Streit um türkische Politiker in Deutschland: Vom Umgang mit Erdogan lernen - für später
Bisher ist es kein Glanzstück, wie sich Deutschland gegenüber dem türkischen Präsidenten Erdogan und seiner AKP verhält. Es könnte aber besser werden. Ein Kommentar.
Politisch ist der Umgang mit Erdogans Wahlkampf in Deutschland gründlich misslungen. Ein Musterbeispiel dafür, wie Kommunikation eben nicht funktioniert. Wenn Politiker immer wieder betonen, man wolle den Autokraten aus Ankara hier nicht, erweisen sie ihm jedes Mal aufs Neue die Ehre, in aller Munde zu sein. Das ist kostenlose Wahlkampfhilfe. Noch unglücklicher sind die Begründungen, warum Erdogan und seine Helfer-Minister als Wahlkämpfer vor dem türkischen Verfassungsreferendum nichts in Deutschland zu suchen hätten.
Unselige Wortwahl
Wenn die Linke Sahra Wagenknecht und der Christdemokrat Wolfgang Bosbach beide von „Propaganda“ sprechen, vom "Missbrauch" der hierzulande garantierten Meinungsfreiheit, dann sind diese unschöne Einigkeit und das Vokabular schon Grund, sich zu wundern. Es gäbe aber auch Grund, beide zu fragen, wer denn aus ihrer Sicht in einer Demokratie bestimmt, was böse Propaganda und was legitime Meinungsäußerung ist.
Und wenn Horst Seehofer von „Missbrauch des Gastrechts“ schwadroniert, mag man sich nur noch die Haare raufen vor Entsetzen darüber, dass es im Herbst des Münchner Patriarchen anscheinend keinen Spindoktor mehr gibt, der den Chef vor sich selbst bewahrt – wenn dem schon nicht selbst auffällt, welche Assoziationskette diese Herr-im-Haus-Metaphorik gerade bei älteren Einwanderern mit und ohne deutschen Pass auslösen muss. Die hatten sich schließlich jahrzehntelang daran zu gewöhnen, dass Gast sein hierzulande kein Ehrentitel ist, sondern ein Status, in dem man sich am besten unsichtbar macht und nach kurzer Frist auch wieder verschwindet. Und wenn deutsche Kommunen die Auftritte von Erdogans Leuten unter Verweis auf fehlende Zufahrten am Versammlungsort untersagen, dann ist das zwar verständlich, weil man sie mit einem Problem alleinlässt, das nicht in ihre Kompetenz fällt.
Aber hilflos ist es trotzdem und, schlimmer noch, ebenfalls als Botschaft verheerend. Diese Art kalter, administrativer Versammlungs- oder politischer Betätigungsverbote kennen wir aus einer anderen, leider inzwischen bereits vollendeten Demokratur, Putins Russland. Demokraten sollten an so etwas nicht einmal denken.
Konflikte sind dazu da, dass man sie austrägt
Erdogan und wir: Da ist eine Kuh – und das im beginnenden Frühling – feierlich aufs Eis geführt worden. Wie kommt sie von dort wieder weg? Wenn sich auch in diesem Fall aus Fehlern lernen lässt, hieße die Lektion erstens: Nicht-Demokraten, wie Erdogan einer ist und wie es viele sind, die zwar ins Amt gewählt wurden, aber Wahlen nur so lange gut finden, wie sie ihnen nützen, begegnet man nicht mit deren Mitteln. Man nutzt, im Vertrauen auf die eigenen Werte, demokratische Mittel: Sie dürfen hier reden oder reden lassen.
Zweitens wäre der Abschied von altem Denken gut: Die nicht mehr ganz frische Gebetsmühlenformel, ausländische Konflikte dürften nicht in Deutschland ausgetragen werden, verrät bestenfalls Wunschdenken. In einem Einwanderungsland ist das illusorisch. Im Übrigen sind Konflikte, in freien Gesellschaften jedenfalls, zum Austragen da. Für die, die dafür Gewalt brauchen, ob In- oder Ausländer, gibt es zum Glück die Polizei. Auf die friedliche Konfrontation aber könnten sich auf deutschem Boden auch deutsche Politikerinnen und Politiker einlassen, indem sie klar sagen, was sie von Erdogans geplantem Ein-Mann-Staat halten.
Wer ihm den Mund verbietet, liefert ihm eine Steilvorlage
So absurd der Nazi-Vorwurf aus Ankara ist: Er könnte bei Teilen von Erdogans Wählerschaft verfangen. Wer ihm den Mund verbieten will, liefert ihm eine Steilvorlage. Stattdessen könnte die deutsche Politik mit den türkischen Wahlberechtigten hier in eine (Gegen-)Debatte kommen. Deutschlands Türkische Gemeinde hat diesen Weg eingeschlagen.
Leider ist zu befürchten, dass die Lehren aus dem Desaster „Erdogan und wir“ bestenfalls mittel- und langfristig wirken. Unwahrscheinlich, dass sich die Aufregung noch vor dem Referendum am 16. April abkühlt.
Das ist schlimm für zwei Länder, die sich schließlich aus vielen Gründen gegenseitig brauchen. Es ist schlimm für die türkischen Demokraten, weil Erdogan aus der politischen Reaktion in Deutschland Wahlkampfmunition für sich schmieden kann – Einer allein gegen alle –, und es ist schlimm für unseren Kollegen Deniz Yücel und viele andere, die in türkischen Gefängnissen sitzen, weil der Sultan sie mindestens bis zur Abstimmung als Köpfe einer konstruierten Verschwörung braucht. Hoffen wir, zähneknirschend, auf danach.