Filmindustrie im Wandel: Mit neuer Matrix
Hollywood ist nicht mehr der kulturelle und ökonomische Fixpunkt des Kinos: Die heutigen Blockbuster erzählen Geschichten für die ganze Welt.
Es gibt sie also noch, die gut gehüteten Geheimnisse. Als George Lucas diese Woche bekannt gab, dass er sein „Star Wars“-Imperium an Disney übergeben werde, waren viele verblüfft. Sternenkrieger und Schneewittchen – passt das zusammen? Strategisch mag das Zusammengehen vernünftig sein. Aber was bedeuten diese Großfusionen für die Werke selbst?
Seit Time Warner 2000 mit AOL zusammenging, kommt es in allen Sparten der Kulturindustrie zu Elefantenhochzeiten; gerade diese Woche haben die Verlagsgruppen Bertelsmann Random House und Penguin Group ihre Fusion angekündigt. Diese Entwicklung hat sicher viel damit zu tun, dass Vertriebswege und Geschäftsmodelle einen fundamentalen Wandel durchmachen. Es herrscht Unsicherheit, vor allem gegenüber den neuen Platzhirschen Apple, Google und Amazon, von denen man sich die Preise diktieren lassen muss. Nur ein Schwergewicht wie Disney kann da auf Augenhöhe verhandeln.
Filmschaffende sind diesen Verwerfungen in besondere Weise ausgeliefert. Denn Film ist teuer. Profit lässt sich mit einem derart kostspieligen Werk nur machen, wenn man es erstens an möglichst viele verkauft und zweitens auf möglichst vielen Kanälen – nicht nur über den langen Schweif der Video- und TV-Auswertung, sondern über Online-Games und Spielfiguren, Kindermenüs bei McDonald’s und Halloween-Kostüme. All das aber lässt sich am besten mit einer großen Maschine bewegen. Eine Maschine wie Disney. Anders geht es nicht mehr, zumindest, wenn man Film vor allem als Investition betreibt.
Schuld sind die Wachowski-Brüder. Ihr Film „The Matrix“, eine ungewohnte Mischung aus westlichem Effekt-Kino und fernöstlichen Martial Arts, wurde 1999 überraschend zum Welterfolg: Asiatische Zutaten, erfundene Handlungsorte, schablonenhafte Figuren erleichterten offenbar den Zugang zu einem größeren internationalen Publikum. Hollywood wurde hellhörig.
Es war der perfekte Moment für die Geburt des planmäßig globalen Blockbusters. Denn zur selben Zeit boomte das Kino in vielen Ländern: Seit 2004 wird mit Blockbustern außerhalb der USA mehr Geld verdient als im Land selbst. „Star Wars“ hat das Sommer-Spektakel 1977 begründet, doch erst seit „The Matrix“ werden die Sommerhits quasi fürs Ausland hergestellt – und deshalb inzwischen auch gleichzeitig in die Kinos gebracht.
Und das hat Folgen. Der „Guardian“ verglich kürzlich die Blockbuster von heute mit jenen von gestern. Zu den erfolgreichsten Filmen 2011 gehörten: „Harry Potter“, „Pirates of the Caribbean“, „Kung-Fu Panda 2“, „Die Schlümpfe“, „Cars 2“, „Puss in Boots“, „Rio“, „Thor“, „The Adventures of Tintin“ und so weiter. Im Vergleich dazu einige Erfolgsfilme von 1990: „Ghost“, „Kevin allein zu Haus“, „Pretty Woman“, „Der mit dem Wolf tanzt“. Es fällt auf: Die USA sind als Ort, als kultureller Fixpunkt aus den Blockbustern verschwunden. Statt dessen: Märchen, Science-Fiction, Comics. James Camerons „Avatar“ ist dafür das jüngste Beispiel: einfache Charaktere, unbestimmter Handlungsort, eine ausgewogene Mischung aus fremden und bekannten Elementen, und vor allem eine schlichte Handlung zwischen Oper und Archaik. Der Held begibt sich in den Bauch des Wals – schon der erste „Star Wars“-Film basierte auf diesem universellen Baustein des Geschichtenerzählens. George Lucas hatte entsprechende ethnologische Literatur studiert.
Heute ziehen Bond, Bourne und "Mission Impossible" nach Moskau, Schanhai und in die Türkei.
Da ist also auf der einen Seite die mächtige Kulturindustrie der Vereinigten Staaten, deren Bilder, Geschichten und Klänge sich weltweit durchsetzen. Auf der anderen Seite die lokalen Kulturen, die den mechanischen Reizen scheinbar wenig entgegenzusetzen haben. Mit Macht drängen die Superproduktionen in die Cineplexe der Welt – und walzen alles nieder. Oder nicht?
