Mit dem Videowagen unterwegs beim Blitzmarathon: Der ganz normale Wahnsinn auf Berlins Straßen
Auch wo nichts draufsteht, kann Polizei drin sein: Jeden Tag ziehen Beamte auf den Autobahnen Rowdys aus dem Verkehr. Im zivilen Videowagen verfolgen sie Raser, Drängler und Telefonierer. Zu entkommen, ist schwierig – und wenig sinnvoll.
Gerade hat Ulrike Krimmling am Steuer des BMW noch gesagt: „Ich seh heute gar nichts fliegen.“ Blitzmarathon, Niesel, Kolonnenverkehr. Doch plötzlich fliegt doch was. Auf der A113, dem Zubringer aus Schönefeld, hat sich das Feld kurz gelichtet, als zwei Spuren weiter links ein weißer Van vorbeischießt. „Eilige Medikamente“. Ein Fall für die Polizeikommissarin und ihren Beifahrer Wolf-Dietrich Thomas. Der Oberkommissar hebt kurz den Finger und schon schwimmt Krimmling nicht mehr so sanft im Verkehr mit wie zuvor. Das Bild der Frontkamera wird jetzt aufgezeichnet, inklusive Tempo des BMW und des Lieferwagens.
Actionfilm auf der A 113
Ulrike Krimmling und Wolf-Dietrich Thomas sind beim Blitzmarathon für die Schnellsten zuständig. Wie jeden Tag fahren sie mit ihrem Zivilwagen auf der Autobahn durch die Stadt. Vorn und hinten sitzen kleine Kameras und Tempomessgeräte, in den Türfächern liegen Magnetblaulichter, zwischen ihnen die Fernbedienung der Videoanlage und die Kelle.
Der Lieferant wird langsamer, aber ein roter Fiat hat sich an ihn geheftet. Als der Van Tempo 100 auf der 80er-Strecke unterschreitet, zieht der Fiat rechts vorbei, schert haarscharf vor ihm wieder ein und bedrängt auch seinen Vordermann. Die Polizisten drehen jetzt einen Actionfilm vom ganz normalen Wahnsinn auf Berlins Straßen. Thomas liefert den Ton. Ruhig spricht er Kennzeichen, Tempolimit und alle wichtigen Details aufs Band. Die stationären Blitzer im Britzer Tunnel passieren die Raser brav mit Tempo 75, dahinter geht’s flott weiter. „Wo wollen wir sie rausholen?“, fragt Krimmling. Thomas schlägt das Kreuz Schöneberg vor. Also Blaulicht aufs Dach, Sirene an, mehr Gas. Sofort leert sich die linke Spur. Auf Höhe des Fiats sagt Krimmling: „Ach! Und ein Handy haben wir auch noch dabei.“
Dreistelliges Bußgeld plus Fahrverbot
Auf der Hutablage ist jetzt ein Schild mit der Leuchtschrift „Folgen, Polizei!“ hochgeklappt. Am Sachsendamm stoppen der Fiat und eine verschreckte Frau im Daihatsu, die sich keiner Schuld bewusst ist. „Sie waren gar nicht gemeint“, sagt Krimmling, „tut mir Leid“.
Der Fiatfahrer, runder Bauch, rollendes R, ist weniger durch den Wind, obwohl er allen Grund dazu hätte. Thomas zählt ihm seine Verstöße auf, bietet ihm einen Blick aufs Video an. Der Fahrer holt lieber sein Handy, um zu zeigen, dass er gar nicht telefoniert habe. Thomas erklärt ihm, warum auch ein Handy in der Hand gefährlich ist und was passieren kann, wenn man so viel zu schnell fährt und andere schneidet. Details der Drängelei werden später aus dem Video heraus am Computer gerichtsfest berechnet. Die Strafe für den Fiatfahrer dürfte wohl deutlich dreistellig werden, plus Fahrverbot.
Dass einer abhaut, passiert selten
Auf der Fahrt mit Krimmling und Thomas wurde schnell klar, dass sie es genau auf solche Leute abgesehen haben. Sie wissen, dass man in Kolonne leicht mal dicht auffährt oder bei freier gerader Strecke einen Tick zu schnell wird. „Wir konzentrieren uns auf die, die sehr zügig unterwegs sind“, sagt Thomas. Außerdem auf die Experten, die gleich vom Beschleunigungsstreifen nach ganz links ziehen und alle erschrecken. Und das mit den Handys werde auch einfach nicht weniger, sagen beide. Mehr als 90 Prozent ihrer Kandidaten halten sie an – auch, um ihnen ins Gewissen zu reden. Dass einer abhaue, passiere selten. Und wenn, dann hätten sie ihn ja auf dem Video. Wer bestreite, selbst gefahren zu sein, bekomme ein Fahrtenbuch aufgebrummt, was kein Spaß sei.
Die eiligen Medikamente haben ihr Ziel wohl schnell erreicht. Bei Firmenwagen finde man den Fahrer später mühelos, sagt Thomas. Also haben sie ihn fahren lassen und sich auf den Fiat konzentriert. Die Raser im Gedränge erst zu sammeln und dann von der Autobahn zu lotsen, war ihnen zu heikel. Sie wollen ja Unfälle verhindern und keine verursachen.
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