperonis kurzer Sommer des Vollbarts

Der Tagesthemen-Moderator ließ sich erst vor einigen Wochen einen Vollbart stehen. War das wohlmöglich sein Kommentar zur knapp verpassten Krönung zum alleinigen "Ersten Moderator"? Jetzt ist Schluss mit den wilden Deutungsversuchen. Er ist wieder rasiert.

Ingo Zamperoni hat keinen Bart mehr. Der Nachrichtenwert des vorangegangenen Satzes scheint auf den ersten Blick ein wenig mau, allerdings sind wir hier ja auch nicht beim Krawallmedium Spiegel Online, wir können die Dinge auch mal sacken lassen und länger als zwei Minuten über etwas nachdenken. Also noch mal: Ingo Zamperoni hat keinen Bart mehr. Donnerwetter! Blitzmarathon, der erste Schnee, Alice Munro und der Bischof von Limburg? Wären in jeder anderen Woche auch gute Themen für diese Kolumne gewesen.

Ingo Zamperoni ließ sich erst vor wenigen Wochen einen Bart stehen – diese Tatsache sorgte für allerlei Aufregung, vor allem, weil Zamperoni nach Tom Buhrows Wechsel an den Spitze des WDR als sein möglicher Nachfolger bei den Tagesthemen gehandelt wurde. Zamperoni wäre dann „Erster Moderator“ geworden (Caren Miosga ist „Erste Moderatorin“). Er wurde es nicht – und das liegt möglicherweise daran, weil Zamperoni im Moment die größte Zumutung für die Zuschauer ist. Das ist an dieser Stelle übrigens als großes Kompliment gemeint.

Zamperonis kleine Revolution

Es war vor einem Jahr, Halbfinale der Fußballeuropameisterschaft, Italien führt zur Halbzeit gegen Deutschland, Zamperoni moderiert als Urlaubsvertretung die Tagesthemen – und die Art und Weise, wie er, Sohn eines italienischen Vaters, das tat, löste einen Sturm der Entrüstung aus. Dabei lächelte Zamperoni anfangs nur etwas, nun ja, süffisant, aber am Ende „aus gegebenen und aus persönlichem Anlass“ zitiert er Dante, nicht den Fußballer, sondern den italienischen Dichter: „Das Gesicht verrät die Stimmung des Herzens.“ Er verabschiedete sich zweisprachig, italienisch-deutsch, er sagte, dass der Bessere gewinnen möge, was dann ja auch so passiert ist. Man kann von einer kleinen Revolution sprechen, die da am 28. Juni 2012 stattgefunden hat.

Ein Jahr später dann also der Vollbart – und Thomas Roth wurde „Erster Moderator“ der Tagesthemen, Roth, der Schnurrbartträger, nicht zu verwechseln mit Ulrich Deppendorf, ebenfalls Schnurrbartträger. Zwar ist Zamperoni immer noch der Vertreter der beiden „Ersten Moderatoren“, und darf ansonsten zwölf mal im Jahr die Tagesthemen moderieren – trotzdem bekam er nicht das, was er verdient hätte. Möglicherweise war der Vollbart sein Kommentar dazu. Zamperoni stand der Bart – nicht vielen Männern steht ein Vollbart, den meisten, die im Moment einen Vollbart tragen, steht er nicht, aber der Vollbart gilt seit einigen Jahren als, tja, lässig, das Wort Hipster fällt oft in Verbindung mit dem Vollbart, weswegen manche Männer, die schon seit längerem so einen Bart trugen, ihn mittlerweile abgenommen, für viele war ein Foto von Michael Ballack mit Vollbart dazu ein Anlass, die Unterzeile in „Bild“ zu dem Foto lautete „ganz schön verwegen“.

Es war einmal ein Vollbart

Ganz schön doof – und ganz schön richtig das Zamperoni sich wieder rasiert. Die Deutungen des Vollbarts sind längst langweiliger geworden als das Tragen eines Vollbarts und er hätte es verdient, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden – dahin also, wo der Schnurrbart immer schon war. Oder gab es in den vergangenen Jahren Debatten über die Bärte von Roth und Deppendorf? Nee, gab es nicht, weil dieser Bart – wie seine Träger – nicht auffällt, ein deutscher Beamtenbart; während Zamperonis Vollbart den Sommer seines Aufbegehrens symbolisiert – und jetzt, im Herbst, ist es dann auch wieder gut.

Der Mann ist 39 Jahre alt. Den werden wir so schnell nicht los. Zum Glück. Denn immerhin hat er die Vollbart-Debatte im Alleingang beendet.

Matthias Kalle

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