Die Sorge um den Verlust gewachsener Kultur ist nicht neu. Die Hoch- fürchtete sich vor der Massenkultur, die Arbeiter- vor der Popkultur, die Kolonien vor den Kolonialherren – und umgekehrt. Jan Nederveen Pieterse hat in seinem Buch „Globalization and Culture: Global Melange“ drei Modelle des globalisierten Ideenaustauschs benannt: Die einen glauben an eine Polarisierung (McDonald’s vs. Jihad), die anderen an Homogenisierung (McDonalds macht alle platt). „Apokalyptiker und Integrierte“ könnte man sie in Anlehnung an Umberto Eco nennen. Die Kulturtheorie britischer Schule hat noch das Modell der Hybridisierung zugefügt, oder, etwas zeitgeistiger gesagt: das Mash-up (McDonald’s-Filialen in Mailand, Marokko, Moskau haben heute kaum mehr als das gelbe M gemein). Für jede dieser drei Ansichten lassen sich treffende Beispiele finden. Von einer Amerikanisierung der Filmwelt kann allerdings nicht ernsthaft die Rede sein. Ganz im Gegenteil.
Nicht nur Vertriebswege, auch die Verflechtungen in der Filmproduktion spannen sich über die ganze Welt. Viele Filme entstehen in Hollywood heute mit indischem, arabischem, chinesischem Geld. Steven Spielbergs Dreamworks-Studio konnte „Cowboys & Aliens“ und „Tintin“ nur mit Hilfe der indischen Reliance-Group verwirklichen. Hinzu kommt: Professionelles Filmhandwerk gibt es heute auf der ganzen Welt. Die gefragtesten Experten für Spezialeffekte residieren in Neuseeland, und Studios wie Fox produzieren in Deutschland, Korea, Japan, Brasilien – für die ansässigen Märkte.
In den Sechzigern korrespondierte James Bonds Reisefreudigkeit noch mit dem aufkommenden Massentourismus. Der britische Spion war eine Art Superkonsument exotischer Kulturen, in einer Zeit, als der westliche Kapitalismus in voller Blüte stand. Heute ziehen Bond, Bourne und „Mission Impossible“ nach Moskau, Schanghai und in die Türkei – weil dort die Filmmärkte boomen.
Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass es in der Türkei viele Remakes amerikanischer Blockbuster gab. Auf Youtube kann man dieses irrwitzige Klaukino noch in Ausschnitten bestaunen: aus ET wurde „Badi“, aus „Star Wars“ „Der Mann, der die Welt rettete“. Heute geschieht Angleichung vor allem auf handwerklichem Niveau – begünstigt durch die Digitalisierung der Filmtechnik. Die Geschichten türkischer Erfolgsfilme aber sind heute ausgesprochen türkisch.
In Indien widersteht das Bollywood-Kino nun seit bald hundert Jahren den Avancen des amerikanischen Kinos. Nigeria wiederum drängt zwar in den internationalen Mainstream – „Nollywood“ gehört neben Indien und den USA zu den drei produktivsten Filmländern –, doch selbst wenn Regisseure wie Jeta Amata mit internationalen Darstellern drehen, lässt er sich die genuin afrikanischen Stoffe nicht verwässern. Und in Indonesien blüht derweil der Low-Budget-Horror-Film.
Interessanter als der Blick auf den Einfluss Hollywoods sind die Wechselwirkungen zwischen benachbarten Ländern wie China und Hongkong zum Beispiel. Seitdem die Zugangsbeschränkungen für Firmen aus Hongkong am chinesischen Markt aufgehoben wurden, steigt die Zahl der Kooperationen rasant: kommerzielle Unterhaltungsfilme, in China ein eher junges Genre, schüttelt man in der Sonderverwaltungszone aus dem Ärmel. Doch auf dem Festland herrscht Zensur: Geister und Korruption sind als Themen tabu, Religion eher unwillkommen; Liebe zwischen Westlern und Asiaten darf nicht glücklich enden. Altersfreigaben gibt es nicht: alle Filme müssen familientauglich sein. In Hongkong entstehen seither erstaunlich viele harmlos romantische Komödien und die Sorge wächst, dass man sich um die Identität des einst blühenden Filmstandortes bringt.
Film braucht Export.
Doch Film braucht Export. Es gibt kaum ein Land, dessen Filmmarkt groß genug ist, dass er die heimische Filmindustrie aus sich heraus tragen könnte. Die Lage des einst auch ästhetisch eigenständigen Hongkong-Films zeigt, wie paradox die Situation ist: Damit Filme für das eigene Publikum entstehen können, muss man exportieren. Damit man aber exportieren kann, müssen die Vorlieben und Vorschriften anderer Länder im Auge behalten werden.
