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Abhängen mit den Jungs. Szene aus „#BerlinBerlin“.
© Joerg Metzner

Berliner Mauer im Jugendtheater: Zwischen Honecker-Enge und Underdog-Stolz

Das Jugendstück „#BerlinBerlin“ im Theater Strahl erzählt plattitüdenfrei und vergnüglich vom Aufwachsen im geteilten Deutschland.

Was die Berliner Mauer war? Das ist jungen Menschen im Jahr 2099 nicht mehr leicht zu vermitteln. Überhaupt: das Konzept Mauer. Was bedeutet diesseits, was jenseits, wo ist drinnen, wo ist draußen? Das fragen sich im Stück „#BerlinBerlin“ am Theater Strahl die Nachgeborenen in einer gar nicht so fernen Zukunft. Sie reden über abstrakte Begriffe wie Freiheit. Oder Nation. Und sie wundern sich: „Weiß ich denn ohne Mauer nicht, wo ich hingehöre?“ Borderline-Philosophie also, durchaus bedenkenswert. Wozu folgender Witz passt: Wie ist die Stimmung in der DDR? Sie hält sich in Grenzen!

„#BerlinBerlin“ soll eine Lücke füllen im Spielplan der bundesdeutschen Kinder- und Jugendtheater. Es gebe derzeit kein Stück für Heranwachsende, haben Strahl-Leiter Wolfgang Stüßel und sein Team festgestellt, das sich mit Bau und Fall der Berliner Mauer befasse. Wobei das ja kein unwesentliches Kapitel der deutschen Geschichte ist. Und weil auch die Stadtwanderung hier nur wenig Sichtbares zu bieten hat, weil beispielsweise kein Palast der Republik mehr von der vergangenen Zeit kündet, ist das Vermittlungsanliegen erst recht zu begrüßen. Zumal in der Halle Ostkreuz – der endlich ständigen Spielstätte des Theaters Strahl – ein wirklich gut gebauter, vergnüglicher, undidaktischer und erfreulich platitüdenfreier Abend zur Premiere kommt.

Erzählt wird eine Familiengeschichte in Ost und West. Der Klassiker, aber ein wirkungsvoller. Im Zentrum steht Ingo (Justus Verdenhalven). Dessen Vater Klaus (Raphael Schmischke) macht 1961, pünktlich zum Mauerbau, in den Westen rüber. Lässt seine Frau Dagmar (Josephine Lange) hochschwanger zurück und entschuldigt dies mit der politischen Lage: „Ich hab doch den beschissenen Stacheldraht nicht mitten durch die Stadt gerollt!“ In der Folge wird sich Klaus einen entschiedenen Grimm gegen seine vormalige Heimat bewahren. Er schimpft auf die „Zone“, während er im Westen eine neue Familie mit Frau Marlene (Beate Fischer) gründet.

Ingo wächst derweil mit Mutter und Großmutter im real existierenden Sozialismus auf. Erlebt noch als Knirps den Prager Frühling. Als Jugendlicher beginnt er mit Kumpels über Republikflucht zu reden. Plant 1980 eine Urlaubsreise ins Polen der erwachenden Solidarność-Bewegung, was die Mutter in tiefe Sorge stürzt („Dort brennt die Luft!“). Und stellt schließlich seinen Ausreiseantrag, der im November 1989 bewilligt wird.

An dieser Geschichte, die ständig zwischen Ost und West wechselt, haben vier Autorinnen und Autoren verschiedener Generationen und Herkünfte gewirkt: Sina Ahlers, Uta Bierbaum, Günter Jankowiak und Jörg Steinberg, der auch die Regie führt. Erstaunlich, dass „#BerlinBerlin“ dennoch nie zusammengewürfelt wirkt. Sicher, in der Dramaturgie dieser Coming-of-Age-Geschichte bleibt manches angerissen, das lässt sich bei einem Stationenstück kaum vermeiden. Aber gerade das Leben in der DDR wird eben nicht über den handelsüblichen Südfrüchtemangel, Stasi-Terror oder Klapptisch-Slapstick erzählt.

Vielmehr kommt in der Hauptfigur Ingo eine ziemlich berührende Zerrissenheit zwischen Hass auf die Honecker-Enge und dem Underdog-Stolz gegenüber aller westlichen Überheblichkeit zum Tragen. Am schönsten in jener Szene, in der Ingo und seine Kumpels 1988 das Bruce-Springsteen-Konzert in Weißensee belauschen, aus weiter Ferne („Da hätten se auch Pitti Platsch hinstellen können“). Mittlerweile hat der Junge seine Halbschwester Nicole (Sarah Schulz-Tenberge) kennengelernt, die zum Leidwesen ihres Vaters Klaus mit sehr linker Gesinnung unterwegs ist. Im Geschwisterzwist disst jeder das eigene Land – westliche Konsumverblendung contra ostdeutsche Gleichmacherei. Einer von vielen Dialogen, die präzise sitzen.

Wieder 11.4., 11 u. 19.30 Uhr, 12.4., 11 Uhr u. 13.4., 11 u 19. 30 Uhr

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