Lehrermangel in Berlin: „Ich finde die Kleinen süß, aber das Fachliche fehlt mir“
Bayern wollte die junge Oberschullehrerin Susanne Löhlein nicht, darum zog sie vor vier Monaten nach Berlin. Inzwischen unterrichtet sie kleine Kinder mit großen Problemen – und findet Gefallen daran.
Zurück nach Bayern? Oder in Berlin bleiben? Weiter an der Grundschule oder klappt es am Gymnasium? Das sind wichtige Fragen für Susanne Löhlein, aber manchmal sind diese Fragen weit weg. Vor allem dann, wenn wieder ein Kind fehlt morgens um 8 Uhr im Klassenraum der Robert-Reinick-Grundschule in Spandau. Dann muss die bayerische Lehrerin, die seit vier Monaten in Berlin arbeitet, mit dem Schlimmsten rechnen.
„Manchmal kommt die Polizei morgens um 5 Uhr in das Flüchtlingsheim, um die Familien abzuholen. Dann bleibt ein Stuhl leer und die Klasse ist traumatisiert“, beschreibt die Pädagogin das, was sie nun schon etliche Male erlebt hat. Dann liegen vor ihr die Hefte der abgeschobenen Kinder mit all den Übungen der letzten Wochen, mit all den Herzchen, die Löhlein eingeklebt hat, wenn Kinder sich besondere Mühe gegeben haben. Das ist dann schwer zu ertragen.
„Von den zwölf Kindern, mit denen ich im Februar angefangen hatte, sind noch zwei übrig geblieben“, lautet die Bilanz nach vier Monaten. Die anderen wurden abgeschoben oder kamen in andere Flüchtlingsheime, die zu weit weg waren von der Reinick-Schule. Und so hat Löhlein immer wieder von vorn angefangen. Hat die Hefte von Melissa und ihrem Bruder Himzo und all den anderen zu den Akten gelegt und neue Hefte begonnen für Mulham, Judy, Khalil und Abdulrahman, die jetzt in ihrer Klasse sind und mit denen sie gerade erst einen Ausflug zur Jugendfarm in Lübars gemacht hat.
„Viele lachen am Anfang gar nicht und reagieren kaum, weil sie Schweres hinter sich haben.“
Vor einem Jahr wusste die zierliche Bambergerin mit den langen brünetten Locken noch nicht einmal, dass Lübars existiert. Da war sie Referendarin und unterrichtete Zwölftklässler. Damals zeichnete sich aber schon ab, dass Bayern hunderte Junglehrer nach der Ausbildung nicht übernehmen würde. So kam sie nach Berlin, das mitten im Schuljahr 700 Lehrer brauchte – vor allem an Grundschulen. Löhlein landete in einer „Willkommensklasse“, die inzwischen auch nicht mehr offiziell so heißt. Aber die Klassen gibt es weiterhin, und es werden immer mehr.
Die Kinder können erst mal kein Wort Deutsch. Was noch schwerer wiegt: „Viele lachen am Anfang gar nicht und reagieren kaum, weil sie Schweres hinter sich haben.“ Mitunter kommen auch neue Belastungen hinzu, etwa wenn es in den Wohnheimen Konflikte zwischen Christen und Muslimen gibt. Dann bespricht Löhlein mit der Sozialpädagogin und mit ihren Kolleginnen, was zu tun ist.
Trotz aller Probleme und Rückschläge macht ihr die Arbeit mit den Kindern Freude. Sie kann sich inzwischen sogar vorstellen, weiter an einer Grundschule zu unterrichten. Aber maximal mit halber Stelle. Die andere Hälfte müsste am Gymnasium sein, denn sie ist ja eigentlich Englisch- und Spanischlehrerin für die Oberschule. „Ich finde die Kleinen süß, aber das Fachliche fehlt mir“, beschreibt Löhlein ihr Dilemma. Noch immer hat sie Kontakt zu ihren bayerischen Abiturienten, die für sie zum Abschied Tortillas gebacken haben, als klar war, dass ihre Referendarin nach Berlin gehen musste, um eine Stelle zu bekommen.
Das Land Bayern hat keinen Bedarf für seine teuer ausgebildeten Junglehrer. Auch Einser- und Zweierkandidaten wie Löhlein wurden weggeschickt oder bekamen maximal Vertretungsjobs angeboten. „Das wollte ich nicht“, war ihr sehr schnell klar. Darum hatte sie sich entschlossen, den Sprung nach Berlin zu wagen, das die bayerischen Nachwuchskräfte heftig umwarb. Mit wenigen Koffern und Bücherkisten zog sie dann in ein möbliertes Zimmer in Wilmersdorf, ließ sich ein auf das Berliner Leben und gab voller Vorfreude auf den Schuldienst ein Interview im Tagesspiegel. „Das ist besser als zu kellnern oder Nachhilfe zu geben“, sagte sie. Und wie geht es ihr inzwischen?
Massenweise wurden Gymnasiallehrer aus anderen Bundesländern zu Castings eingeladen
Ihr gefällt’s. In Kreuzberg lernt sie den amerikanisch-orientalischen Tanz Tribal Fusion, und wenn ihr Freund am Wochenende aus Bayern nach Berlin kommt, zeigt sie ihm den Nachtflohmarkt in der Zitadelle Spandau oder jetzt gerade zu Pfingsten den Karneval der Kulturen.
Trotz aller Liebe zu Bayern würde Löhlein in Berlin bleiben, wenn sie an einem Gymnasium eine feste Stelle bekäme. Falls die Schulverwaltung ihr aber nur Grundschulen anbietet ohne zumindest einige Stunden am Gymnasium, würde sie hier keinen unbefristeten Vertrag unterschreiben, sondern auf Abruf weiter befristet arbeiten, bis irgendwann das feste Angebot aus Bayern kommt.
Viel Spielraum hat die Schulverwaltung nicht: Sie braucht 1000 Grundschullehrer. Massenweise wurden Gymnasiallehrer aus anderen Bundesländern zu Castings eingeladen, wo sie dann erfuhren, dass Berlin sie an Grundschulen schicken will. Auch sie müssen entscheiden, ob sie sich auf eine Arbeit einlassen, die sie eigentlich nicht angestrebt haben. Die ihnen aber ans Herz wachsen könnte.