Früher hat Hollywood sich Talent einfach einverleibt. Wo stünde die amerikanische Unterhaltungsindustrie, hätten die Nazis ihr nicht so viele Künstler in die Arme getrieben? In den letzten Jahrzehnten ließ man sich insbesondere von Asien inspirieren. Der Taiwaner Ang Lee („Crouching Tiger, Hidden Dragon“) gehört heute zu den profilierten Regisseuren Hollywoods. Und die Zeitlupen des Chinesen John Woo („Im Körper des Feindes“) sind aus Actionfilmen nicht mehr wegzudenken. Quentin Tarantino bedient sich ohnehin hemmungslos in Asien, George Lucas ließ sich von Akira Kurosawas „The Hidden Fortress“ zu seinen Sternenkriegen inspirieren. Und es ist bezeichnend, dass der große Martin Scorcese seinen Oscar für „The Departed“ erhielt, das Remake eines Hongkong-Thrillers.
Früher war es auch das Privileg der Vereinigten Staaten, von Marsianern heimgesucht zu werden. Heute finden Apokalypsen und Invasionen in Südafrika statt („District 9“), in Mexiko („Monsters“), in Großbritannien („Attack the Block“), in Frankreich („Les Derniers Jours du Monde“) und sogar in Deutschland („Hell“). Hollywood aber schwelgt mit J. J. Abrams’ Spielberg-Hommage „Super 8“ in Siebzigerjahre-Nostalgie oder lässt sich mit Jon Favreau in die goldene Zeit des Westerns verschlagen („Cowboys & Aliens“). Es ist, als ob das Genre den Bedeutungsverlust einer Weltmacht begleitet – und sich zugleich anschlussfähig macht für die neue Weltöffentlichkeit.
Gewiss, diese Filme unterhalten heute auf hohem Niveau. Auch „The Hobbit“ (USA/Neuseeland), „Cloud Atlas“ (Deutschland, USA, Hongkong, Singapur) und „Iron Man 3“ (USA/China) dürften alle Erwartungen erfüllen. Aber diese Superproduktionen saugen Geld, Aufmerksamkeit und Kreativität ab. Viele Studios haben ihre Abteilungen für kleinere Produktionen geschlossen. Was also bleibt für unabhängige Filme?
Glaubt man amerikanischen Filmemachern, ist es heute so schwer wie nie, einen unabhängigen Film zu drehen. Andere aber sagen gute Zeiten voraus – schließlich war es noch nie so billig, einen Film oder Song zu produzieren. In Deutschland läuft diese Woche der mehrfach ausgezeichnete Film „Dicke Mädchen“ an. Er hat 517 Euro gekostet.
Große Filme werden immer teuerer, kleine immer billiger. Aber sie haben alle dasselbe Problem: Wenn so vieles zur selben Zeit überall zu haben ist, braucht es Durchsetzungsvermögen, um überhaupt sichtbar zu sein. Die Konzerne stocken dafür ihre Marketing-Budgets auf. Was aber was machen die Unabhängigen?
Sie werden neue Wege zu Geld und Publikum finden müssen. Sie können, wie die Macher der finnischen Nazi-Farce „Iron Sky“, via Crowdfunding das Geld für ihr nächstes Projekt eintreiben. Sie können, wie der amerikanische Comedian Louis CK es erfolgreich vormachte, ihre Werke direkt an den Mann bringen und dabei wie die britische Band „Guillemots“ an den üblichen PR-Zyklen vorbei einfach so schnell und häufig ein Werk auswerfen, wie es ihnen passt. Das macht mehr Arbeit. Vielleicht aber auch mehr Spaß.
Es ist das Hollywood-Kino selbst, das wohl am meisten unter seinem Drang ins Weite leidet. Die Konzentration zu wenigen „Global players“, in denen die Macht übrigens bald nicht mehr nur in amerikanischen Händen liegen wird, zwingt sie weiter auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: kalkulierte Weltblockbuster für den Sommer (und nicht minder kalkulierte Oscar-Kandidaten für den Winter).
Beide Seiten begeben sich dabei in neue Abhängigkeiten: Die Großen gegenüber einem abstrakten Weltgeschmack; die Kleinen gegenüber ihrem Publikum, das ihnen dichter auf den Leib rückt, als manchem Künstler lieb sein wird. Und Produktionen wie „Iron Sky“ zeigen, dass dann die Grenze zwischen Amateuren (nicht Laien!) und jenen, die von dieser Arbeit leben können, sehr viel fließender ist, als heute noch.
Und Amerika? Wird gewiss nicht von der Leinwand verschwinden. Der Film „Drive“ hat die Stadt Los Angeles, das heilige Zentrum amerikanischer Filmkultur, gerade neu und aufregend ins Bild gesetzt. Der Regisseur? Ein Däne.
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