Berlin: Schulreform gescheitert: Mehr Mut zu Korrekturen bei Grundschulen
Ein Chaos beim Start ins neue Schuljahr wird es nicht geben und der erbitterte Streit um das Abitur nach zwölf oder dreizehn Jahren lässt Berlin ziemlich kalt. An einer anderen Stelle gibt es jedoch großen Handlungsbedarf.
Reformen können sich in der Theorie bestechend anhören und in der Praxis ein Albtraum sein. Das gilt auch für einige der 22 Reformen, mit der Berlins Schulen letzthin durchgerüttelt wurden. Die Pause vom Reformstress war deshalb für Eltern, die Erziehung ernst nehmen, und für die Lehrer, die neben ihrem Job auch noch alle anderen gesellschaftlichen Probleme von Handyschulden bis Politikverdrossenheit im Unterricht lösen sollen, eine gute Nachricht. Gutes Lernen braucht Ruhe. Nein, keine schlechte Stimmung vor den ersehnten Sommerferien.
Manches funktioniert auch besser als früher: Von den 2.000 neuen Lehrern, die nach den Ferien benötigt werden, sind 1.500 eingestellt. Ein Chaos beim Start ins neue Schuljahr wird es nicht geben. Und der erbitterte Streit in anderen Bundesländern um die Reifeprüfung lässt Berlin ziemlich kalt. Denn hier kann man sich seit der Sekundarschulreform vor vier Jahren entweder fürs Turbo-Abi entscheiden oder für eine 13-jährige Schullaufbahn: schnell oder langsam, jeder nach seinen Talenten und Bedürfnissen. Diese Wahlfreiheit überzeugt Eltern so sehr, dass manche Sekundarschulen extrem nachgefragt sind. Und weitgehend vergessen sind Sorgen, die Sekundarschule werde die neue Resterampe der abgeschafften Hauptschule. Dennoch zeigt sich, dass die vielen Reformen an die Statik gehen – vor allem in der Grundschule. Dort sind die Herausforderungen am größten.
Massive Kritik an letzter Grundschulreform
Im abgelaufenen Schuljahr gab es erstmals seit 1997 wieder mehr Kinder; 2022 wird das wachsende Berlin rund 45.000 Schüler mehr haben; die Grundschulen rechnen mit 18 Prozent Zuwachs. Gleichzeitig aber wollen immer weniger Pädagogen in Grundschulen arbeiten, weil die Bedingungen zu schlecht, die Aufstiegschancen gering und die Gehälter schlechter sind als in den Oberschulen. Es ist Zeit für eine Bewertung der zentralen Reformen in den Grundschulen. Die alarmierend hohe Zahl von Rückstellungen zeigt, dass die Früheinschulung von vielen Eltern abgelehnt wird. Sie fürchten eine Überforderung der Fünfjährigen und fragen sich zudem, was eine so frühe Einschulung bringt – zumal das Turbo-Abitur dann 17-Jährige an die Uni entlässt. Auch das jahrgangsübergreifende Lernen wird von immer weniger Schulen praktiziert, weil Eltern und Lehrer dagegen sind.
Auch am dritten Element, dem „Verweilen“ schwacher Kinder in der zweiten Klasse, gibt es massive Kritik. Das verlogene Wort „verweilen“ wird von den Kindern – und deren Eltern – als „Sitzenbleiben“ empfunden, als traumatisierender Misserfolg am Beginn der Schulkarriere. Also noch mal eine Reform? Bloß nicht. Aber Mut zur Korrektur und einen Verzicht auf jene Grundschulreformen, die sich nicht bewährt haben. Angesichts der steigenden Zahl von Schulanfängern ist der Senat eh zur Neubewertung gezwungen. Es braucht neue Schulen, Klassenräume, Lehrer und Sozialarbeiter; und die Leitung einer Grundschule muss attraktiver werden.
Weil mehr Kinder eine Kita besuchen und bereits dort ihre Deutschkenntnisse gefördert werden, ist dieses Argument für eine Früheinschulung hinfällig geworden. Statt eines „Verweilens“, willkürlich verhängt ohne Leistungsgrundlage, wie Eltern klagen, kann dann wieder darüber gesprochen werden, wann eine Wiederholung besser für ein Kind ist – gemeinsam mit den Eltern. Weniger Reform ist manchmal mehr. Schule darf sich nicht selbst überfordern, und die Familien erst recht nicht.
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