Die EU und Russland im Ukraine-Konflikt: Große Worte, kleine Taten
Die EU hat Russland in der Ukraine-Krise mehrfach schärfere Sanktionen angedroht. Passiert ist fast nichts. Damit könnte die EU ihre Glaubwürdigkeit verlieren.
Die EU hat neue Sanktionen gegen Russland beschlossen – und könnte dennoch einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit verspielen. Seit Wochen heißt es in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten, Russland müsse mit wirtschaftlichen Strafmaßnahmen rechnen, falls das Land zur Verschärfung des Ukraine-Konflikts beitrage. Moskau hat einiges versprochen und fast nichts gehalten. Truppen wurden nur vorübergehend aus der Grenzregion abgezogen, aus Russland kommen nach wie vor Waffen und Kämpfer. In der Ostukraine gibt es Berichte über russische Panzer, die dort unterwegs seien. Kiew wirft Russland vor, ein Militärflugzeug abgeschossen zu haben.
Am Donnerstagabend bekam der Konflikt in der Ostukraine mit Berichten über den möglichen Abschuss einer malaysischen Passagiermaschine eine neue, entsetzliche Dimension. Die Folgen sind noch gar nicht absehbar.
EU verschob konkrete Entscheidung über Sanktionen
Klar ist aber, dass die EU die Sanktionen gegen Russland verschärft. Die Staats- und Regierungschefs weiteten die Strafmaßnahmen auch auf Unternehmen aus. Doch eine Liste mit betroffenen Firmen sucht man vergeblich. Wieder sind die Europäer dieser Entscheidung ausgewichen. Wirtschaftssanktionen sind in der EU umstritten. Bis Ende des Monats soll eine erste Liste mit Namen erstellt werden. Dabei hieß es in Brüssel schon im April, es werde geprüft, welche Wirtschaftssanktionen möglich seien. Auch der Streit um die Nachfolge der EU-Außenbeauftragten blieb ungelöst – ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die EU in der Außenpolitik nicht auf eine Linie verständigen kann.
Risse im transatlantischen Verhältnis
Die US-Regierung sieht das Zögern der Europäer kritisch – und veröffentlichte ihren Beschluss zu schärferen Sanktionen demonstrativ, während die Staats- und Regierungschefs der EU noch tagten. Offiziell heißt es in Brüssel und Washington, man habe die Schritte abgestimmt. Doch das zeitliche Vorpreschen der USA zeigt auch, dass es selbst bei diesem Thema mittlerweile feine Risse im transatlantischen Verhältnis gibt.
Im Kontrast zu den Europäern nennen die USA Namen, und nicht irgendwelche. Der riesige Ölkonzern Rosneft steht ebenso auf der Liste wie die Gazprombank. Die Sanktionen selbst sind begrenzt. Nicht der Handel mit den Firmen ist verboten, nur ihr Zugang zum US-Kapitalmarkt wird nahezu gekappt. Dass diese Schritte durchaus Wirkung zeigen, beweist die ungewöhnlich scharfe Reaktion Russlands. Präsident Wladimir Putin selbst drohte offen, das Ganze könne für die USA zum „Bumerang“ werden. Am russischen Aktienmarkt waren die Folgen bereits am Donnerstag deutlich zu spüren, auch der Rubel verlor an Wert.
Sanktionen sind kein Allheilmittel
Sanktionen sind kein Selbstzweck und schon gar kein Allheilmittel. Aber sie können den Preis für das rücksichtslose russische Vorgehen in der Ukraine hochtreiben. Im besten Fall stellen am Ende einige im engeren Führungszirkel um Putin die Frage, ob es das noch wert ist. Denn die Machtelite in Moskau betrachtet viele Konzerne als private Altersvorsorge. Und nicht nur das: Diese Funktionäre lassen ihre Kinder in Westeuropa studieren, dort verbringen sie ihren Urlaub – und investieren ihr Geld, das in einem Land ohne Rechtsstaatlichkeit nicht sicher ist.
Bisherige Sanktionen der EU sind nahezu wirkungslos
Niemand fordert ernsthaft, jetzt alle Geschäfte mit Gazprom auf Eis zu legen. Doch die bisher verhängten EU-Sanktionen sind nahezu wirkungslos. Welchen Sinn hat es, Personen mit Kontensperrungen zu bestrafen, die überhaupt kein Vermögen in der EU haben? Allerdings fragt derzeit manch einer in Moskau besorgt in einer westlichen Botschaft nach, ob auch er bald auf der Liste steht. Direkte Sanktionen gegen die Führungselite wären eine Möglichkeit, Druck auszuüben, ohne die europäisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen aufs Spiel zu setzen. Doch solche intelligenten Sanktionen sind in Berlin und Brüssel kein Thema. Dort steht man vor einem Dilemma. Wer wochenlang droht, muss bereit sein, der Drohung auch Taten folgen zu lassen. Mit symbolischen Schritten ist es nun nicht mehr getan. Es geht um die Glaubwürdigkeit der europäischen Außenpolitik. Und um einen Konflikt mitten in Europa, der von Tag zu Tag mehr einem Krieg ähnelt.