Gesellschaft in der Krise: Die Party ist vorbei
Die Zeit der Wahlversprechen ist vorbei, denkt Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein. In Zeiten der Krise ist kein Geld da, um sich Wählerstimmen zu kaufen.
Ich glaube tatsächlich, dass unser Gesellschaftssystem an seine Grenzen stößt. Unser Gesellschaftssystem bestand in den letzten Jahrzehnten daraus, dass die Parteien sich vor den Wahlen Stimmen gekauft haben – klingt hart, ist aber so. Man verspricht, je nach politischer Richtung, entweder Steuersenkungen oder Radwege oder eine neue Autobahn oder längeren Erziehungsurlaub oder Gott weiß was. Es kostet jedenfalls immer Geld. Der Staat ist aber bereits hoch verschuldet, Kinderchen, ist euch das klar? Die Party ist vorbei, Licht an, Musik aus, habt ihr es schon gemerkt? Eigentlich müssten die Parteien in den Wahlkämpfen erklären, wie sie ein Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben herstellen wollen. Kein schönes Thema.
Karl Marx war ein großer Denker, ein paar seiner Ideen stimmen zweifellos. Wer sich viel stärker blamiert hat als Marx, ist der Wirtschaftstheoretiker John Maynard Keynes. Dieser Keynes behauptete, dass ein Staat Schulden machen soll, um die Konjunktur anzukurbeln. Und wenn die Konjunktur erst mal brummt, kann man die Schulden wieder ganz einfach zurückzahlen, theoretisch. Vielleicht stimmt diese Theorie sogar. Aber sie ignoriert die Tatsache, dass es in der Demokratie Wahlen gibt. Mit der Parole „Hurra! Wir zahlen jetzt die Schulden zurück, die Helmut Kohl gemacht hat“ kann man keine Wahlen gewinnen. Niemals ist irgendwas zurückgezahlt worden.
Was mich echt wild macht, ist die Verteufelung des Wortes „Markt“, die in vielen Medien zu beobachten ist. An allem, auch den Schulden, sind „die Märkte“ schuld. Wo, wenn nicht auf „den Märkten“ wird eigentlich das Geld verdient, das wir und der Staat fröhlich ausgeben? Falls ihr ein System kennt, dass ohne „die Märkte“ zu nennenswerten Einnahmen führt, schreibt es schnell auf, ihr kriegt dafür garantiert den Nobelpreis. Ohne Leute, die auf „den Märkten“ Geld verdienen und davon Steuern zahlen, geht gar nichts. Kein einziger Radweg, kein Kindergarten, kein Wohngeld – seid lieber mal ein bisschen nett zu euren Geldgebern.
Besonders apart ist die Idee, die Rating-Agenturen unter staatliche Kontrolle zu stellen. Rating-Agenturen warnen Geldgeber vor unzuverlässigen Schuldnern. Wenn ich Milliardär wäre und niemand wäre mehr da, der mir die Wahrheit sagt über meine Chancen, das verliehene Geld jemals zurückzukriegen, tja, dann würde ich das Verleihen wohl einstellen. Aber vielleicht irre ich mich ja. Falls eine staatliche Kontrolle der Rating-Agenturen tatsächlich zur Linderung der Schuldenkrise führt, umso besser. Dann sollten wir auch die Polizei abschaffen, um die Kriminalität zu bekämpfen. Nun aber – hoch die Tassen! Ein Prosit auf 211 Milliarden Bürgschaft für Griechenland! Dafür haben wir angeblich „Zeit gekauft“. Klingt super.
Harald Martenstein